Oculus Rift DK 2 im Test: Die Zukunft ist hier und sie beeindruckt nachhaltig

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Andreas Schnäpp
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Spiele (Fortsetzung)

Abseits klassischer Simulationen ist die Bandbreite der möglichen Spielerlebnisse noch größtenteils unerforschtes Neuland. Althergebrachte Genres funktionieren ohne Anpassung nur bedingt im VR-Kontext. Die besten Erlebnisse sind maßgeschneidert an die neue Technik und ihre zusätzlichen gestalterischen Möglichkeiten, die sie Spieldesignern bietet.

Weniger ist mehr

In diesem Sinne müssen VR-Spiele keine fotorealistische Grafik bieten, um zu begeistern. Es reichen ein simples Spielkonzept, eine interessante Kulisse und ein geschickt implementiertes User-Interface. Shufflepuck Cantina Deluxe VR ist eines dieser Beispiele. Der geistige Nachfolger zu Shufflepuck Café zeigt, dass selbst virtuelles Airhockey plötzlich eine ganz eigene Faszination ausstrahlen kann.

Notgelandet auf einem fremden Planeten, müssen in einem intergalaktischen Casino die Einzelteile zur Reparatur des Raumschiffs beim Airhockey erspielt werden. Die Maus fungiert dabei als Airhockey-Schläger. Verfehlt man den Puck oder erzielt einen Punkt, crasht dieser durch eine holografische Wand am Ende des Tisches – kurz darauf wird die Punktezahl durch futuristische Anzeigetafeln ins Sichtfeld mittels kleiner Helikopter-Roboter geflogen. Und nach der Airhockey-Partie kann an der Bar über die vielen kleinen Details gestaunt werden, die es in der Spielumgebung (neben den Außerirdischen selbst) zu entdecken gibt.

Die Demo zum auf Indiegogo finanzierten Action-Adventure Windlands bot zum aktuellen Entwicklungsstand zwar noch nicht mehr als die grundlegende Bewegungs-Spielmechanik mit zwei Greifhaken, doch das reichte schon aus, um beim Klettern und Durch-die-Luft-Schwingen ein beeindruckendes Gefühl für die Größe der Spielwelt zu transportieren. Die bisher bekannte Jump-'n'-Run-Formel erhält neben der Herausforderung des richtigen Timings in luftigen Höhen eine ganz neue Dimension: das Gefühl der Höhenangst und die Furcht, in den Abgrund zu stürzen – und das ausnahmsweise nicht nur aus dem Grund, weil ein Abschnitt wieder von vorne erklommen werden müsste.

AaaaaAAaaaAAAaaAAAAaAAAAA!!! for the Awesome“ stellt diese Furcht auf den Kopf: Ist das Fallen bei Jump-'n'-Run-Spielen Grund zum Neustart, erklärt es die Spieleschmiede Dejobaan Games zum erstrebenswerten Ziel ihres Spiels. So beginnt jeder Level damit, sich in Base-Jumping-Manier von einem Hochhaus zu stürzen, um daraufhin gen Boden rasend möglichst viele Punkte zu erzielen. Die Grundregel dabei: Je gefährlicher die Flugmanöver, desto besser. Ursprünglich schon 2011 veröffentlicht, spendierten die Entwickler dem in einem alternativen Universum angesiedelten Sportspiel im August dieses Jahres nachträglich VR-Unterstützung, die sich sehen lassen kann.

Zwischen Spielspaß und Übelkeit liegt bei VR-Titeln wie Radial G: Racing Revolved ein schmaler Grad der VR-Toleranz: Von Arcade-Klassikern wie F-Zero, WipEout und Extreme G inspiriert, gehört dieses Early-Access-Spiel definitiv nicht zu den für VR-Neulinge geeigneten Spielerlebnissen. Wer sich jedoch grundsätzlich an das VR-Gefühl gewöhnt hat, bekommt mit Radial G einen vorbildlich für VR konzipierten, aus der Ego-Perspektive spielbaren Arcade-Racer in futuristischem Setting geboten.

Welche Designentscheidungen bedacht werden mussten, um Radial G auch über längere Spielsessions genießen zu können, erläutern die Entwickler in einem detaillierten Blogpost zur bisherigen Entwicklung mit Unity und den Plänen für die Zukunft. Ein Projekt, das Arcade-Freunde definitiv im Auge behalten sollten.

Wer beim Gedanken an Virtual Reality ausschließlich an Spielerlebnisse aus der Ego-Perspektive denkt, geht einem Trugschluss auf den Leim. BlazeRush wirkt auf den ersten Blick wie eine Mischung aus dem SNES-Klassiker Rock n' Roll Racing und der „Micro-Machines“-Spielreihe. Die Kameraperspektive schwebt in schräger Vogelperspektive parallel zum Streckenverlauf und verleiht dem Geschehen auf der Strecke einen Carrera-Bahn-Effekt. Gehen Fahrzeuge in Flammen auf, explodieren oder fliegen sie in hohem Bogen von der Strecke, kommt zudem der starke räumliche Effekt zur Geltung, den VR mit sich bringt. Vorteil dieser Kameraführung ist zudem, dass selbst VR-sensitive Nutzer aus dieser Kameraperspektive über einen längeren Zeitraum hinweg spielen können, ohne Anzeichen von Simulatorkrankheit zu verspüren.

