BND-Skandal: Hässliche Details aus der Überwachungsmaschinerie

Andreas Frischholz
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BND-Skandal: Hässliche Details aus der Überwachungsmaschinerie
Bild: nolifebeforecoffee | CC BY 2.0

Nachdem der BND-Sonderermittler Kurt Graulich mehrere Monate lang geprüft hat, welche Ziele der Bundesnachrichtendienst (BND) im Auftrag der NSA ausspioniert hat, fällt das Urteil hart aus: Es sind etwa deutlich mehr deutsche Firmen betroffen, als bislang bekannt war. Zum Unschuldslamm taugt der BND allerdings nicht.

NSA nutzte BND für Spionage gegen deutsche Ziele

Es habe „qualitativ gravierende Verstöße durch die NSA“ gegeben, die klar gegen deutsches Recht verstoßen – so lautet das Fazit von Graulich in dem 300-seitigen Abschlussbericht, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Für diesen wurden rund 39.000 Selektoren – also Suchbegriffe wie Telefonnummern, IP- und E-Mail-Adressen – untersucht, die der BND zwischen 2005 und März 2015 von der NSA erhalten hatte. Bekannt war bereits, dass die NSA-Suchbegriffe sowohl auf europäische als auch deutsche Politiker und Unternehmen abzielten. Doch die gründliche Analyse offenbart ein bis dato nicht bekanntes Ausmaß:

  • 16 Prozent der 39.000 Selektoren sollen auf Telekommunikationsteilnehmer in Deutschland abzielen.
  • Erstaunlich viele deutsche Firmen stehen auf der Liste. Dazu zählen nicht nur Geheimdienst-Kandidaten wie etwa Rüstungsunternehmen, sondern auch Spezialunternehmen wie beispielsweise Tunnelbauer.

Per se handelt es sich also nicht immer um legitime Ziele der Geheimdienste. Bestätigt wird in dem Bericht zudem, dass es die NSA auch auf EADS und Eurocopter abgesehen hatte – mehr als 70 Telefonnummern wurden diesen Unternehmen zugeordnet. Rund 70 Prozent der Selektoren sollen allerdings auf europäische Regierungsstellen abgezielt haben. Dabei habe es die NSA zum Teil auf den kompletten Stab einer EU-Regierung abgesehen.

Ahnungslos und ausgenutzt

Graulich hat allerdings nur eine Liste mit Selektoren untersucht, die der BND im Laufe der Jahre bereits selbst aussortiert hatte. Dabei sollen die meisten Suchbegriffe erst gar nicht in die Überwachungssysteme eingespeist worden sein. Manche waren dem Bericht zufolge aber mehr als 100 Tage aktiv geschaltet. Für den BND ist diese Prüfung aber dennoch heikel. Denn es ist ein klarer Verstoß gegen deutsches Recht, wenn sich die Überwachungsaktivitäten des Geheimdienstes gegen deutsche Firmen richten.

Hinzu kommt: Der BND hat viel zu lange auf die NSA vertraut, obwohl die Zusammenarbeit „weder transparent noch für die deutsche Seite steuerbar“ war, wie es in dem Abschlussbericht von Graulich heißt. Daher wurde das Kanzleramt auch erst im März dieses Jahres informiert, dass die NSA zahlreiche Suchbegriffe übermittelt hat, die gegen deutsche Interessen verstoßen – und damals war das aktuelle Ausmaß noch nicht absehbar. Zudem lässt sich im Nachhinein offenbar nicht mehr feststellen, wie viele illegale NSA-Suchbegriffe vom BND nicht bemerkt wurden.

Daher bewertet Graulich das Verhalten der NSA als klaren Verstoß gegen das Memorandum of Agreement (MoA), das 2002 zwischen der US-Regierung und dem Kanzleramt beschlossen wurde und die gemeinsame Überwachungsarbeit von deutschen und US-Geheimdiensten regelt. Eine Erklärung für das Verhalten der NSA habe Graulich allerdings nicht. Eine entsprechende Anfrage hatte der US-Geheimdienst nicht beantwortet. Aus dem Abschlussbericht geht allerdings auch nicht hervor, ob die illegalen Suchbegriffe auf Wirtschaftsspionage abzielten.

