Offizielle Studie zu Gewaltspielen vorgestellt

Jirko Alex
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Die Studie des Hans-Bredow-Instituts (HBI), das im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der Länder untersucht, ob und in welchen Bereichen der Jugendmedienschutz ausgebaut werden müsse, steht nun auch in seiner kompletten Form der Öffentlichkeit zur Verfügung.

Die Studie wird bereits seit Monaten erwartet, unter anderem von Kritikern der in Eigenregie erstellten Ergebnisse des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) unter der Führung von Professor Christian Pfeiffer, das ebenfalls Empfehlungen zu dem Jugendschutz in Hinblick auf die Auswirkungen gewaltverherrlichender „Killerspiele“ aussprach. In den letzten Tagen zitierte aber vor allem der Spiegel aus der Studie und beschrieb die derzeitige Arbeit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), den Ergebnissen der Studie folgend, als mangelhaft. Durch die aktuelle Diskussion genötigt, gaben der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. (BIU) und der Förderverein für Jugend und Sozialarbeit e.V. (fjs) dann auch gleich bekannt, die USK als eigenständige Gesellschaft aufstellen und den Hauptkriterien der Studie entsprechen zu wollen. Auch die Studie selbst, so schreibt das HBI, sei zeitlich früher veröffentlicht worden als ursprünglich geplant und konzentriere sich in Folge der Diskussionen der letzten Monate zum Thema der so genannten „Killerspiele“ verstärkt auf diesen Aspekt. Die kompletten 177 Seiten des Berichtes können auf der Internetseite des Hans-Bredow-Instituts eingesehen werden.

Ausgangslage für die Bewertung der Wirksamkeit des Jugendmedienschutzes ist die Feststellung, dass nach der Reform des Jugendschutzgesetzes im Jahr 2003 bereits eine deutliche Verbesserung auszumachen sei. So wird als positiv hervorgehoben, dass die ehemals von der USK ausgesprochenen Altersempfehlungen seit vier Jahren verbindliche Wirksamkeit besitzen, die Alterskennzeichnung auf der Verpackung von Computer- und Videospielen also für den Käufer und Verkäufer bindend ist. Dies war noch vor 2003 nicht der Fall. Eine Altersbeschränkung nütze aber nichts, wenn sie nicht ausgesprochen werden könne oder beachtet werde. So verweist das HBI darauf, dass beispielsweise Computerspiele, die nicht auf einem Trägermedium erscheinen, also nur als Download verfügbar gemacht werden, nicht in den Zuständigkeitsbereich der USK fallen und somit keine Alterskennzeichnung tragen. Dies trifft insbesondere auf Browsergames oder Episoden sowie Mini-Spiele zu, die über das Internet dem Besitzer von PCs oder aktuellen Konsolen zur Verfügung gestellt werden. Auf mittelfristige Sicht sei dieses Problem jedoch zu vernachlässigen, da abzusehen sei, dass die meisten Firmen ihre Software sowohl auf Trägermedien als auch via Internet vertreiben werden. In diesem Fall müssten auch die Spiele-Downloads die gleiche Altersbeschränkung wie ihre auf DVD oder CD gepressten Pendants tragen. Eine Überlegung hin zur verbindlichen Alterseinstufung reiner Online-Spiele sei jedoch notwendig, wobei hierfür das aktuelle Jugendschutzgesetz erweitert werden müsse.

Verbessert werden müsse außerdem die Transparenz der Kriterien, nach denen Spiele als gefährdend eingestuft und auch indiziert werden. So verwies das HBI bereits auf Broschüren, die die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) auf ihrer Internetseite anbietet und die als Vorbild genutzt werden können; an der Verständlichkeit vor allem für Laien müsse jedoch gearbeitet werden. So sei es schwer, Händlern und Käufern das Vorhandensein von insgesamt vier Kategorien bewusst zu machen, in Folge derer ein Spiel keine Jugendfreigabe besitzt. So existieren neben der Alterskennzeichnung „Freigegeben ab 18 Jahren“ durch die USK auch zwei Indizierungskategorien: Neben der „Indizierung mit strafrechtlicher Relevanz“ existiert auch eine „Indizierung ohne strafrechtliche Relevanz“. Zudem ist ein Spiel, das weder ein USK-Siegel besitzt noch durch die BPjM indiziert wurde, ebenfalls nicht für Jugendliche freigegeben.

