Merkel befürwortet Internetüberwachung mit Anti-Terror-Kampf

Andreas Frischholz
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Infolge der NSA-Enthüllungen zeigte sich die Bundesregierung zunächst überrascht, praktisch einstimmig wurde Aufklärung gefordert. Doch allmählich ändert sich zumindest bei der Union die Tonlage, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht sich persönlich dafür aus, die Internetüberwachung der hiesigen Geheimdienste auszubauen.

Im Gespräch mit RTL verteidigt sie die jüngst bekannt gewordenen Pläne der Bundesregierung, dem BND mit Investitionen in Höhe von 100 Millionen Euro zusätzliche Kapazitäten für die Internetüberwachung zu verschaffen. „Wir sind darauf angewiesen, dass wir selber aktionsfähig werden und nicht bedingungslos Terroristen ausgeliefert sind. Und die Kommunikation findet eben heute im Internet statt“, sagte Merkel. Dafür sei allerdings der Datenaustausch mit US-Geheimdiensten erforderlich, den sie weiterhin aufrecht erhalten will, unterscheidet das aber von der Forderung nach transparenten Umgang mit den Daten von EU-Bürgern.

Die technischen Fähigkeiten des BND beklagen auch deutsche Sicherheitsbeamte und Innenpolitiker. Deutschland liege zurück bei der „strategischen Fernaufklärung“, also der Überwachung des Internet-Datenverkehrs. Nicht nur im Vergleich zu den USA, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), sondern auch gegenüber Großbritannien und Frankreich. Führend soll China sein, das angeblich mit zwei Abteilungen des Generalstabs weltweit Informationen einsammelt. Die deutsche Wirtschaft habe demnach Verluste, die ein hoher Sicherheitsbeamte als „wirkliche Katastrophe“ bezeichnet.

Daher müssten Deutschland und Europa „kommunikationstechnisch massiv aufrüsten“ und eine „eigene sichere IT-Kommunikationstechnik entwickeln“, sagte CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl in der FAZ. Diese Forderung erweiterte FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher zu dem Ansatz, zumindest „im Bereich von Suche und von Sozialen Netzwerk“ in Europa entwickelte, nicht kommerziell ausgerichtete Alternativen zu US-Diensten wie Google oder Facebook zu schaffen.

Constanze Kurz, Sprecherin vom Chaos Computer Club, griff in einer FAZ-Kolumne bereits letzte Woche die wirtschaftlichen Folgen der Spionage-Programme auf. Ihrer Ansicht nach ist Wirtschaftsspionage das zentrale Motiv hinter den Überwachungsaktivitäten der NSA. Der Anti-Terror-Kampf wäre dagegen nur eine vorgeschobene Begründung für Programme wie Prism, um monatlich Milliarden Datensätze abzugreifen. „Denn da nicht hinter jedem Baum ein mutmaßlicher Terrorist lauert, hat in Wahrheit die gute alte Wirtschaftsspionage ein neues prächtiges Gewand bekommen“, so Kurz.

Krach in der Bundesregierung

Innerhalb der Koalition war das Vorhaben aber offenbar nicht angesprochen, zumindest hinterlässt Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Interview mit der Welt einen erstaunten Eindruck. Ohnehin wären die zusätzlichen Investitionen schwer nachvollziehbar: „Ich will wissen, ob da mit neuem technischem Aufwand in einer anderen rechtlichen Dimension gearbeitet werden soll. Es gibt klare rechtliche Grundlagen für die Internetüberwachung.“ Angesichts der alarmierten Stimmung über das Ausmaß der US-Überwachung im Internet „kann doch die Antwort nicht sein, einfach die Überwachung durch die Deutschen machen zu lassen“ – das untergrabe das Vertrauen in moderne Technologie.

Die Argumentation von Merkel entsprechend hatte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bereits am Sonntag den Ausbau der Internetüberwachung gerechtfertigt. Zudem hatte er die US-Administration im Gespräch mit der Welt am Sonntag in Schutz genommen. Demnach wären Beschimpfungen der US-Partner nicht akzeptabel, erklärte er in Bezug auf kritische Äußerungen von Leutheusser-Schnarrenberger in der letzten Woche. „So geht man nicht mit Freunden um, die im Kampf gegen den Terrorismus unsere wichtigsten Partner sind“, so Friedrich. Zudem sei man im Anti-Terror-Kampf auf Hinweise und Tipps von US-Geheimdiensten angewiesen und „sehr dankbar für die gute Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten“. Ohnehin habe er keinen Grund für Zweifel, dass „sich die USA an Recht und Gesetz halten“.

Eine gewagte Aussage angesichts des konstant fließenden Nachrichtenstroms mit bis dato nicht bekannten Informationen über die NSA-Überwachungsprogramme, die nach wie vor weltweit Proteste hervorrufen und der NSA unangenehme Fragen im US-Kongress bescheren. Selbst Friedrich erweckte letzte Woche noch einen deutlich kritischeren Eindruck. Am Dienstag hatte er angekündigt, einen Fragenkatalog an die US-Administration zu übermitteln, um das Ausmaß der NSA-Überwachung aufzuklären. Noch am Freitag erklärte sein Sprecher der Berliner Zeitung, das Innenministerium wolle EU-Bürger stärker vor der Internetüberwachung durch Drittstaaten schützen.

Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die EU-Kommission in dem ursprünglichen Entwurf der geplanten EU-Datenschutzreform eine Klausel integriert hatte, die staatliche Anfragen bei den US-Internetdiensten nach Daten von EU-Bürgern für ungültig erklärt hätte, sofern diese durch den „Foreign Intelligence Surveillance Act“ (FISA) legitimierte wären.

Geringe Erwartungen an Merkels Treffen mit Obama

Dass Merkel bei dem heutigen Treffen mit US-Präsident Barack Obama die US-Überwachungsprogramme ansprechen wolle, hatte die Justizministerin in der letzten Woche erklärt. Die mutmaßlich an „Prism“ beteiligten US-Internetriesen hatten sogar darum gebeten, Merkel solle sich bei Obama für einen transparenteren Umgang mit den NSA-Datenbergen aussprechen. Angesichts der aktuellen Pläne der Bundesregierung erscheint es zweifelhaft, dass Merkel Aufklärung im Sinne der Kritiker über das NSA-Überwachungsprogramm einfordert. So sagte etwa Jan Korte von der Linken: „Die Kanzlerin kann sich jedes Wort an Präsident Obama zum riesigen Überwachungsskandal durch die NSA sparen, wenn gleichzeitig der BND in dieselbe Richtung marschieren will.