Kommentar: 80Plus ist nicht 80Plus

Philip Pfab
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Kommentar: 80Plus ist nicht 80Plus
Philip Pfab

80Plus ist nicht 80Plus

Anlässlich unseres Tests des LC-Power Gold Series LC9450 Netzteils, das das ausgewiesene 80Plus-Gold-Niveau beim Wirkungsgrad in der Praxis verfehlt, zeigt sich wiedereinmal die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim 80Plus-Programm. Denn nutzen Hersteller die Lücken im System, so können sie quasi beliebige Netzteile zertifizieren lassen. Schlussendlich kann der Kunde anhand des Siegels leider keine sichere Aussage zum Wirkungsgrad eines Netzteils machen.

Die Idee hinter dem 80Plus-Programm für PC-Netzteile ist einfach: Eine unabhängige Organisation testet die Effizienz von Computer-Netzteilen und vergibt je nach erfülltem Standard ein passendes werbeträchtiges Logo. Der nicht unzweifelhaft positive Effekt: Seit dem Startschuss im März 2004 sensibilisiert das 80Plus-Zertifikat Verbraucher für den Wirkungsgrad ihres Spannungswandlers, ermöglicht den schnellen Vergleich zwischen Modellen unterschiedlicher Hersteller und garantiert einen gewissen Qualitätsstandard. Nachdem die Effizienz jahrzehntelang keine Rolle spielte, überbieten sich die Netzteil-Marken heute mit hocheffizienten Netzteilen. Eine traumhafte Erfolgsgeschichte – leider mit vielen Tücken.

Denn auch wenn das 80Plus-Zertifikat höchste Effizienz verspricht, kann der Konsument sich leider nicht darauf verlassen, wirklich die versprochene Leistung zu erhalten. Ein 80Plus-Logo ist schlimmstenfalls nicht mehr Wert als ein Versprechen des Herstellers, denn das System 80Plus hat gravierende Mängel.

Natürlich kann man jetzt an dieser Stelle die Umweltbedingungen für den offiziellen Test kritisieren, denn Gehäusetemperaturen von 18 Grad sind beispielsweise in der Praxis eher selten anzutreffen. Andererseits sind die Bedingungen für alle Probanden gleich und in den offiziellen Richtlinien auch öffentlich einsehbar.

Natürlich kann man darüber streiten, ob die Auslastungsszenarien so sinnvolle und aussagekräftige Grundlagen für eine alltagstaugliche Bestimmung der Effizienz sind, denn während man bei Netzteilen mit hoher Nennleistung leichter ein bestimmtes 80Plus-Niveau erreicht, sind passend dimensionierte Netzteile oft sparsamer als Watt-Monster.

Natürlich kann man auch die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, dass man nur durch eine Änderung auf dem Datenblatt ohne jegliche Änderung der Elektronik einen besseren Wirkungsgrad erreichen kann, weil das Datenblatt Grundlage der Lastkalkulation ist, die wiederum den Wirkungsgrad beeinflusst.

Im Vergleich zu den tatsächlichen Mängeln sind derartige Überlegungen aber klar nachrangig.

Das Hauptproblem hingegen ist, dass man – überspitzt gesagt – jedes beliebige 80Plus-Label auf jedes beliebige Netzteil kleben kann, völlig unabhängig vom tatsächlich erreichten Wirkungsgrad. Was soll ein Effizienzsiegel dann noch aussagen? In der Praxis bleibt es dann nicht nur bei der abstrakten Möglichkeit, sich Effizienzsiegel zu erschummeln, in der Vergangenheit sind in der Tat bereits mehrere Netzteile mit gefälschten Zertifikaten enttarnt worden. Teilweise wurden Netzteile mit 80Plus-Logo geschmückt, die nie auch nur im Testlabor eingegangen sind. Ohne dass jemals ein offizieller Test durchgeführt wurde, geschweige denn ein Zertifikat erteilt wurde, wurden Produkte munter mit fremden Federn geschmückt. Die gute Nachricht ist – solche Schummeleien fallen sofort auf: Wer auf der offizielle Seite 80plus.org nach dem Testreport durchsucht, sieht sofort, dass das Netzteil dort nicht zu finden ist.

