Viel Aufregung um angeblichen „Schultrojaner“

Jirko Alex
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Das Blog Netzpolitik.org berichtete gestern über eine als „Schultrojaner“ bezeichnete Software zur Erkennung von Plagiaten auf Schul-PCs, die im Rahmen eines Gesamtvertrages zwischen Ländern, Verwertungsgesellschaften und Verlagen beschlossen wurde. Seitdem gab es viel Aufregung um das Thema, doch wie viel davon ist begründet?

Die einzelnen Bundesländer haben Ende 2010 einen Vertrag mit Verwertungsgesellschaften und Verlagen geschlossen, der seit dem Januar 2011 gilt und im kommenden Jahr in einem wesentlichen Punkt Anwendung finden soll. So heißt es in § 6 Absatz 4 des „Gesamtvertrag[es] zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 UrhG“ (PDF):

„Die Verlage stellen den Schulaufwandsträgern sowie den kommunalen und privaten Schulträgern auf eigene Kosten eine Plagiatssoftware zur Verfügung, mit welcher digitale Kopien von für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmten Werken auf Speichersystemen identifiziert werden können. Die Länder wirken – die technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit der Software vorausgesetzt – darauf hin, dass jährlich mindestens 1 % der öffentlichen Schulen ihre Speichersysteme durch Einsatz dieser Plagiatssoftware auf das Vorhandensein solcher Digitalisate prüfen lässt. Der Modus der Auswahl der Schulen erfolgt – aufgeschlüsselt nach Ländern und Schularten – in Absprache mit den Verlagen auf Basis eines anerkannten statistischen Verfahrens. Die Überprüfungen erfolgen ab Bereitstellung der Software, frühestens jedoch im 2. Schulhalbjahr 2011/2012.“

Geplant ist also, jährlich die Rechner von mindestens einem Prozent der deutschen Schulen mit einer entsprechenden Software nach Plagiaten von Schulbüchern zu durchsuchen. Dabei wird nicht definiert, welche Software wie zum Einsatz kommen soll, sodass der Begriff des „Schultrojaners“ vermutlich verfrüht in den Mund genommen wurde, weil es keine heimlichen Online-Durchsuchungen geben wird. Vielmehr werden die Schulen über den Einsatz der Software informiert und es soll der Datenschutz gewahrt bleiben.

Damit ist die Crux des Vertrages allerdings noch nicht aus der Welt geschafft. Fraglich sind an dieser Stelle nämlich mehrere Dinge: Zum einen ist unklar, wer die „technische und datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit der Software“ überprüft, ehe sie auf den Schulrechnern eingesetzt wird. Gemäß eines Statements von Christoph Bornhorn, einem Sprecher des Verbandes der Schulbuchverlage (VdS Bildungsmedien) (unter anderem auf TAZ.de), seien die Länder für die Überprüfung der Einhaltung des Datenschutzes zuständig. Gerade diesen mag man den gewissenhaften Umgang mit Fragen des Datenschutzes nach der Aufregung um die (diesmal berechtigterweise) „Staatstrojaner“ getaufte Malware aber nicht recht zutrauen.

Außerdem muss hinterfragt werden, mit welcher rechtlichen Begründung derlei Untersuchungen überhaupt festgeschrieben werden. Thomas Stadler vom Blog Internet-Law hält in seinem Beitrag zum Thema etwa fest: „Ob der Staat Lehrer und Schüler überhaupt zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen von Privatunternehmern überwachen und ausspionieren darf, ist m.E. ganz generell zu hinterfragen. Denn eine gesetzliche Grundlage für diesen Grundrechtseingriff ist nicht ersichtlich.“

Dabei ist in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft ohnehin fraglich, in welche Richtung sich das Urheberrecht in den vergangenen Jahren entwickelte. So sieht – bezogen auf den Einsatz im Unterricht – etwa § 53 Absatz 3 Satz 1 des UrhG vor, dass „Vervielfältigungsstücke von kleinen Teilen eines Werkes, von Werken von geringem Umfang oder von einzelnen Beiträgen, die in Zeitungen oder Zeitschriften erschienen oder öffentlich zugänglich gemacht worden sind [...] zur Veranschaulichung des Unterrichts in Schulen, in nichtgewerblichen Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung sowie in Einrichtungen der Berufsbildung in der für die Unterrichtsteilnehmer erforderlichen Anzahl“ zulässig seien (allerdings auch nur, wenn analoge Kopien angefertigt werden. Digitale Kopien von Werken sind per se nicht erlaubt.) Satz 2 desselben Paragraphen grenzt dabei allerdings Schulbücher wieder aus und legt fest, dass diese nur noch mit Zustimmung der Rechteinhaber kopiert werden dürfen. Um diese Zustimmung zu regeln, dient etwa der strittige Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen, der die Länder nicht nur zu einer Zahlung von 7,3 Millionen Euro in diesem Jahr verpflichtet, sondern eben auch dazu, die Durchsuchung von Schulrechnern nach Plagiaten zu erlauben.

Nicht nur Thomas Stadler stellt dabei fest, „dass Lehrer und Schulleiter damit gezwungen werden, sich durch das unübersichtliche Dickicht des deutschen Urheberrechts zu schlagen und dabei auch noch ein persönliches Haftungsrisiko in Kauf nehmen müssen.“ Die Piratenpartei fordert in einer Reaktion auf die Meldung bei Netzpolitik.org gar, Lehrmittel komplett unter einer freien Lizenz zur Verfügung zu stellen. Die Piraten stellen dabei auch die Frage danach, was passiert, wenn Plagiate auf den Festplatten eines Schulrechners gefunden werden: „Was erfährt der Verlag und wie werden diese Daten übermittelt? Wer darf Daten löschen? Kann gar die komplette Festplatte beschlagnahmt werden? Welche disziplinar- und zivilrechtlichen Konsequenzen hat dies für betroffene Lehrkräfte?“

Eine weitere Frage ist die danach, wie zeitgemäß die Regelungen des Gesamtvertrages sind. Rainer Kuhlen vom Blog nethethics stellt jedenfalls nicht nur Fragen hinsichtlich der Art und Weise, wie die Software funktionieren soll. Seiner Meinung nach stellt der gesamte Vertrag heraus, dass Schulen und andere öffentliche Lehreinrichtungen im analogen Zeitalter festgesetzt werden. „Wie sollen Schulen und SchülerInnen für das digitale Zeitalter fit gemacht werden, wenn den Schulen nicht erlaubt ist, den Schülern einer Klasse auch elektronische Materialien zugänglich zu machen?“ Es stellt sich hier die Frage, weshalb die Länder ihre Verhandlungsmacht (immerhin geht es um Ausgleichszahlungen in jährlich steigender Millionenhöhe) nicht genutzt haben, um gleich auch digitale Kopien zumindest in Grenzen zu ermöglichen.

Zusammenfassend muss man feststellen, dass es wohl auch im zweiten Schulhalbjahr 2011/2012 nicht zum Einsatz eines Schultrojaners im Sinne des EDV-Jargons kommen wird. Was sich die Länder allerdings von den Verwertungsgesellschaften und Verlagen haben unterjubeln lassen, erinnert dann doch schmerzlich an das historische Vorbild: Ein unscheinbares Äußeres mit vernichtendem Inhalt.