So ist es kaum verwunderlich, dass einer der Oculus-Rift-Starttitel ebenfalls auf eine schwebende Kameraperspektive setzen wird, um die Möglichkeiten von VR anhand eines klassischen Spielprinzips zu demonstrieren. Während unseres Besuchs bei Oculus VR im Rahmen der gamescom 2014 war Lucky's Tale aus dem Hause Playful Corp eine der beiden spielbaren Demos, die Journalisten hinter verschlossenen Türen anspielen durften, und hinterließ dabei einen bleibenden Eindruck. Vom Spielprinzip her ist Lucky's Tale keine Revolution. Vergleichbar mit Super Mario 64 und Nachfolgern, bleibt es den Wurzeln der 3D-Jump-'n'-Run-Spiele treu.

Doch dank VR wirkt das Spielgeschehen, als würde man in ein Puppenhaus blicken, bei dem die Figuren den Controller-Eingaben gehorchen. Steht Lucky einen kurzen Moment auf der gleichen Stelle, dreht sich die Spielfigur in Richtung des Spielers, blickt ihn an und winkt ihm freundlich zu. Beim Zerstören von fliegenden Kisten springen die kleinen quaderförmigen Einzelteile dem Spieler geradezu entgegen, und nur wenige Plattformen später schleudert ein Wasserrad zappelnde Fische in unsere Richtung. Die charmant anmutende Demo des capetragenden Fuchses erweitert die altbekannte Genreformel um ein paar unaufdringliche und spaßige VR-Facetten, die definitiv selbst erlebt werden sollten, um ihre Wirkung begreifen zu können.

Obwohl die DK2-Demo von Superhot nur einen schmalen Vorraum, einen Gang und drei Gegner umfasste, zählte sie zu den Highlights der diesjährigen gamescom. So suchen wir zuerst hinter einer Ecke Deckung vor dem gegnerischen Kugelhagel und wagen einen vorsichtigen Blick, indem wir unseren Kopf und Oberkörper leicht nach links neigen. Drei Kugeln schwirren vorbei und wir beginnen unseren Zickzacklauf durch den schmalen Gang, während weitere rote Geschosse herannahen. Eine Kugel fliegt direkt auf unseren Kopf zu – es ist zu spät, um per Analogstick auszuweichen. Wir ducken uns zur Seite und schauen dem Bewegungsschweif der Pixelkugel hinterher. Ein Gefühl wie in der Matrix.

Sightline: The Chair erklärt das Sehen selbst zum Gameplay: Mit jedem Blick, den der Spieler um sich wirft, verändert sich an anderer Stelle die Spielwelt. Aus der Vase, die gerade noch links auf dem virtuellen Schreibtisch stand, wird plötzlich eine Topfpflanze. Nach diesem Prinzip ist wenige Sekunden später der gesamte Schreibtisch verschwunden und um uns herum ein See aufgetaucht. Während wir uns keinen Zentimeter von unserem virtuellen Stuhl rühren, verwandelt sich die Umwelt von einer Graslandschaft in eine Kreuzung und von einer Straße plötzlich in ein enges Zimmer – bis sich die Wände auflösen und wir aus dem Weltraum erstaunt auf die Erde herunterschauen. Sightline: The Chair zeigt mit wenigen Mitteln, zu was das Medium fähig ist.

Es geht längst nicht mehr um einen fixen Blickwinkel auf ein starr vorgegebenes Spielgeschehen, sondern um eine interaktive Erlebniswelt, in der sich jederzeit umgeschaut oder sogar über Blicke mit der Spielwelt kommuniziert werden kann. Die kurze VR-Demo Asunder ist ein Paradebeispiel hierfür. Asunder versetzt den Spieler in die Rolle eines Gefängnisinsassen auf der Flucht in einem Flugzeug. Ein älterer Herr auf der gegenüberliegenden Sitzreihe stellt uns eine Frage, die wir mit dem Kopf schüttelnd verneinen. Als er uns erneut in ein Gespräch verwickeln will, sind wir für einen Augenblick abgelenkt und blicken, während er spricht, aus dem Fenster. Prompt reagiert der Mann auf diese unhöfliche Geste der Abwendung und bricht verärgert das Gespräch mit uns ab. Als uns ein weiblicher Passagier daraufhin anstarrt, weichen wir seinen musternden Blicken aus, indem wir uns in Richtung des Fensters lehnen.

Wenn schon Blickkontakt darüber entscheiden kann, wie ein Gespräch verläuft oder ob man enttarnt wird, steht es der Fantasie der Spieler offen, welche Komplexität und Intensität das Medium in Zukunft erreichen könnte, sobald die eigene Gestik möglicherweise Teil des Spielgeschehens wird.

New Retro Arcade 2.0 (VR-Demo) (Bild: Digital Cybercherries)

Wenn Spielen allein nicht ausreicht: New Retro Arcade ist eine mit Unreal-Engine 4 entwickelte Techdemo, die VR auf eine Metaebene hebt. Die Spielwelt ist eine Arcade-Halle im 1980er-Jahre-Retro-Stil und lädt VR-Nutzer dazu ein, alte Klassiker an virtuellen Spielautomaten wieder aufleben zu lassen.

Das beste Beispiel dafür, wie innovativ die „Spiel-im-Spiel“-Idee fortgedacht werden kann, ist das Greenlight-Juwel Pixel Rift. Eine verrückte Zeitreise durch die Gaming-Geschichte im Körper eines Mädchens, das jede freie Minute am liebsten zum Videospielen nutzt. Die spielbare Demo versetzt den Spieler in ein Klassenzimmer des Jahrgangs 1989. Ziel ist es, auf dem mitgebrachten und unter dem Tisch versteckten Game Boy den aktuellen Level durchzuspielen, ohne dass es die Lehrerin mitbekommt und das Gerät konfisziert. Nebenbei können die virtuellen Klassenkameraden mit einem Blasrohr geärgert werden. Ein einzigartiges Spielerlebnis.