Allerdings bedeutet auch ein korrekter Testreport nicht, dass das soeben teuer erworbene Netzteil den versprochenen Wirkungsgrad liefert: Jeder Hersteller sendet selbst sein Testmuster ein. Inwiefern das Muster dann den tatsächlich verkauften Netzteilen entspricht, wird von Ecos Consulting und EPRI, den Machern des Zertifikats, nicht geprüft. Egal ob nur ein verändertes Datenblatt, ein anderer Kabelbaum, einzelne veränderte Elektronik-Komponenten oder völlig anderes Schaltungsdesign: solange die Modellbezeichnung passt und das Netzteilgehäuse am besten noch ähnlich zur Verkaufsversion ist, lässt sich so problemlos das gewünschte 80Plus-Niveau erreichen. Faktisch ist dem Betrug am Kunden damit Tür und Tor geöffnet – denn nichts hindert einen Hersteller daran, ein völlig anderes Netzteil mit der gleichen Produktbezeichnung einzureichen. Die formal bestehende Unabhängigkeit des 80Plus-Organisation ist dann in der Praxis nutzlos. Könnte man die TÜV-Prüfung ohne Nachteil auch mit einem beliebig ausgewählten Fahrzeug des gleichen Modells absolvieren, würden wohl kaum noch Fahrzeuge durchfallen. Bei Netzteilen scheint dies aber möglich zu sein, der Hersteller entscheidet nach eigenem Gutdünken, welches Exemplar zur offiziellen Überprüfung antritt.

Alternativ kann der OEM des Netzteils einfach erklären, dass das Netzteil technisch identisch zu einem anderen Produkt ist. Das neue Netzteil wird dann gar nicht selbst getestet, sondern erhält einen Test-Report aus den Daten des zugrunde liegenden Modells, lediglich Foto und Modellbezeichnung werden aktualisiert. Der deutlich geringere Aufwand zahlt sich für den Auftraggeber des Zertifikats, also den Netzteil-Hersteller, auch finanziell aus, 50 Prozent auf den regulären Tarif sind üblich. Inwiefern das neue Produkt tatsächlich mit der Basisversion identisch ist, bleibt hingegen Vertrauenssache. Um den Auto-Vergleich noch einmal heranzuziehen: Man stelle sich vor, man könnte beim TÜV einfach selbst erklären, dass das Fahrzeug in seinem technischen Zustand dem eines bereits geprüften Fahrzeug entspräche und würde sofort seine Plakette bekommen.

Wenn dann später nicht gerade ein kritischer Tester mit gut bestücktem Testlabor ein Exemplar aus dem Handel testet, fällt Schwindel nicht einmal auf. Endkunden und leider auch viele Tester verfügen aber nicht über die nötige (teure) Ausrüstung, den Wirkungsgrad präzise zu bestimmen. Mit ausreichender betrügerischer Energie könnte der Hersteller darüber hinaus auch ausgewählte Tester mit sogenannten Golden Samples versorgen. Spezielle Test-Exemplare, die deutlich besser als die regulären Serienmodelle sind, könnten für positive Berichterstattung sorgen.

Und wenn die Mauschelei dann im Rahmen einer Pechsträhne doch auffällt und ein kritischer Testbericht das Licht der Welt erblickt hat, geht die Suche nach den Schuldigen an der Misere los. Anscheinend ersetzt 80Plus nämlich bei kleineren Marken auch weitgehend die interne Evaluation der eigenen Produkte: Die Netzteilserie wird vom Marketing geplant, die Fertigung an einen OEM vergeben und ein Exemplar direkt vom OEM zu 80Plus geschickt, um festzustellen, ob die Netzteile den Vorgaben entsprechen. Klar, eigene Test-Technik ist teuer, selbst für eine Grundausstattung sind fünfstellige Beträge anzusetzen. Zudem benötigt man Know-How, um valide Tests durchzuführen – warum diesen Aufwand betreiben, wenn 80Plus bereits ein Muster geprüft hat?