Auch die Kontrolle der Spiele durch die USK könne verbessert werden. So stimmt das HBI früheren Vorwürfen des KFN zu, in denen der zeitliche Rahmen für eine Sichtung von Computer- und Videospielen als zu kurz bezeichnet wird. Eine Überschlagsrechnung verdeutliche dies: So prüfe das USK-Gremium jährlich etwa 990 Spiele bei einer angesetzten Sichtungszeit von zehn Stunden. Der entstehende Testaufwand von insgesamt fast 10.000 Stunden Prüfungszeit könne von einem hauptamtlichen USK-Tester jedoch nicht bewältigt werden, weshalb selbst bei einer vermuteten Wochenarbeitszeit von 50 Stunden das Testgremium der USK nur ein Viertel der Spiele einstufen könnte. Die nebenamtlich angestellten Sichter wären jedoch kaum in der Lage, den Rückstand aufzuholen, weshalb das HBI mehr Personal für die USK empfiehlt. Von dieser Feststellung nicht tangiert sind hingegen die Gutachter der USK, von denen es derzeit 53 gibt. Diese sind jedoch nicht für die letztendliche Alterskennzeichnung zuständig. In Bezug auf die BPjM merkt das HBI an, dass sich die beiden Institutionen weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit konzentrieren müssen. So ist es laut Jugendschutzgesetz nicht mehr möglich, ein zuvor von der USK eingestuftes Spiel zu indizieren, weshalb geraten wird, dass die Kriterien für die Alterseinstufung von Computerspielen durch die USK mit denen für eine Indizierung abgeglichen werden. Dies geschehe auch bisher erfolgreich, wie das HBI anmerkt.

Eines der Hauptprobleme des aktuellen Jugendschutzes sieht das HBI – trotz allem – jedoch nicht in der Alterskennzeichnung an sich sondern in der grafischen Darstellung der Kennzeichnung auf der Verpackung sowie der Umgehung dieser Kennzeichnung durch den Händler oder den Käufer. So sei ein Großteil der mit einer Altersfreigabe versehenen Spiele nachvollziehbar eingestuft worden; das entsprechende Produkt werde aber dennoch von Händlern an für die Freigabe zu junge Personen weiterverkauft oder von volljährigen Personen für Jugendliche erworben. Das HBI mache hier ein klares Vollzugsdefizit aus, dass sich zum einen aus einem mangelnden Verständnis vieler Eltern von einer USK-Einstufung – und ihrer Verbindlichkeit gemäß dem Jugendschutz – ergibt, zum anderen aber auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass verbindliche Altersfreigaben als Empfehlungen interpretiert werden. So komme die Darstellung einer USK-Freigabe den Altersempfehlungen auf klassischen Gesellschaftsspielen grafisch nahe, weshalb es vor allem bei nichtspielenden Personen zu einer Fehlinterpretation kommen kann. Teilweise zusätzlich vorhandene, europaweite PEGI-Empfehlungen (unverbindliche Alterskennzeichnung mit einem Alter und einem Pluszeichen) können hier den Eindruck der Beliebigkeit der Altersfreigabe verstärken. Dies führe, unter anderem durch Studien zum elterlichen Regulationsverhalten belegt, dazu, dass sich viele Eltern strenger um den Fernsehkonsum ihrer Kinder als um das Nutzungsverhalten von Computerspielen kümmerten, weil sie letzterem oft hilflos oder unwissend gegenüberstünden.

