Präzedenzfall: Tanzendes Baby führt zu neuer Auslegung von Fair Use

Daniel Kurbjuhn
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Präzedenzfall: Tanzendes Baby führt zu neuer Auslegung von Fair Use

Im Verfahren um ein tanzendes Baby hat der Rechteverwerter Universal Music einen herben Rückschlag hinnehmen müssen. Das Berufungsgericht des 9. Bundesbezirksgericht hat die Fair-Use-Doktrin neu ausgelegt und damit die Möglichkeiten der Rechteinhaber deutlich eingeschränkt.

Der Fall um das tanzende Baby begann im Februar 2007, als die Mutter des Kindes den 29 Sekunden dauernden Auftritt ihres Sohnes auf YouTube veröffentlicht. Das Kind, das gerade das Laufen erlernt hatte, tanzt an einem Puppenwagen zur Musik. Sie ist in dem Video aufgrund des rauschenden Mikrofons kaum zu vernehmen. Auch das Video selber ist unscharf und nicht professionell. Der Titel des Videos gibt jedoch den entscheidenden Anhaltspunkt, welches Musikstück im Hintergrund läuft. „Let's go crazy“ lautet das Stück des Musikers Prince und die Rechte dafür hält Universal Music.

Der Rechteverwerter fand das Video einige Zeit später und forderte YouTube auf, es vom Netz zu nehmen. Dabei berief sich der Konzern auf den 1998 erlassenen Digital Millennium Copyright Act (DMCA), mit dem das geistige Eigentum geschützt werden soll. Doch die Mutter ließ das erfolgreiche Video erneut bei YouTube hochladen und zog mit dem Fall vor Gericht. Bis heute konnte das Video 1,8 Millionen Abrufe auf sich vereinen.

Bereits in den vorausgegangenen Verhandlungen wurde festgestellt, dass Universal Music formal nicht geprüft hatte, ob das Video unter die Fair-Use-Doktrin fällt. Diese Doktrin erlaubt in Einzelfällen die Verwendung von urheberrechtlichen geschütztem Material, wenn keine Gewinnerzielung verfolgt wird oder nur kleine Musikteile genutzt werden. Diese Bedingungen trafen auf den vorgelegten Fall zu, womit eine strafbare Urheberrechtsverletzung vom Tisch war. Dennoch verweigerte Universal Music der Mutter Schadensersatz und begründete dies damit, dass die damalige Sichtung dem Fair-Use-Check entsprochen habe.

Das Berufungsgericht des 9. Bundesbezirksgerichts hat nun in ihrem Urteil festgestellt, dass der Rechteinhaber in jedem Fall auf Fair Use prüfen muss, bevor eine Sperrverfügung ergeht. Wesentlich mehr Tragweite kommt jedoch der Feststellung bei, dass Fair Use keine gesetzliche Entschuldigung ist, sondern eine vollwertige gesetzliche Genehmigung. Mit dieser Einstufung liegt im Falle von Fair Use von vornherein kein Verstoß gegen Urheberrechte vor. Damit einher geht das Recht auf freie Meinungsäußerung, das in den USA durch den 1. Zusatzartikel der Verfassung geschützt ist. Dieses Recht wird weit ausgelegt und führt unter anderem dazu, dass spätere Strafen für Äußerungen nicht hoch ausfallen dürfen.

Dies könnte in Fällen, bei denen im Nachhinein festgestellt wird, dass es sich nicht um Fair Use handelt, zu einer deutlich geringeren Strafe führen, als es bisher der Fall war. Allerdings erleichtert das Gericht im Gegenzug den Rechteinhabern die Prüfung des Einzelfalls erheblich. So müsse nicht intensiv auf Fair Use geprüft werden – stattdessen reiche es aus, wenn Überschriften und Texte der jeweiligen Website ausgewertet werden. Dies erfolgt mittlerweile in aller Regel automatisch, was folglich den Vorgaben entsprechend könnte.

Wie sich dies auf den vorliegenden Fall auswirkt, ist indes noch offen. Das Berufungsgericht hat den Fall nun an die vorangegangene Instanz zurück verwiesen, wo nun geprüft werden muss, ob Universal Music vorab eine hinreichende Prüfung auf Fair Use durchgeführt habe. Ist dies der Fall, bleibt das Video zwar dem Netz erhalten, eine Schadensersatzpflicht seitens des Rechteinhabers besteht dann aber auch nicht.