Tomb Raider im Test: Eine Studentin auf Abwegen

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Sasan Abdi
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Tomb Raider auf einen Blick

Für „Tomb Raider“ stellt sich noch ein wenig stärker als für andere altgediente Marken die entscheidende Frage, wie man die Inhalte sinnvoll weiterentwickeln kann, ohne dabei das, wofür der Name steht, völlig zu verwaschen. Im Zentrum der Mission, mit der sich Crystal Dynamics konfrontiert sah, steht also der altbekannte Drahtseilakt zwischen schonender Weiterentwicklung und gekonnter Konservation von alten aber nach wie vor guten Kompetenzen – ein Unterfangen, an dem regelmäßig wohlklingende Projekte scheitern.

Vor diesem Hintergrund wählen die Entwickler einen gewagten aber sinnvollen Ansatz: Statt der Story, der Spielmechanik oder der Technik steht der Charakter der Protagonistin im Vordergrund. Dies ist aber nicht etwa der Fall, weil Lara Croft über eine platte, diffuse und damit ausbaufähige Biographie verfügen würde; im Gegenteil, es existieren mindestens zwei unterschiedliche Versionen. Demnach wurde Lara als Kind adliger Eltern in die britische High-Society geboren, interessierte sich aber frühzeitig eher für Abenteuer als für die feine Gesellschaft. In einer Spielart der Biographie verstoßen ihre Eltern sie aus diesem Grund, in einer anderen sterben sie frühzeitig. Von diesem Setting ausgehend wurde der Charakter von Lara Croft über die folgenden Videospiel-Ableger aber auch in Filmadaptionen in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt, was mit Blick auf den für das neue „Tomb Raider“ ausgefeilten Entwicklerplan schon die Frage in den Raum stellt, welchen neuen Aspekt Crystal Dynamics im Jahr 2013 noch beleuchten könnte.

Diese Schwierigkeit wird von den Verantwortlichen hervorragend gelöst. Was den vielen Lara-Interpretationen nämlich gemein ist, ist die einseitige Darstellung als Über-Amazone: Als äußerst attraktive, teils abstrus übersexualisierte Frau gezeichnet, vereint Lara bisher alle Fertigkeiten einer beinharten Fighterin. Gegner und wilde Tiere mit unterschiedlichsten Waffen um die Ecke bringen: ohne Augenzwinkern. Die Eltern verlieren und von guten Freunden betrogen werden: kein Problem. Alleine durch die Wildnis ziehen und mit allerlei Gefahren wie waghalsigen Klettereinlagen konfrontiert sein: locker. Kein Wunder also, dass Lara gemeinhin als ultimative Powerfrau gekannt und geliebt wird, was ihr beispielsweise einen historischen Auftritt in einem Musikvideo von Die Ärzte einbrachte. In dieser Heroisierung und Sexualisierung hat man es mit einem etwas bizarren Umstand zu tun, da dieser kristallisierte Wert des Charakters bei aller Ausschmückung dann doch vor allem eines ist: platt.

Insofern wählen die Entwickler den goldrichtigen Weg, indem sie eine Vor-Amazonen-Lara zeigen: Wie war Lara in jungen Jahren? Wie wurde sie zur coolen Frau, die heute fast jeder kennt? Diese Fragen haben Crystal Dynamics bei der Entwicklung geleitet – und sie funktionieren sehr gut, um den Spieler in „Tomb Raider“ bei der Stange zu halten.

Tomb Raider im Test
Tomb Raider im Test

„Wir möchten, dass Lara gemeinsam mit dem Spieler an den gestellten Aufgaben und Herausforderungen wächst“, erklärte uns im Sommer in diesem Zusammenhang Karl Stewart von Crystal Dynamics im Interview den Ansatz. „Wir könnten Lara einfach zwei Waffen in die Hand drücken und die Geschichte in Rückblenden erzählen. Aber was wir uns stattdessen wünschen, ist, dass der Spieler diese Entwicklungen, den langsamen Aufstieg, miterlebt“, so Stewart damals weiter.

Dementsprechend wird „Tomb Raider“ gerade nicht in Rückblenden, sondern wie ein klassisches Action-Abenteuer am Stück erzählt: Die junge Lara Croft sucht nach dem Abenteuer ihres Lebens und wird dazu als College-Absolventin Teil einer Forschungsmission, die an Bord des Schiffes Endurance in See sticht, um im sogenannten Teufelsmeer, das tatsächlich als asiatische Variante des legendären Bermudadreiecks gilt, nach einer verborgenen Insel zu suchen. Diese Mission läuft natürlich völlig aus dem Ruder: Ein Sturm lässt die Endurance auf die gesuchte, wilde und scheinbar unbewohnte Insel auflaufen, wobei viele Mitglieder der Expedition überleben und über die Insel verteilt werden, unter ihnen auch Lara.

Tomb Raider im Test
Tomb Raider im Test

Diese Ausgangslage nehmen die Storyschreiber als Grundmischung dafür, eine ziemlich neue Lara zu zeigen. Dies fängt schon bei Äußerlichkeiten an – Lara wird weiterhin attraktiv aber längst nicht mehr übertrieben gezeichnet wie in den Vorgängern – und schlägt sich aber vor allem in ihrem Umgang mit der Situation nieder: Statt die Dinge sofort als toughe Superfrau in die Hand zu nehmen, rutscht Lara Stück für Stück in diese Rolle, ohne dem in den Vorgängern präsentierten Endzustand jemals allzu nah zu kommen. Auch am Ende der rund vierzehnstündigen Kampagne ist Lara Croft deswegen längst nicht so stahlhart wie ihr Pendant in den Vorgängertiteln. Diese evolutionäre Entwicklung wird für den Spieler tatsächlich wie von den Entwicklern avisiert erfahrbar. Man fühlt mit, wenn Lara schon in den ersten Minuten ein Tier töten und weiden muss, um überleben zu können. Und man nimmt ihr den Terror ab, den sie empfindet, als sie in vollständiger (und im Sommer 2012 noch vieldiskutierter) Bedrängnis zur ultimativen Verteidigung greift und einen – ihren ersten – Menschen tötet.

Auch wenn es die Anlage als Action-Spiel notwendig macht, dass auf diese erste Tötung überraschend schnell überraschend viele weitere folgen, machen die Entwickler im weiteren Verlauf immer wieder deutlich, dass auch eine Lara Croft nicht als Superheldin geboren wurde, sondern erst einmal in ihre Rolle hineinwachsen muss. Zu dieser Entwicklung trägt auch die Geschichte bei, die mit einer guten Priese Mystery à la „Lost“ gewürzt ist. Zunächst muss Lara sich gegen eine finstere Gruppe Söldner wehren, wobei unklar ist, welches Ziel die marodierende Gruppe verfolgt. Hinzu kommt von den ersten Minuten an ein übernatürlicher Aspekt, da die Insel gespickt ist mit Anlagen aus der Zeit einer unentdeckten Kaiserinnendynastie, in denen bis heute seltsame Kulte abgehalten werden. Aus diesem Mix erschaffen die Macher eine insgesamt spannende, dichte Handlung, die den Spieler an die unterschiedlichsten Orte der Insel verschlägt und dabei gekonnt ganz weltliche Gefahren und paranormale Aktivitäten kombiniert.

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