CDU- und FDP-Politiker klagen über Anonymität im Netz

Andreas Frischholz
178 Kommentare

Die Anonymität im Internet begünstige derbe Streitereien und Beleidigungen, klagt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Ähnlich angesäuert zeigte sich FDP-Generalsekretär Patrick Döring nach dem Wahldebakel im Saarland über eine „Tyrannei der Massen“ im Netzdiskurs, gefördert durch die Anonymität der Beteiligten.

Lammert erklärte gegen über dem Spiegel: „Wir beobachten im Internet an vielen Stellen eine Art der Auseinandersetzung, die in Aggressivität, Wortwahl und Tonlage die Grenzen überschreitet.“ Die aggressivere Diskussionskultur setzt er in einen Zusammenhang mit der Anonymität im Netz, denn viele beleidigende und aggressive Beiträge würden von Nutzern veröffentlicht, die einen großen Wert auf Anonymität legen – in vielen Fällen würden sich Nutzer „unter Offenlegung ihrer Identität zu bestimmten Aussagen ganz sicher nicht versteigen“.

Lammert geht davon aus, dass zukünftig zwei Arten von Öffentlichkeit existieren werden. Eine „virtuelle und eine reale, die von denselben Akteuren unterschiedlich bespielt“ werde. Darüber hinaus unterscheidet er zwischen digitalem und klassischem Nachrichtenkonsum. Im Internet informiere man sich über Dinge, die man selber spannend und unterhaltsam finde. Setze man stattdessen auf Printmedien und Rundfunk, werden Informationen wahrgenommen, die andere als wichtig eingestuft haben.

Patrick Döring dürfte dagegen der Erfolg der Piratenpartei im Saarland auf das Gemüt geschlagen haben. Die Politikneulinge zogen mit 7,4 Prozent der Stimmen in den saarländischen Landtag ein – im Gegensatz zur FDP, die nur noch 1,2 Prozent erhalten hatte. Da die Piraten aufgrund des liberalen Profils als direkter Konkurrent der FDP gelten, war der Wahlausgang offenbar Anlass für Dörings scharfe Formulierungen. Seiner Ansicht nach sei das Politikbild der Piraten „manchmal so stark von der Tyrannei der Masse geprägt, dass ich mir das als Liberaler nicht wünsche, dass dieses Politikbild sich durchsetzt“. Durch den Schutz der Anonymität im Netz agiere diese Masse bisweilen extrem aggressiv.

Wenig überraschend stießen Dörings Verlautbarungen auf heftigen Widerspruch, gestern Nacht und im Verlauf des heutigen Tages zog ein formidabler Shitstorm über ihn hinweg. So schrieb etwa der Twitter-Nutzer „bosch“:

Für #FDP-Generalsekretär Döring ist es die „Tyrannei der Masse“. Alle anderen nennen es Demokratie.

Kritisch Töne kamen auch von führenden Mitgliedern der Piratenpartei. Ein Berliner Abgeordneter attestierte Döring einen „schlechten Stil“, während Parteivorsitzender Sebastian Nerz von einem bemerkenswerten Unverständnis Dörings für eine moderne Gesellschaft sprach. Deutlichere Worte ergriff Nerz‘ Stellvertreter Bernd Schlömer: Dörings Äußerungen passe „zum verblassten Zeitgeist der FDP, da sie offensichtlich statt auf Bürgerbeteiligung auf einsame Entscheidungen in einem Elfenbeinturm setzt“.

Döring beharrt allerdings auf seiner Meinung und empfindet es als absurd, dass die Piraten maximale Transparenz einfordern würden, gleichzeitig aber den Schutz der Anonymität verlangen. Teilweise auch „stilistisch hoch unflätig äußernde Anonymität“ empfindet er als Stimmungsmache, stattdessen wünscht er sich intellektuelle Debatten im Netz – unter echtem Namen. Wie eine „intellektuelle Debatte“ entstehen soll, wenn Politiker wie Döring diese mit einem verbalen Rundumschlag starten, bleibt allerdings unklar.

25 Jahre ComputerBase!
Im Podcast erinnern sich Frank, Steffen und Jan daran, wie im Jahr 1999 alles begann.
  178 Kommentare
Themen:
  • Andreas Frischholz E-Mail
    … ist Politikwissenschaftler und berichtet seit 2004 über Netzpolitik, Tech-Ökonomie und den digitalen Wandel der Gesellschaft.
Quelle: Spiegel

Ergänzungen aus der Community

  • lemon03 27.03.2012 10:34
    Es ist ganz einfach, früher konnte man die Massen insofern manipulieren, dass man ihnen einfach was vom Pferd erzählt hat. Nun finden sie es ungerecht, dass man plötzlich die Fakten nachlesen kann "Suxxess, post: 11752960
    Einspruch. Gerade im Internet wird einem was vom Pferd erzählt. Und die Leute lesen eben nicht nach. Sonst würde nicht soviel selbst ausgedachter Unfug erzählt und akzeptiert.

    Irgendwelche Blogs zu lesen, ist keine Informationssuche.
  • Tofu 27.03.2012 11:51
    Einspruch. Gerade im Internet wird einem was vom Pferd erzählt. Und die Leute lesen eben nicht nach. Sonst würde nicht soviel selbst ausgedachter Unfug erzählt und akzeptiert.
    Die Leute sind selbst Schuld wenn sie jeden Humbug glauben ,etwas mehr Nachdenken und mit gesundem Verstand abwägen sollte nicht zuviel verlangt sein ,wer leichtgläubig durch die normale oder virtuelle Welt geht hat schon verloren.
  • -oSi- 27.03.2012 21:16
    Was mich aber sehr stört ist die Tatsache, dass sich die Netzgemeinde sehr zu Hexenjagden hinreissen lässt, und das ganze dann ruckzuck mit Beleidigungen und dummen Sprüchen endet. "GuyIncognito, post: 11752848
    Ja, das sieht man auch in diesem Thread recht gut. Es hält sich aber in Grenzen.