Ohne eigene Prüfungen ist man als Netzteilanbieter seinem Auftragsfertiger völlig ausgeliefert. Wer garantiert, dass das an 80Plus versandte Muster und die später gelieferten Serienexemplare identisch sind? Ohne eigene Routinekontrollen wird man Abweichungen nicht bemerken. Dass Auftragsfertiger ohne Absprache Änderungen vornehmen, kommt gelegentlich vor, LC-Power ist hier keineswegs die erste betroffene Netzteilmarke.

Im Endeffekt ist ein 80Plus-Siegel daher nicht mehr als ein Versprechen, aber sicher keine Garantie. Wenn man es genau als das behandelt, was es ist, ist 80Plus eine bequeme Entscheidungshilfe: Vertraue ich dem Hersteller, kann ich auch dem 80Plus-Siegel vertrauen. Bei Herstellern mit zweifelhaftem Ruf kann man dann wieder eine bewährte Weisheit anwenden: Es gibt keine Unschuldsvermutung bei PC-Netzteilen. Solange nicht ein professioneller Test das Gegenteil bewiesen hat, sollte man sicherheitshalber bewährte Produkte kaufen.

Das 80Plus-Programm heute leidet unter seiner Abstammung, für die ersten beteiligten Hersteller war Fair Play selbstverständlich: Würde ein großer OEM wie Seasonic falsche 80Plus-Plaketten vergeben, würden Marke und Kundenbeziehungen zu Systemintegratoren ernsthaften Schaden nehmen. Inzwischen ist ein 80Plus-Zertifikat ein entscheidendes Verkaufsargument für alle Hersteller, auch kleine Marken beteiligen sich am Programm. Auf eine Einführung von Kontrollmechanismen, zum Beispiel durch eine Stichprobe aus dem Handel, wurde völlig verzichtet. Im konkreten Fall des LC-Power Gold-Serie LC9450 wäre sogar ein gutes Foto des Datenblatts ausreichend gewesen, um den Sachverhalt schnell aufzuklären.

80Plus ist nur sehr begrenzt unabhängig: Die Firma Ecos Consulting als Inhaber der Marke 80Plus muss Geld verdienen und dafür möglichst viele Kunden, also Netzteil-Hersteller, für das 80Plus-Programm begeistern. Anders als Tests wie die der Stiftung Warentest, die durch öffentliche Mittel und Zahlungen der Endkunden finanziert werden, oder Testberichte von Redaktionen, die schlussendlich über Kaufpreis des Magazins beziehungsweise Leserinteresse und die Werbeeinnahmen honoriert werden, werden die Kosten von 80Plus (etwa 1.500 US-Dollar pro Netzteil-Modell) direkt vom Hersteller getragen. Als alleinige Entscheidungsgrundlage sollte ein ungeprüftes 80Plus-Siegel daher nie dienen.

Wenn Betrug am Kunden wie in diesem Fall so einfach ist, wird es immer wieder Anbieter geben, die die bekannten Lücken im System 80Plus schamlos auszunutzen. Wer auf Nummer sicher gehen will, der muss auf unabhängig Tests setzen – und nicht auf den Aufkleber am Gehäuse. Zumindest solange, bis Ecos Consulting den eigenen Zertifizierungsprozess robuster ausgestaltet; beispielsweise durch das Testen von zufällig ausgewählten Handelsgeräten.

Hinweis: Der Inhalt dieses Kommentars gibt die persönliche Meinung des Autors wieder. Diese Meinung wird nicht notwendigerweise von der gesamten Redaktion geteilt.

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