„Klicktivismus“ als Placebo für politische Aktivität

Andreas Frischholz
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Im politisch orientierten Teil der Netzgemeinde herrscht Resignation: Dass der Bundesrat das Leistungsschutzrecht trotz Mehrheit der vermeintlichen Gegner durchgewinkt hat, liegt einigen schwer im Magen. Nun stellt sich die grundsätzliche Frage, inwiefern ein „Klicktivismus“ politische Aktivität verhindert.

Dass das Leistungsschutzrecht trotz zahlreicher Kritiker verabschiedet wurde, beschreibt Sascha Lobo in einem Blog-Beitrag als „Versagen der Netzgemeinde“ – also derjenigen, die sich persönlich für Netzpolitik interessieren und „deren Priorität die Erhaltung und Weiterentwicklung des freien, offenen Internets ist“. Diese zeigen zwar eine weitestgehend einheitliche Haltung zum Leistungsschutzrecht, hätten es aber nicht geschafft, das Thema den Leuten außerhalb der Netzgemeinde zu erklären und zu vermitteln.

Das liege auch daran, dass dieses Mal die „Standard-Strategie“ nicht gegriffen hätte: „So lange herumzukreischen, bis die Erwachsenen-Medien anfangen mitzumischen“ – wegen der oftmals recht einseitigen Berichterstattung bei diesem Thema hätte das aber nicht funktioniert. Andere netzpolitische Blogger widersprechen Lobo, immerhin haben die Proteste und Kritiken gegen das Leistungsschutzrecht dazu geführt, dass letztlich nur in eine entschärfte Fassung verabschiedet wurde.

Eine Mitschuld sieht Lobo zudem bei den Piraten, die durch ihre ersten Wahlerfolge viele potentielle Aktivisten zu dem Gedanken verleitet hätten, mit der politischen Vertretung in den Parlamenten sei ein persönliches Engagement nicht mehr nötig. Ähnlich sieht es Frank Rieger: „Um mal präzise zu formulieren: mit ihrem Gezänk und Kindergartenverhalten haben die Piraten dafür gesorgt, dass Netzpolitik wieder egal ist“. Der Blogger Fefe ergänzt die Kritik um die zahlreichen Petitionen, die zwar unterzeichnet werden, allerdings die Leute „damit ihren Part für erledigt“ halten.

Ähnlich argumentiert Ralf Fücks, Chef der Heinrich-Böll-Stiftung. Netzkampagnen würden zum Placebo für politische Beteiligung verkommen, erklärte er anlässlich einer Podiumsdiskussion auf der Tagung „Energize, Polarize, Mobilize“. Unterstützung oder Widerstand bei politischen Vorhaben gestalte sich oftmals als kurzfristiger „Hype“, wichtiger sei jedoch ein langfristiges Engagement, um kontinuierlich an Themen zu arbeiten. Eine ähnliche Einschätzung teilt Katarzyna Szymielewicz von der polnischen Bürgerrechtsorganisation Panoptykon; manche Online-Kampagnen würden eine trügerische Gewissheit vermitteln. Sie verweist diesbezüglich auf die ACTA-Proteste, bei denen europaweit sogar weit über 100.000 Menschen auf die Straße gingen, aber bereits drei Monate später habe sich „schon niemand mehr dafür interessiert“ – obwohl die entscheidende Abstimmung im EU-Parlament noch ausstand.

Da es sich bei den Netzprotesten oftmals um Bewegungen „ohne Sprecher und Führer“ handele, sei es zudem schwierig, die Botschaften in die traditionellen Medien zu übertragen. Bei ACTA war das etwa hierzulande erst der Fall, nachdem einige Abgeordnete im polnischen Parlament mit Anonymous-Maske gegen das Gesetz protestierten. Letztlich hängt es vom Kontext ab, ob sich Proteste im Netz auf die reale Welt übertragen, sagte die US-Bürgerrechtlerin Jillian York von der Electronic Frontier Foundation (EFF). So machte etwa kurz vor dem arabischen Frühling die Meldung die Runde: „Die Revolution wird nicht getwittert.“ Nichtsdestotrotz biete das Internet hervorragende Möglichkeiten, um die Reichweite politischer Kampagnen zu erhöhen.

Allerdings sei es problematisch, dass insbesondere die Meinungsmacher im Netz oftmals nur auf den jeweils gerade kursierenden Shitstorm reagierten, sagte Markus Beckedahl von Digitale Gesellschaft. Themen wie die EU-Datenschutzreform, die für die Gestaltung der digitalen Welt eine große Bedeutung haben, laufen hingegen unter ferner liefen. Laut Fücks müssten Netzaktivisten zu einer „konstruktiven Politik“ übergehen, das Internet befinde sich in einer neuen Phase, in der es „nicht mehr nur um Freiraum, sondern auch um Regulierung geht“.

Um die in der digitalen Welt geschaffenen öffentlichen Güter zu erhalten, sollten die Netzaktivisten nicht als reine „Anti-Bewegung“ auftreten, sondern politische Alternativen entwickeln – ähnlich wie einst die Grünen. Für „mehr Leute, die in die Parlamente gehen“, sprach sich auch Katarzyna Szymielewicz aus. Allerdings zeigt die Kritik an den deutschen Piraten, dass es damit alleine offenbar nicht getan ist.