    Wir wollen immer alle so viel besser sein als die Volksvertreter in unseren Parlamaneten, doch oft endet es damit, dass wir uns aufführen wie Steineschmeißer, die ausser Wut und ihrer Ich-bin-dagegen-Haltung nichts konstruktives beizutragen haben.
    Heuchelei trifft es gut.
    Politiker spiegeln doch im Grunde nur die Gesellschaft wieder, wie sie wirklich ist.


    So erfährt man wenigstens was die Leute wirklich denken und nehmen kein Blatt vor den Mund. "Hellsfoul, post: 11752957
    Es kommt nicht auf das was sie denken an, sondern wie es vorgetragen wird.


    Warum solche Politiker-Aussagen immer wieder so ein großes Gehör in den Medien finden und nebenbei andere wichtige Themen aus den Augen verloren werden, wundert mich schon.
    Evtl. läßt sich so auch schön von anderen Sachen ablenken. Wer weiß...

    Vor einigen Jahren, vorletzte Bundestagswahl glaube ich war es, zeigen sie im TV Meinungen auf einer "Sieger-Party". Da sagte einer in seinem Frust über das Wahlergebnis in die Kamera: "Scheiß Wähler". Leider finde ich dazu kein Video.
    Diese Randnotiz fand kein Medienecho.
    Naja, man sollte evtl. nicht zu viel auf Aussagen nehmen, die im Frust oder aus Verzweiflung gesagt wurden.
  • Anonymous 28.03.2012 23:11
    Lammert hat lediglich auf die Aggressivität im Internet aufmerksam gemacht. die Abschaffung der Anonymität geht ihm aber zu weit. In beiden Punkten stimme ich Lammert zu.

    Er hat sich dafür ausgesprochen, dass sich der Rechtsstaat auch im Internet behaupten müsse. auch in diesem Punkt kann ich nur zustimmen. Die beiden von mir genannten Beispiele zeigen, dass die Umgangsformen im Netz zeitweise problematisch sind. In Deutschland findet dies aber kaum Beachtung, obwohl die Folgen für die Betroffenen alles andere als erfreulich sind.

    Das Internet ist nicht nur eine Plattform die dem Austausch von Informationen dient, sondern hat zum Teil auch einen höchst manipulativen Charakter. Nachrichten, egal ob sie den Tatsachen entsprechen oder verfälscht sind, verbreiten sich rasend schnell. Das beste Beispiel ist diese Meldung auf dieser Seite. Die Meldung lässt einen entscheidenden teil von Lammerts Aussage weg. Das Ergebnis ist eine erzürnte Netzgemeinde. Sicher, so etwas gab es schon immer und ist ein bekanntes Stilmittel der Presse. durch das Internet bekommt es aber noch einmal eine völlig andere Dynamik. Nur diese Dynamik ergreift auch andere Bereiche insbesondere soziale Netzwerke, mit äußerst unangenehmen folgen für die Betroffenen. Daher finde ich eine gesellschaftliche und politische Diskussion sinnvoll.

    Und nimmt man das Döring Zitat. Der Begriff Tyrannei der Masse, stammt nicht von Döring selbst sondern ist eher Alexis de Tocqueville zuzuschreiben und beschreibt sicher in Anlehnung an den Begriff der Ochlokratie auch "Schattenseiten" der Demokratie. Folgendes Zitat beschreibt recht treffend was sich im Netz zum Teil abspielt: "Dann droht ihm innere Ausstoßung, die Isolation in der Gemeinschaft. Daher schweigt die Minderheit: aus Angst. „Du hast die Freiheit, nicht zu denken wie ich; Leben, Vermögen und alles bleibt dir erhalten; aber von dem Tage an bist du ein Fremder unter uns. Du wirst dein Bürgerrecht behalten, aber es wird dir nichts mehr nützen; denn wenn du von deinen Mitbürgern gewählt werden willst, werden sie dir ihre Stimme verweigern, ja, wenn du nur ihre Achtung begehrst, werden sie so tun, als versagten sie sie dir. Du wirst weiter bei den Menschen wohnen, aber deine Rechte auf menschlichen Umgang verlieren. Wenn du dich einem unter deinesgleichen nähern wirst, so wird er dich fliehen wie einen Aussätzigen; und selbst wer an deine Unschuld glaubt, wird dich verlassen, sonst meidet man auch ihn. Gehe hin in Frieden, ich lasse dir das Leben, aber es ist schlimmer als der Tod"

    Die Piratenpartei steht zwar für mehr Transparenz in der Politik, ein Ziel das ich nur begrüßen kann, vertritt für mich aber nur einen sehr kurzsichtigen Freiheitsbegriff. Dieser kann, so wie in viele ihrer Wähler einfordern, durchaus in der Tyrannei der Mehrheit enden. Denn er berücksichtigt für mich nicht ausreichend den Ausgleich zwischen den Interessen der Mehrheit und der jeweiligen Minderheit. Doch gerade dies ist ein wesentliches Merkmal einer nachhaltigen demokratischen Politik.

    Die Piraten sind daher für mich nicht wählbar. dennoch halte ich sie für eine Bereicherung in der Parteienlandschaft. Ihre Forderung nach mehr Transparenz trifft einen Zeitgeist und hat eine längst überfällige Diskussion ausgelöst