Polizeigewerkschaft will Überwachung nach US-Vorbild

Andreas Frischholz
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Nachdem bekannt wurde, dass die NSA praktisch alle Daten der großen US-Internetdienste analysiert, folgte massive Kritik an dieser „Totalüberwachung“. Kein Bedenken zeigt hingegen Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, der im gewohnt schrillen Tonfall Obama zum Vorbild für Europa und Deutschland verklärt.

Der US-Präsident habe „fachlich hundertprozentig recht“, sagte Wendt gegenüber „Handelsblatt Online“. In Deutschland und Europa regieren stattdessen „völlig überzogener Datenschutz, föderaler Egoismus und wilde Überwachungsfantasien von Politikern, die den Menschen immer wieder einreden wollen, die Polizei würde sie bespitzeln und aushorchen“. Vorbehalte gegen staatliche Eingriffe in die Grundrechte, der Schutz der Privatsphäre – für all das hat Wendt nur wenig Verständnis, wenn es um den Schutz vor Terrorismus und Kriminalität geht, seiner Ansicht nach das „wertvollste“ Bürgerrecht. Politiker sollten der Bevölkerung endlich sagen, was für die „Verbesserung polizeilicher Analysekompetenz“ angeblich notwendig ist.

Wendt grollt immer noch, dass in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung gekippt wurde und eine Neuregelung aussteht. Außerdem verlangt er ein „zentrales Melderegister mit sachgerechten Plausibilitätsprüfungen“ und „moderne Analysesoftware“, um „Massendaten in komplizierten Großverfahren kriminologisch effektiv auswerten zu können“. Als Beispiel nennt er die Ermittlungen über die rechtsextremistischen Terrorgruppe NSU, bei denen Beamte immer noch täglich die Aktenberge durchforsten würden. Für den obersten Polizeigewerkschaftler ist das „Ermittlungsarbeit wie im Mittelalter“.

Bislang vertritt Wendt diese Haltung weitestgehend exklusiv. In einem lesenswerten Blog-Beitrag verweist Thomas Stadler, Fachanwalt für IT-Recht, auf die Diskrepanz zwischen den gesetzlichen Vorgaben, die zugunsten der deutschen Geheimdienste das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis beschränken, und der alltäglichen Praxis. Mit einem „elektronischen Staubsauger“ filtert der BND allein im Jahr 2011 knapp 2,9 Millionen E-Mails aus den Datenströmen. Beschränkt wird die E-Mail-Überwachung durch verdächtige Suchbegriffe aus den Bereichen Terrorismus sowie Menschen- und Waffenhandel. Laut Stadler muss deswegen „klar sein, dass Geheimdienste weltweit die Telefon- und Internetkommunikation massiv und großflächig überwachen und aufzeichnen“.

NSA-Überwachung der „Wendepunkt in sicherheitspolitischer Debatte“?

Die NSA-Programme müssen ein „Wendepunkt für die sicherheitspolitische Diskussion“ darstellen, fordert auch Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, laut Handelsblatt Online. Bürgerrechte sollen gestärkt und das Internet als freies Medium geschützt werden, politische Konsequenzen wären angesichts des umfassenden US-Überwachungsapparats erforderlich. „Sollten diese Informationen zutreffen, haben wir es mit einem Skandal von einer weitaus größeren Dimension als etwa in der Vergangenheit vergleichbar bei Swift oder Echelon zu tun“, so von Notz.

Fraglich ist nur, wie flächendeckende Telekommunikations-Überwachung durch Geheimdienste zu verhindern ist. Laut Stadler ist ein „sicherheitspolitischer Bewusstseinswandel“ nötig – „sowohl in den Köpfen der Bürger als auch in denen der Politiker“. Dabei helfen nur „Transparenz, Information und Berichterstattung“, wenig verspricht er sich hingegen von rechtlichen Hürden wie der EU-Datenschutzreform, auf die etwa Bundesdatenschützer Peter Schaar verwiesen hatte. Die entlocken Geheimdiensten aber nur ein müdes Lächeln, solange diese von Staaten „mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden, im Verborgenen agieren dürfen und keiner effektiven Kontrolle unterliegen“, schreibt Stadler.