NSA bestätigt drittes „Prism“-Programm

Andreas Frischholz
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Die NSA hat in einem Brief an das Bundeskanzleramt erklärt, dass neben den zwei bekannten Prism-Programmen noch ein Drittes existiert. Damit konnten die Bundesregierung und Geheimdienste dem parlamentarischen Kontrollgremium im Rahmen des NSA-Skandals erstmals konkrete Ergebnisse präsentieren.

Die NSA übermittelte der Bundesregierung ein einseitiges Schreiben, das der Welt vorliegt. Demnach handelt es sich sowohl bei dem von Edward Snowden enthüllten Prism als auch bei dem in Afghanistan eingesetzten um separate Programme. Dasselbe gilt für das dritte, bislang nicht öffentlich diskutierte Prism-Programm, das unabhängig von den beiden anderen betrieben wird. Laut dem Welt-Bericht soll es sich um ein NSA-internes Programm handeln, mit dem sich in Echtzeit Informationen austauschen lassen.

Wie bereits durch die entsprechenden NSA-Folien bekannt wurde, können Analysten des US-Geheimdienstes mit dem „klassischen“ Prism auf die Daten von den neun Internetriesen zugreifen. Legitimiert wird das Vorgehen durch den „Foreign Intelligence Surveillance Act“ (FISA). Mit diesem Prism erfolge aber keine anlasslose Aufzeichnung von Millionen von Daten, weder die NSA noch die übrige US-Administration könnten damit „willkürlich den Inhalt privater Kommunikation von Bürgern anderer Nationen zu sammeln“. „Die Nutzung dieses Programms findet fokussiert, zielgerichtet, auf rechtlicher Basis statt und ist alles andere als pauschal“, zitiert die Welt aus dem Brief der NSA an das Bundeskanzleramt.

Stattdessen diene das Programm lediglich für den Anti-Terror-Kampf und die Abwehr von Cyber-Angriffen. Zudem wird es eingesetzt, um die Verbreitung von Nuklearwaffen zu verhindern. Kontrolliert werden die entsprechenden Überwachungsmaßnahmen vom FISA-Gerichtshof, der für die Prüfung der US-Auslandsspionage zuständig ist. Dieser steht allerdings zunehmend in der Kritik, weil die heimlichen Urteile sich jeglicher Kontrolle entziehen und die Richter zudem den Spielraum für Überwachung eigenständig erweitert haben.

Bei dem zweiten Prism handelt es sich um die Variante, die von den US-Truppen in Afghanistan eingesetzt wird. Diese nutzen es als Instrument, um geheimdienstliche Informationen zu sammeln und auszuwerten. Von diesem Prism hatte die Bundeswehr bereits seit mindestens zwei Jahren gewusst. Trotz der neuen Details mangelt es immer noch an präzisen Informationen. So steht etwa die Frage im Raum, ob die Programme sich im Prinzip nur beim Anwendungszweck unterscheiden oder grundsätzliche Unterschiede in den einzelnen Prism-Konzepten bestehen.

Darüber hinaus ist nicht vollständig geklärt, auf welche Datenbestände und NSA-Datenbanken die jeweiligen Programme zugreifen können. Offen ist dabei weiterhin, ob die NSA lediglich diese drei oder noch mehr Prism-Programme betreibt.

BND-Chef widerspricht Datenschutz-Vorwürfen

Bislang verlief die Aufklärung über das Ausmaß der NSA-Überwachung schleppend. Angesichts der Dokumente, über die der Spiegel am letzten Wochenende berichtet hat, sind die Bundesregierung, die Geheimdienste und sogar die rot-grüne Opposition in Erklärungsnot geraten. Zuvor hieß es unisono, man habe von Prism und dem Ausmaß der NSA-Überwachung erst aus den Medienberichten erfahren. Im Verlauf der letzten Woche wurde allerdings publik, wie eng der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Verfassungsschutz mit der NSA kooperieren.

Nachdem die Chefs der deutschen Geheimdienste einräumen mussten, dass der Verfassungsschutz derzeit mit einer Testversion des Überwachungsprogramms „XKeyscore“ arbeitet, stieg der öffentliche Druck auf die Bundesregierung merklich an. Insbesondere die Geheimdienst-Kontrolleure im Bundestag forderten eine Erklärung, was es mit dem NSA-Programm und den Kooperationen auf sich habe. Im Vergleich zu den bisherigen Sitzungen des parlamentarischen Kontrollgremiums machten die Vertreter von BND und Verfassungsschutz dieses Mal konkretere Angaben.

