Netzneutralität: Der Machtkampf um die Vorherrschaft im Internet

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Andreas Frischholz
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Kollateralschäden

Wenn sich die Mächtigen einer Branche beharken, drohen immer Kollateralschäden. Und nach Ansicht von Bürgerrechtsgruppen wie der Digitalen Gesellschaft kommen vor allem die Startups und kleine Internetdienste unter die Räder, wenn die Netzneutralität ausgehebelt wird. Der Grund: Wenn etwa die Streaming-Dienste von Google und Netflix eine digitale Überholspur bezahlen, um eine schnellere Anbindung an die Netze der Provider zu erhalten, sind sie im Vorteil gegenüber den Konkurrenten, die keine Gebühren zahlen wollen oder können. Und dies sind in erster Linie die kleinen Internetdienste und Startups, die in Europa ohnehin Mangelware sind. Die Konsequenz: Der Status quo im Netz wird zementiert, da die Eintrittsbarriere für neue Dienste erhöht wird.

Doch es ist genau diese geringe Hürde, so Volker Trapp von Digitale Gesellschaft, die eine der Grundvoraussetzungen für den Erfolg des Internets darstellt. Selbst Konzerne wie Google oder Facebook sind einst als eine Art Garagenfirmen gestartet, deren Aufstieg ohne das offene Internet nicht möglich gewesen wäre. Solche Erfolgsgeschichten könnten in Europa jedoch nicht mehr geschrieben werden, sollten die Netzneutralität-Pläne der EU tatsächlich beschlossen werden.

Mit Blick auf die Lage von europäischen Online-Diensten wäre das fatal. „Mit dieser Regelung hätte Amerika in den nächsten Jahrzehnten die Vormachtstellung im Internet sicher“, sagt Volker Trapp von Digitale Gesellschaft. Zudem würden die amerikanischen Internetdienste bald von den strikten Netzneutralitätsvorgaben in den USA profitieren, die die amerikanische Regulierungsbehörde FCC Anfang des Jahres beschlossen hat. Und die etwa die Einführung von digitalen Überholspuren untersagen.

Die EU liefert keine Antwort

So lässt sich derzeit etwa nur schwer bewerten, ob die EU-Pläne tatsächlich so verheerende Folgen für die europäische Online-Wirtschaft haben, oder lediglich der löcherige Status quo manifestiert wird. Sind etwa Abkommen wie die zwischen Netflix und den großen Providern mit den neuen EU-Regeln noch möglich? Zumindest im offenen Internet wohl nicht, da Bezahldienste im Form von „Paid Prioritisation“ untersagt sind. Provider dürfen den Traffic eines bestimmten Anbieters nicht schlechter behandeln, selbst wenn dieser wie bei Netflix oder YouTube enorm ausfällt . Im Rahmen eines Spezialdienstes wären solche Abkommen allerdings durchaus möglich, vermutet Volker Trapp von Digitale Gesellschaft.

Ein weiteres Beispiel, das in den letzten Monaten für Aufsehen sorgte: Einige europäischen Mobilfunkbetreiber planen laut einem Bericht der Financial Times, dass bereits innerhalb der Rechenzentren ein Werbeblocker implementiert werden soll. So lässt sich verhindern, dass Webseiten und Apps auf mobilen Begleitern wie etwa Smartphones die meisten Werbeformen laden. Auf diese Weise wollen die Netzbetreiber vor allem Branchengrößen wie Google unter Druck setzen. Das Kalkül: Werden bei mehreren Millionen Mobilfunk-Kunden keine Werbebanner geladen, brechen die Umsätze ein. Und angesichts dieser Drohung wären die Internetdienste eher bereit, die Netzbetreiber an den Milliarden-Umsätzen zu beteiligen. Dass kleinere Angebote, die sich ebenfalls von Anzeigen finanzieren, schneller die Puste ausgehen würde als Google, spielt in den Überlegungen zumindest öffentlich noch keine Rolle.

Auf den ersten Blick erscheint der Fall auch eindeutig: Wenn ein Provider so tief in den Datenverkehr eingreift, indem bestimmte Inhalte nicht übertragen werden, ist das ein Verstoß gegen die Netzneutralität. Allerdings bieten die EU-Pläne einige Lücken: So soll es den Providern etwa mit expliziter Zustimmung Nutzer gestattet werden, Inhalte wie Spam oder Pornographie zu blockieren. Würde Werbung nun als Spam deklariert werden, könnte sie dementsprechend blockiert werden, ohne gegen die Vorgaben der EU zu verstoßen. Allerdings ist dieser Passus noch umstritten, sodass nicht klar ist, ob dieser noch in den finalen Entwurf gelangt, der dann im Herbst beschlossen werden soll. Ebenso fraglich ist, ob die nationalen Aufsichtsbehörden wie etwa die Bundesnetzagentur bei so einem Winkelzug zustimmen.

Dementsprechend fordert etwa Joe McNamee von der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights: „Die europäischen Institutionen sollten die rechtlichen Vorgaben nicht den nationalen Regulierungsbehörden und Gerichten überlassen.“ Er begrüßt zwar, dass EU-Parlament den EU-Staaten einige Zugeständnisse beim Streit um die Netzneutralität abgerungen hat. Doch offene Streitfragen sollten noch geklärt werden, wenn das Gesetzpaket in die zweite Lesung des Parlaments geht. Ansonsten drohen langwierige Gerichtsstreitigkeiten.

Eine Befürchtung, die nicht von der Hand zu weisen ist. Allein die genannten Gedankenspiel zeigen bereits, wie dehnbar die Regeln der EU derzeit sind. Und über allem schwebt die ungelöste Frage, ob die Spezialdienste tatsächlich eine technische Notwendigkeit sind. Oder lediglich der Versuch der Provider, ein neues Geschäftsmodell zu erschaffen.

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