Merkel fordert strikteren Schutz der Privatsphäre

Andreas Frischholz
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Mit einem internationalen Datenschutzabkommen soll die Privatsphäre der Bürger geschützt werden, fordert Bundeskanzlerin Merkel im Sommer-Interview mit der ARD. Der Vorstoß zielt aber in erster Linie auf Unternehmen wie Facebook, angesichts der Internet-Überwachung durch Geheimdienste wie die NSA bleibt die Kanzlerin vage.

Merkel erwarte „eine klare Zusage der amerikanischen Regierung für die Zukunft, dass man sich auf deutschem Boden an deutsches Recht hält“. Wie bereits im Interview mit der Zeit spricht sie von der Verhältnismäßigkeit beim Anti-Terror-Kampf, bei dem der Zweck nicht alle Mittel heilige. Merkel habe aber keine Hinweise, dass „die Amerikaner sich nicht an deutsches Recht gehalten haben“. Ebenso verwies sie auf die Erklärung, die USA würden keine Industriespionage in Deutschland betreiben. Nichtsdestotrotz wolle man die Vorwürfe nun aufklären.

Wie das in der Praxis aussehen soll, ist aber nach wie vor mehr als zweifelhaft. Vor allem nach dem USA-Besuch von Innenminister Friedrich, die offenbar weniger die Aufklärung der NSA-Überwachung diente, sondern vielmehr die US-Administration beruhigen sollte, wie jüngste Berichte zeigen. In diesem Kontext wirkt es auch seltsam, wenn Merkel erklärt, im Vorfeld nichts von dem Ausmaß der NSA-Überwachung gewusst zu haben: „Mir ist nichts bekannt, sonst hätte ich das schon dem parlamentarischen Kontrollgremium gemeldet.

Von Mitgliedern des Kontrollgremiums wurde aber bereits kritisiert, die Bundesregierung komme ihrer Informationspflicht nicht nach. Zumal Merkels Verweis auf die Kontrollgremien auch der Forderung widerspricht, die NSA-Überwachung öffentlich aufzuklären – die parlamentarischen Kontrollgremien für Geheimdienst-Tätigkeiten sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Allerdings hinterließen bereits die Aussagen des Innenministers am Wochenende einen ähnlich faden Beigeschmack. Demnach sollen die kommenden Gespräche lediglich zwischen den Geheimdiensten stattfinden, womit die Öffentlichkeit bei neuen Erkenntnissen außen vor bleibt.

Internationales Abkommen zum Schutz vor Geheimdienst-Überwachung

Bei dem internationalen Datenschutzabkommen beruft sich Merkel indes auf ein 13-Punkte Papier, das Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger letzte Woche vorgelegt hat (PDF-Datei). In diesem fordert die Justizministerin „globale Regeln gegen das Ausspähen auf internationaler Ebene“, weswegen ein internationales Schutzabkommen für den weltweiten Datenverkehr benötigt werde. Sie begründet den Vorschlag mit den immer größeren Datenbergen, die letztlich der Erstellung von persönlichen Profilen dienen. „Dieses Anhäufen von Daten auf Seiten von Unternehmen und Geheimdiensten sei der Grund dafür, dass digitale Kommunikation nicht mehr überwiegend als Gewinn, sondern als Gefahr gesehen werde“, so Leutheusser-Schnarrenberger.

Entsprechende Regeln sollen über ein UN-Abkommen völkerrechtlich verbindlich festgelegt werden. Darüber hinaus sollen innerhalb der EU gemeinsame Standards und Vorstellungen zur Kontrolle der Geheimdienste geschaffen werden, mit denen die EU-Staaten etwa den Datenaustausch oder die Informationspflicht gegenüber den parlamentarischen Kontrollgremien abstimmen. Die Bundeskanzlerin spricht sich nun ebenfalls für einen einheitlichen Datenschutz in Europa aus, in der geplanten EU-Datenschutzreform müssten strikte Vorgaben umgesetzt werden. Deutschland werde laut Merkel in den Verhandlungen darauf drängen, dass „die Firmen uns in Europa sagen, wem sie die Daten geben“.

Bürgerrechtler und Opposition kritisieren Merkel

Angesichts dieser Äußerungen attestieren die Bürgerrechtler von Netzpolitik.org der Bundesregierung eine „janusköpfige Datenschutzrhetorik“. Bislang zählten die deutschen Vertreter im EU-Ministerrat zu denjenigen, die eine Informationspflicht für Diensteanbieter aus der geplanten Reform streichen wollten. Vor dem NSA-Debakel vertrat man noch die Ansicht, das wäre mit zu hohen Kosten für die Industrie verbunden. So liegt es auch an dem zwiespältigen Vorgehen der Bundesregierung, dass die EU-Datenschutzreform erst im Herbst verabschiedet werden soll.

Nicht nur Bürgerrechtler kritisieren die Äußerungen von Merkel, auch die Opposition findet deftige Worte. „Die massenhafte Verletzung deutscher Bürgerrechte durch ausländische Geheimdienste stößt bei Merkel offensichtlich auf Desinteresse“, erklärt SPD-Generalsekretärin Nahles. Grünen-Sicherheitspolitiker Omid Nouripour fordert, nach der Bundestagswahl im September einen Untersuchungsausschuss einzurichten, um deutsche Beteiligung an der NSA-Überwachung zu klären. Dabei gibt sich der Grünen-Politiker selbstkritisch. Es müsste auch geklärt werden, was die rot-grüne Bundesregierung infolge der Anschläge vom 11. September über die Überwachung von US-Geheimdiensten erfahren habe.

Auch bei der Bevölkerung findet die angebliche Ahnungslosigkeit der Bundesregierung nur wenig Anklang. Laut ZDF-Politbarometer glaubt mit 79 Prozent die große Mehrheit der Deutschen, dass die Bundesregierung von der umfangreichen Datenüberwachung durch die US-Geheimdienste wusste. Bei den deutschen Geheimdiensten gehen sogar 87 Prozent davon aus, dass diese Kenntnisse von der US-Überwachung hatten. Die Konsequenzen fallen innerhalb der Bevölkerung aber ähnlich ambivalent wie bei der Bundesregierung aus. Lediglich 25 Prozent der befragten Internetnutzer haben die Absicht, zukünftig die eigenen Daten im Netz besser zu schützen. 57 Prozent verfolgen keine derartigen Pläne, während 13 Prozent angeben, bereits jetzt ihre digitale Privatsphäre etwa mit Verschlüsselungsprogrammen zu schützen.