Laut Spiegel-Online erklärte BND-Präsident Gerhard Schindler, der BND verwende XKeyscore seit 2007 – allerdings nicht zur Datenerfassung, sondern nur für die Datenanalyse. Die Abgeordneten bekamen die Testversion zudem vorgeführt. „Wir haben zur Verwendung einiges erfahren“, sagte der Linken-Abgeordnete Stefan Bockhahn gegenüber der Süddeutschen. Weitere Details konnte er nicht nennen, die Mitglieder des Kontrollgremiums sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Der Verfassungsschutz soll die Software seit 2012 nutzen, erklärte dessen Präsident Hans-Georg Maaßen.

Die Chefs der beiden deutschen Geheimdienste waren anscheinend bemüht, bei den Abgeordneten den Eindruck zu hinterlassen, dass sowohl der BND als auch der Verfassungsschutz gemäß dem hiesigen Recht agieren. Das war nötig, nachdem der Spiegel am Wochenende über NSA-Dokumente berichtet hatte, denen zufolge BND-Chef Schindler die Bundesregierung beeinflusse, um einen laxeren Datenschutz zu etablieren. Schindler wehrt sich gegen den Vorwurf und hat in einer dienstlichen Erklärung bestritten, er wolle den Datenschutz pauschal aufweichen. Allerdings bestätigte er, dass er sich bei den G10-Gesetzen für eine modifizierte Auslegung ausgesprochen habe, um den Informationsaustausch zwischen den Diensten zu erleichtern. Die Aussagen entsprechen den Ausschnitten der Dokumente, die der Spiegel in der letzten Ausgabe abgedruckt hatte.

Regierung und Opposition schieben sich gegenseitig die Schuld zu

Regierung und Opposition sind in den öffentlichen Statements mittlerweile dazu übergangen, sich den schwarzen Peter für die NSA-Überwachung gegenseitig in die Schuhe zu schieben. Die Bundesregierung wirft SPD und Grünen vor, die NSA habe die Überwachungsprogramme in der Amtszeit der rot-grünen Regierung massiv ausgeweitet, dementsprechend wäre auch die damalige Regierung für die engere Kooperation von deutschen und US-Geheimdiensten verantwortlich. Deswegen soll der ehemalige Kanzleramtschef und heutige SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier bei einer der nächsten Sitzungen des parlamentarischen Kontrollgremiums aussagen.

Die Opposition erheben hingegen den Vorwurf, dass nach wie vor zu viele offene Fragen bestehen und die Bundesregierung sich nicht bemühe, die Vorwürfe gegen die NSA mit Nachdruck aufzuklären. Zudem erklärte SPD-Politiker Thomas Oppermann, Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollausschuss, dass BND-Chef Schindler die Vorwürfe gegen ihn mit dem Eingeständnis bestätigt habe. Dieser versucht, beim G10-Gesetz die „Vorschriften extensiv auszulegen“.

Vertreter der Union sind indes zufrieden mit dem Vorgehen der Geheimdienste. „Der Datenschutz wurde zu 100 Prozent eingehalten“, sagte Kanzleramtsminister Roland Pofalla. Eine massenhafte Überwachung finde nicht statt, lediglich zwei Datensätze habe der BND an die NSA übermittelt. Das beantwortet allerdings nicht, wie die NSA an die rund 500 Millionen Verbindungsdaten gelangt, die der US-Geheimdienst nach den Dokumenten von Snowden monatlich in Deutschland abschöpft.

An dieser Stelle wäre es interessant zu erfahren, ob und in welchen Ausmaß die NSA die Internet-Knotenpunkte in Deutschland direkt anzapft – und was mit diesen Daten dann passiert. Darüber hinaus hinterlässt es nach wie vor einen seltsamen Eindruck, wie ahnungslos sich die Bundesregierung und die Politiker aus der zuvor regierenden rot-grünen Koalition geben. Ähnliches gilt für die Rolle der Geheimdienste, zumal die jüngsten Informationen vom Stern darauf hinweisen, dass der BND mindestens seit Ende der 1990er Jahre intensiv in die Entwicklung NSA-Überwachungsprogrammen eingebunden war.