BND als Unschuldslamm nicht geeignet

Fair ist es allerdings nicht, wenn man den BND ausschließlich als willfährigen Helfer darstellt, der sich illegale Überwachungsziele unterjubeln lässt. Denn der deutsche Geheimdienst hat es zumindest bis 2013 auch ohne Hilfe der NSA geschafft, Bündnispartner auszuspionieren – und das betrifft sowohl europäische als auch amerikanische Ziele, wie zuletzt bekannt wurde. So sollen auch amerikanische Außen- und Verteidigungsminister sowie Senatoren in Hunderten Fällen abgehört worden sein, wenn diese auf Reisen unverschlüsselt kommuniziert haben.

In welchem Ausmaß der BND gegen befreundete Staaten spioniert hat, prüft derzeit eine Task-Force, die vom parlamentarischen Kontrollgremium eingesetzt wurde. Und die ersten Resultate sind ernüchternd: Demnach zeigt eine Liste mit rund 2.800 Selektoren, dass der deutsche Geheimdienst praktisch in ganz Europa und den USA aktiv war, wie die Berliner Zeitung in dieser Woche berichtete.

Darüber hinaus wurden zuletzt auch wieder Dokumente enthüllt, die die gemeinsamen Überwachungsaktivitäten von BND und NSA in Österreich belegen. Im Rahmen der Operation Eikonal sollen die Dienste auch Leitungen angezapft haben, die von der Telekom Austria genutzt wurden. Und das Kanzleramt in Berlin soll diese Operationen abgesegnet haben, berichtet der Standard.

Bundesregierung betreibt Schadensbegrenzung

Konkret besagen all die Enthüllungen nun:

  • Dem BND wurden von der NSA illegale Suchbegriffe untergejubelt, um Partnerstaaten auszuspionieren.
  • Der BND hat eigenständig Ziele in Europa und den USA überwacht.

Für die Bundesregierung ist das politisch äußerst brisant, denn in den letzten Jahren argumentierte diese stets getreu dem Credo von Kanzlerin Merkel: „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.“ Daher ist es auch wenig verwunderlich, dass das Kanzleramt zumindest einräumt, beim BND habe es „im Bereich der strategischen Fernmeldeaufklärung (…) technische und organisatorische Defizite“ gegeben. Die sollen aber beseitigt werden. Reformen wurden zwar auch angekündigt, doch die Pläne fallen eher bescheiden aus: So soll etwa das Auftragsprofil des BND überarbeitet werden.

Am Kernprinzip der Überwachungsmaschinerie – also dem massenhaften Sammeln und Auswerten von Daten – soll sich derweil nichts ändern. Denn die Bundesregierung sieht nach wie vor keine „Hinweise auf eine massenhafte Ausspähung deutscher und europäischer Staatsbürger“, wie eine Pressesprecherin laut dem Bericht der Süddeutschen Zeitung erklärt.

EU-Parlament fordert Ende der Massenüberwachung

Die Frage ist nun, wie lange sich die Bundesregierung mit dieser Haltung noch durchsetzen kann. So hat das EU-Parlament erst am Donnerstag im Rahmen eines Erschließungsantrags gefordert, dass die EU-Kommission infolge der NSA-Enthüllungen stärker gegen die Massenüberwachung vorgehen müsse. Das forderten die Abgeordneten bereits 2014, doch seitdem habe sich zu wenig getan, sodass „die Grundrechte der Bürger der EU nach wie vor in Gefahr sind“.

Als „höchst bedenklich“ wird dabei aber auch die Kooperation zwischen dem BND und der NSA bewertet. Ähnliches gilt aber auch für Gesetze, die einige EU-Staaten unlängst beschlossen haben, um die Überwachungsbefugnisse der Geheimdienste zu erweitern – als konkrete Beispiele werden dabei Frankreich, Großbritannien und die Niederlande genannt.

Angesichts dieser Ausgangslage müsse nun die EU-Kommission eine Strategie entwickeln, um die Online-Privatsphäre der EU-Bürger zu schützen. Solche Maßnahmen sind seit dem Safe-Harbor-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ohnehin nötig, um den Austausch von persönlichen Daten mit den USA zu ermöglichen.

Kleine Randnotiz: Neben dem Eindämmen der Massenüberwachung sprachen sich die Abgeordneten – wenn auch mit knapper Mehrheit – dafür aus, dass Edward Snowden in Europa Asyl erhalten soll. Etwaige Strafanzeigen sollen die EU-Staaten fallenlassen, um „ihm in Anerkennung seines Status als Informant und international tätiger Menschenrechtsverfechter Schutz zu gewähren“.