Gesprächskultur im Netz: Der Krieg gegen Trolle

Max Doll
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Gesprächskultur im Netz: Der Krieg gegen Trolle

Nicht mehr nur der Umgang mit Frauen, sondern die gesamte Kommentarkultur im Netz ist mittlerweile Gegenstand von Aufmerksamkeit. Ob Gaming, Gender oder Politik: Vielerorts lässt sich kaum eine Diskussion führen.

Restriktionen

Felix Kjellberg, als PewDiePie mit 30 Millionen Abonnenten einer der erfolgreichsten Akteure auf YouTube, zieht aus der gegenwärtigen Situation Konsequenzen. In einem Video erklärte der Entertainer, die gegenwärtige Kommentarkultur habe vor allem destruktive Züge bekommen. Kommentare seiner Fans und Abonnenten seien unter zahlreichen Troll- und Spamkommentaren nicht länger auszumachen. Da eine direkte Kommunikation mit Followern („Bros“), die er als Grund für seine Videos benennt, daher trotz aller Hoffnung auf Besserung nicht möglich sei, habe er die Kommentare „endgültig“ abgeschaltet. Die sinnlosen Trollkommentare seien ihm „egal“, sagte PewDiePie: „Ich will sie nicht sehen“, „Ich habe die Nase voll davon“. Wichtig sei das, was seine Fans schreiben. Jetzt habe er einen „Schritt in die richtige Richtung“ gemacht, künftige Kommunikation soll über Twitter und Reddit laufen, um den Kommentar-Fallout zu umgehen.

Weiblich? Drohung.

Die Morddrohungen gegen Videobloggerin Anita Sarkeesian haben den Gaming-Bereich mittlerweile verlassen; aktuell wird nicht mehr nur über die Rolle von Frauen in Videospielen, deren problematische Umsetzung jüngst auch wissenschaftlich betrachtet wurde, sondern über die Kommentarkultur im Netz im Gender-Diskurs gesprochen. Die FAZ berichtet diesbezüglich von Politikerinnen, die aufgrund ihres Geschlechts und Aussehens beleidigt werden – auch hier gehören Todesdrohungen, anonym, postalisch sowie über das Netz zum „guten Ton“. Auch schön zu sein hilft nicht: Ein hübsches Äußeres oder allein offene Haare ziehen anstelle von Inhalt entweder alleinige Aufmerksamkeit oder den Vorwurf von karrieristisch motivierter Prostitution nach sich. Der Tenor: Frauen werden auf ihr Geschlecht und ihr Aussehen reduziert – noch immer, mit potentiell gesenkter Hemmschwelle.

Man sollte Sie mit Ihren Schamlippen ans Stadttor tackern.

Anonyme Beleidigung

Das digitale Bürgertum

Der Chefredakteur der Zeit, Jochen Wegner, sieht von der Trollkultur bereits Grundwerte des Gesellschaft und des Internets bedroht. „Bis zu 30 Mal“ pro Tag würde sich allein ein „einschlägig bekannter“ Nutzer für die Kommentarsektion registrieren, „um extreme Beiträge zu allen nur erdenklichen Themen zu verfassen“. Aus ein „paar Irren in den Foren“ droht jedoch mittlerweile eine wesentlich größere Horde zu werden. Wegner hat hier vor allem staatlich bezahlte Agitatoren im Blick, „spezialisierte Troll-Teams“, die Meinungen im Internet gezielt beeinflussen und etwa die Diskussion um die Ukraine-Krise prägen sollen.

Die Utopie einer digitalen Agora, in der Gleiche mit Gleichen frei kommunizieren, ungefiltert und unverfälscht, ist in Gefahr.

Jochen Wegner, Chefredakteur Zeit Online

Restriktionen oder Klarnamenpflicht würden jedoch nicht helfen, sondern lediglich die Netz-Utopie zerstören. Helfen würde nur, sich selbst zivilisiert und gelassen zu engagieren, Störer zu ignorieren und falsche Informationen mit richtigen zu beantworten. Es gelte, ein „aufgeklärtes digitales Bürgertum“ zu schaffen und für seinen Erhalt zu kämpfen. Anders lasse sich die Freiheit im Netz nicht auf Dauer sichern; „Die Freiheit im Netz ist“, schreibt Wegner frei nach Rosa Luxemburg, „auch immer die Freiheit der Trolle“. Man muss nur (wieder) lernen zu diskutieren.

