US-Senat vertagt Abstimmung über PIPA

Andreas Frischholz
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Am Wochenende ist nach der Vertagung von SOPA („Stop Online Piracy Act“) nun auch die Abstimmung über PIPA („Protect IP Act“) im US-Senat ausgesetzt worden. Kritiker beider Gesetzesvorhaben jubeln über den Erfolg, noch sind diese aber nicht komplett vom Tisch und die Unterhaltungsindustrie pocht nach wie vor auf die Umsetzung.

Die massiven Proteste, die mit dem Blackout Day am vergangenen Mittwoch ein bislang einmaliges Ausmaß erreicht haben, sorgten bei den Volksvertretern im Senat und dem Repräsentantenhaus offenbar für ein Umdenken. Parteiübergreifend haben Politiker erklärt, den Gesetzesvorhaben die Zustimmung zu verweigern. Deswegen wurden die Abstimmungen, die eigentlich in den vergangenen Tagen stattfinden sollten, auf einen unbekannten Zeitpunkt vertagt. Der demokratische Senator Harry Reid hatte erklärt, dass man die Gesetze überarbeiten wolle und hofft, dass Befürworter und Kritiker sich in den kommenden Wochen auf einen Kompromiss einigen.

Beide Gesetzesvorhaben sollten Rechteinhabern und den US-Justizbehörden mächtige Instrumente einräumen, um gegen Webseiten vorzugehen, die im Verdacht stehen urheberrechtlich geschützte Inhalte zu vertreiben. Entsprechende Webseiten mit Sitz außerhalb der US-Gerichtsbarkeit sollen mit Zugangssperren belegt werden. Finanzdienstleister und Werbevermarktern müssten die Zahlung an entsprechende Webseiten unterbinden, ursprünglich waren sogar DNS-Sperren im Gespräch. Kritiker sehen in dem Vorhaben den Versuch, ein Zensurinfrastruktur aufzubauen, die das freie Internet gefährdet.

Wenig begeistert über die neueste Entwicklung zeigten sich Teile der Unterhaltungsindustrie, die mit der Forderung nach einem verschärften Urheberrecht zu den Antreibern hinter den politischen Kulissen zählen. Der Chef des Filmindustrieverbandes MPAA Chris Dodd erklärte gegenüber Fox, die US-Politik müsse mit einem „Gegenschlag von Hollywood“ rechnen. Auf Spenden und Unterstützung aus Hollywood brauche die Politik nicht zählen, wenn keine Rücksicht auf die Interessen der Filmindustrie genommen werde. Ein Kompromiss scheint nach diesen Äußerungen allerdings noch unwahrscheinlicher als zuvor, zu deutlich waren die Reaktionen der Kritiker.

Der Filmverband habe wohl Probleme, zwischen Wahlkampfspenden und Bestechungsgeldern zu unterscheiden, kommentierte der Branchendienst Cinemablend. andernorts werden die Aussagen als „unglaublich dumm“ beschrieben. Dodd bestätige öffentlichkeitswirksam das Bild von den Lobbygruppen der mächtigen Industrien, die sich Gesetze „kaufen“ könnten. Indes gab sich Frances Moore, Chef des Weltverbandes der Phonoindustrie (IFPI), etwas kontrollierter. Er sei zwar enttäuscht von der Vertagung, will aber aus dem Kongress erfahren haben, dass in den kommenden Wochen ein Kompromiss gefunden werde.

Europa hält sich bedeckt

Europäische Politiker haben sich bislang mit Kritik an den US-Gesetzesinitiativen zurückgehalten. Eine der Ausnahmen stellt EU-Kommissarin Neelie Kroes dar, sie begrüßt eine Kehrtwende bei SOPA. Man benötige keine schlechte Gesetzgebung, sondern solle eher versuchen, die Freiheiten des Internets zu bewahren. Dabei ist der Einfluss der US-Gesetzgebung auf die europäischen Internetnutzer nicht zu unterschätzen: Bei den Seitenaufrufen haben US-Seiten beziehungsweise deren deutsche Ableger einen Anteil von rund 81 Prozent in Deutschland, Großbritannien kommt sogar 89 Prozent. Die Zahlen stammen aus einer Studie von Statista, die im Auftrag von Spiegel Online erstellt wurde und auf Daten aus Googles Ad Planner basiert.

„Wo surft die Welt?“ | Quelle: Spiegel Online
„Wo surft die Welt?“ | Quelle: Spiegel Online

Im Windschatten von SOPA und PIPA rückt hierzulande die Debatte über ACTA („Anti-Counterfeiting Trade Agreement“) allmählich in den Fokus der Öffentlichkeit. Das ACTA-Abkommen hat ähnlich wie die US-Gesetzesvorhaben eine Stärkung der Rechteinhaber zum Ziel, indem etwa Provider und Plattformbetreiber in die Pflicht genommen werden, verstärkt gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen. Bürgerrechtler kritisieren das Abkommen, vor allem weil die Verhandlungen lange Zeit hinter verschlossenen Türen stattfanden und erst spät erste Entwürfe in die Öffentlichkeit gelangten – gegen den Willen der Verhandlungspartner. Nach Ansicht der Kritiker wären die Formulierungen der bislang bekannten Entwürfe noch zu vage. Außerdem befürchtet man eine Gefährdung der Grundrechte, unter anderem weil Provider die Forderung erhalten könnten, den Datenverkehr nach potentiellen illegalen Inhalten zu filtern. Markus Beckedahl von der Digitalen Gesellschaft und Netzpolitik.org erklärte zudem gegenüber Zeit Online, dass hinter ACTA dieselben Lobby-Gruppen stehen, die bereits in den USA als die treibenden Kräfte für SOPA und PIPA aufgetreten sind.