Eine Empfehlung des HBI geht daher in die Richtung, statt der Bezeichnung „keine Jugendfreigabe“, die oft missverstanden werde, wieder eine Bezeichnung „ab 18 Jahren“ einzuführen. Es müsse aber auch über alternative Wege der Kenntlichmachung nachgedacht werden, auch vor dem Hintergrund, dass statische Altersfreigaben die zunehmend stärker divergierende Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nicht sachgerecht widerspiegeln. Auch müsse in Anlehnung an die unterschiedliche Entwicklung definiert werden, an welcher Konsumentengruppe sich die USK orientieren müsse. So wurde der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle jüngst vorgeworfen, sich nur an „medienkompetenten“ Jugendlichen zu orientieren statt speziell die gefährdeten Personen zu beachten. Eine Fixierung auf eine dieser Gruppen – oder dem altersgemäßen Durchschnitt – würde mehr Transparenz schaffen. Transparenter müssten auch die Kriterien der Überprüfung von Spielen ausfallen. Empfohlen wird in diesem Zusammenhang ein „Mustergutachten“ für Spiele, das es auch dem Laien ermöglicht, die Arbeit der USK nachzuvollziehen.

Umfangreichere Verbesserungen empfiehlt das HBI jedoch im Bereich der Kontrolle der Einhaltung der Altersbeschränkungen. So konzentrierten sich die zuständigen Ordnungsbehörden vor allem auf Live-Veranstaltungen wie Präsentationen, Kinovorführungen oder LAN-Partys. Für die Kontrolle der Einhaltung von Alterskennzeichnungen wären aber vor allem Testkäufe notwendig, die bisher jedoch in keinem gesetzlichen Rahmen festgeschrieben sind. Diesem attestierten Vollzugsdefizit müsse begegnet werden, die bestehenden Gesetze seien hingegen ausreichend, heißt es. So könne der bestehende Paragraph 131 StGB, deren Verschärfung in den letzten Monaten Vertreter aus Bayern und Niedersachsen gefordert haben, bereits heute auf Computerspiele angewandt werden. Verbotserlassungen seien jedoch enge Grenzen gesetzt, da auch PC-Spiele zu geschützten Kommunikationsinhalten gemäß Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes zählten.

Die Studie des HBI widerspricht damit in einem wesentlichen Punkt den Forderungen Professor Christian Pfeiffers, der vor einigen Wochen selbst zu dem Schluss kam, dass ein Verbot der so genannten Killerspiele ein adäquater Schritt zur Verbesserung des Jugendschutzes sei. Vielmehr solle man sich laut der Hamburger Forscher des HBI darauf konzentrieren, die Medienkompetenz zu fördern und auf Grundlage der vorläufigen Evaluationsergebnisse dieser Studie Änderungen am Bewertungssystem sowie der Alterskennzeichnung und der Zusammenarbeit zwischen USK, BPjM, den staatlichen Ordnungsbehörden sowie der Industrie besprechen. Die Arbeit des HBI gehe derzeit jedoch weiter, da unter anderem die Auswirkungen von Werbung auf den Kaufwunsch der Kunden unberücksichtigt blieb und auch erörtert werden müsse, in wie weit sich Vertriebsbeschränkungen in Zeiten des Online-Handels noch durchsetzen lassen. Die ersten Reaktionen auf die Studie aus der Politik fallen jedoch für Spieler positiv aus. So fühlt sich die SPD in ihrem Handeln bestätigt und sieht die Umsetzung von Verbotsforderungen mit der Studie weiter in die Ferne gerückt:

„Wir hoffen, dass das Gutachten die negative Diskussion der letzten Monate, mit der beinahe alle Computerspiele und deren Nutzer diskreditiert wurden, wieder versachlichen kann. Wir dürfen nicht zulassen, dass mit negativen Vorurteilen eine lebendige Kulturszene und eine innovative Branche, die gerade in Deutschland zuallererst für unschädliche und kreative Spiele steht, in Verruf geraten.“

Mitteilung der SPD-Bundestagsfraktion

Angesichts der neuerlichen Forschungsergebnisse sowie der Ankündigungen der letzten Tage die USK betreffend können viele Computerspieler also erst einmal aufatmen. Es steht ein Wandel des Kennzeichnungssystems für Altersfreigaben an – das scheint bei allen Forderungen und Besserungsäußerungen gewiss – der noch vor Wochen und Monaten befürchtete Einschnitt in die Rechte Erwachsener, die Verbote jeder Art darstellen würden, rücken aber mit jeder der 177 Seiten des HBI in unwahrscheinliche Ferne.

25 Jahre ComputerBase!
Im Podcast erinnern sich Frank, Steffen und Jan daran, wie im Jahr 1999 alles begann.