In einem weiteren Beitrag befasst sich Annika von Taube für Die Zeit mit dem gegenwärtigen Verhältnis zwischen Leser und Medien, insbesondere den Vorwürfen, „manipulativ und/oder gleichgeschaltet“ zu sein, die viele Diskussionen begleiten. Während Leser sich über Ausbleibende Reaktionen auf Fragen und Kritik ärgern, würden Redakteure „persönliche Beleidigungen und pauschale Kritik“ ignorieren, um die Achtung vor sich und ihrer Arbeit zu wahren. Insbesondere betont von Taube, dass Medien keine „griffigen Erklärungen“ liefern könnten, gerade die umstrittenen, aktuellen Konflikte seien zu komplex. Wie schwierig diese Art von Themen für Diskussionen ist, zeigt sich auch an dem für ein gesittetes Gespräch nötigen Aufwand im ComputerBase-Forum.

Aktuell würden beide Parteien jedoch einen „unguten Klimax“ erreichen, die „Negativfokussierung“ solle daher einer „positiven Grundhaltung“ weichen, um konstruktiven und kritischen Auseinandersetzungen wieder Raum geben zu können. Es sei an der Zeit, „dass beide Seiten erkennen: Wir haben uns falsch eingeschätzt“. Journalisten wie Leser hätten im Netz leicht Zugriff auf eine Vielzahl von Quellen und Informationen, es gebe genug Orte, sich zu äußern. Statt für „Gleichschaltung“ seien die Voraussetzungen für eine „lebendige Diskurslandschaft“ gegeben.

Die soziopathische Hydra

Die New York Times spricht sogar von einem „Krieg gegen Trolle“, den das Internet „zumindest nicht gewinne“. Dabei sieht die Zeitung weniger staatlich organisierte Agitatoren als private Gruppierungen oder Anhäufungen als Problem. Die feministische Nachrichtenseite Jezebel urteilte, nachdem Diskussionen gezielt und über einen längeren Zeitraum mit gewalttätiger Pornographie verseucht wurden: „Es ist, als würde man Whac-A-Mole mit einer soziopathischen Hydra spielen“. Nicht nur für Frauen sondern im Allgemeinen seien Trolle ein Problem, weil im Fahrwasser der Trolle „verheerende emotionale Schäden“ zurückblieben.

Whitney Phillips, Dozentin an der Humboldt State University, führt allerdings aus, dass sich das Phänomen nicht einfach bekämpfen ließe: Würde man Maßnahmen einführen, die es „schwerer machen, sich über das Internet zu äußern“, könnte man kleinere Meinungsgruppen dazu ermutigen, sich nicht zu Wort zu melden. Im Prinzip, so Phillips, sei der Kampf gegen Trolle ein Krieg gegen „Frauenfeindlichkeit, oder Rassismus, und Diskriminierung von Behinderten und all diese anderen Sachen“. Trolle seien nur ein Symptom.

Kämpfen durch Ejakulieren

Die FAZ hat sich überdies näher mit Trollen befasst und mit einem Überzeugungstäter gesprochen. Klar wird: Es geht um das Gefühl von Macht und Einfluss, um Aufmerksamkeit, denn ausführlichere Beiträge hätten „niemanden interessiert“. „Provozieren, das ist wie ein Orgasmus“, führt der Troll aus, „wenn sich jetzt jemand aufregt, dann ist das mein Ejakulat“. Das Muster: Überschrift, Einleitung, Kommentar. Der Inhalt sei ohnehin „immer das Gleiche“, eine Auseinandersetzung ist nicht nötig. Auch auf Argumente verzichtet der Troll bewusst.

Das Ziel sei es, „die Leute aufzuwecken“, er sieht sich als Kämpfer für eine gerechte Sache, gegen überbordende political correctness – die katholische Kirche wird deshalb als „Kinderfickersekte“ tituliert. Das Sperren der Kommentarsektion, etwa bei Süddeutsche.de, wird deshalb als Unterbinden unliebsamer, aber umso berechtigter Kritik dargestellt, als „neue Ära des Medienfaschismus“, als Zensur - auch wenn das keinen Bezug zur Definition des Begriffes hat, es hört sich gut an. Zwischen Orgasmen und Ejakulat hilft auch der Mantel des Freiheitskampfes nicht mehr. Das Zerstörerische der Trollkultur entlarvt sich damit schonungslos und mahnt, gelassen zu ignorieren – Produktives erwächst aus ihr nicht.