NSA-Ausschuss: Ermittler zwischen Aufklärung und Stockholm-Syndrom

Andreas Frischholz
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NSA-Ausschuss: Ermittler zwischen Aufklärung und Stockholm-Syndrom
Bild: Carsten | CC BY 2.0

Die NSA habe systematisch gegen die Vereinbarungen mit der Bundesregierung verstoßen, erklärt der BND-Sonderermittler Kurt Graulich im NSA-Ausschuss des Bundestags. Beim BND existieren zwar auch Mängel, generell zeichnet er aber ein freundliches Bild von der Arbeit des deutschen Geheimdienstes.

Sonderermittler mit Verdacht auf Stockholm-Syndrom

Die Opposition spricht daher schon von einem Stockholm-Syndrom. Denn das Kernproblem an der Aufklärungsarbeit des Sonderermittlers war: Er wurde von der Bundesregierung als „unabhängige Vertrauensperson“ eingesetzt, um die geheime Liste mit den illegalen NSA-Selektoren – also Suchbegriffen wie Telefonnummern, E-Mail- und IP-Adressen – zu überprüfen. Allerdings fand die Analyse der Selektoren in den Räumen des Bundesnachrichtendienstes (BND) statt, der Graulich zudem auch bei technischen Fragen beraten hat.

Derweil wurde den Abgeordneten aus dem NSA-Ausschuss ein Einblick in die Selektoren-Liste aus Geheimhaltungsgründen verweigert. Graulich durfte in der Sitzung auch keine konkreten Details nennen, sondern die Lage nur vage beschreiben. Dieser Vorgaben und die Nähe zum BND verdeutlichen daher bereits das komplette Dilemma, das den Abschlussbericht dominiert.

Fragwürdige Nähe

So bemängelte etwa der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org, dass oftmals nicht klar sei, ob eine rechtliche Einschätzung nun vom BND oder von Graulich stammt. Das wurde auch schon im Vorfeld der Sitzung kritisiert, weil Graulich sich etwa nicht klar von einem fragwürdigen BND-Konstrukt wie der „Weltraum-Theorie“ distanziert hat. In diesem Kontext sprach von Notz auch von einem Verdacht auf das Stockholm-Syndrom – das wird normalerweise den Opfern von Entführungen attestiert, wenn diese mit den Tätern sympathisieren.

Graulich selbst wehrte sich gegen die Vorwürfe, die Nähe zu den BND-Mitarbeitern habe keinen Einfluss auf den Abschlussbericht gehabt. „Mich beeindrucken weder eine schlechte Presse noch der BND noch Fragen des Parlaments“, so Graulich. Auf Nachfrage der Linke-Abgeordneten Martina Renner räumte er allerdings ein, dass Teile des Abschlussberichts – mehr oder weniger – direkt von BND-Mitarbeitern stammen. „Technische Formulierungen“ wären in enger Zusammenarbeit mit den Technikern erstellt worden. Dass diese aber oftmals nicht allzu präzise sind, zeigt eine Analyse von Netzpolitik.org.

Abschlussbericht widerspricht Erkenntnissen aus dem NSA-Ausschuss

Hinzu kommt, dass der Abschlussbericht bisweilen Passagen enthält, die Aussagen von BND-Zeugen im NSA-Ausschuss widersprechen. Beispielsweise betrifft das die sogenannten G10-Filter – also Programme, die der BND nutzt, um Selektoren zu entfernen, die deutsche Staatsbürger betreffen. Laut Graulichs Abschlussbericht hätten diese in der Regel immer gut funktioniert. Das gilt allerdings nur, wenn etwa E-Mail-Adressen auf „.de“ enden und +49-Telefonnummern betroffen sind, also auf den ersten Blick zu erkennen ist, dass die Selektoren auf deutsche Kommunikationsdaten abzielen. Sobald solche Merkmale fehlen, wird es schwierig mit den Filterprogrammen, wie bereits in vergangenen Sitzungen des NSA-Ausschusses deutlich wurde.

NSA hat gegen Vereinbarung verstoßen

Wie bereits in der letzten Woche bekannt wurde, kritisiert Graulich vor allem die NSA. Der US-Geheimdienst habe systematisch gegen das „Memorandum of Agreement“ verstoßen, das 2002 abgeschlossen wurde und die Zusammenarbeit zwischen NSA und BND im Standort Bad Aibling regelt. Beide Seiten hätten sich dabei verpflichtet, die nationalen Interessen und die Rechtsordnung der jeweils anderen Partei zu respektieren. Doch die NSA hatte zahlreiche Selektoren übermittelt, die gegen die Vereinbarung verstoßen und die der BND zum Teil auch in die eigenen Suchsysteme eingespeist hatte.

Insgesamt enthält die Liste rund 39.000 Selektoren, die der BND im Laufe der Jahre aussortierte. Diese hat Graulich analysiert. Demnach zielten mehr als zwei Drittel auf Regierungsstellen in EU-Staaten. Hier sieht Graulich den Hauptverstoß gegen die Kooperationsvereinbarung, die ausdrücklich besagte, dass europäische Ziele allenfalls eingeschränkt und anlassbezogen, keineswegs aber pauschal und flächendeckend erfasst werden durften.

Dennoch waren es vor allem diese Selektoren, die der BND nicht direkt aussortiert hat. Manche waren sogar mehr als 100 Tage aktiv geschaltet. Weitere Suchbegriffe hatten auch deutsche Firmen im Visier. Betroffen waren in erster Linie Telekommunikationsanbieter, doch auch auf Spezialfirmen wie Tunnelbauer soll es die NSA abgesehen haben.

Die Frage nach der Wirtschaftsspionage bleibt unbeantwortet

Eine der Kernfragen ist daher, ob die NSA mit den übermittelten Selektoren auch Wirtschaftsspionage betreiben wollte. Doch auch auf diese Frage konnte Graulich keine präzise Antwort geben – ausschließen wollte er dies aber nicht. Ähnlich sieht es bei der politischen Spionage aus. Zumindest in der öffentlichen Sitzung erklärte Graulich nur vage, dass Spionage per se nicht verboten sei. Ebenso wenig konnte er sagen, ob es zu Rechtsverstößen gekommen ist, wenn der BND illegale Selektoren in den Überwachungssystemen aktiv geschaltet hatte und im Anschluss auch die entsprechenden Informationen an die NSA übermittelte. Das wäre nicht sein Untersuchungsgegenstand gewesen, erklärte Graulich laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org.

Mängel beim BND

Fehler habe allerdings auch der BND gemacht. Der zentrale Kritikpunkt von Graulich lautet: Es wurde nicht ausreichend geprüft, ob die NSA-Selektoren nicht doch gegen deutsches Recht verstoßen. Dafür macht er vor allem Probleme mit der Software und die vagen rechtlichen Vorgaben verantwortlich. Die BND-Mitarbeiter hätten aber prinzipiell versucht, nicht gegen deutsches Recht zu verstoßen.

Daher kritisiert Graulich in erster Linie auch das rechtliche Grundgerüst des BND, das er als „unvollendete Baustelle“ beschreibt. Mit dem BND-Gesetz, den G10-Regelungen und den parlamentarischen Kontrollgremien gebe es eine Vielzahl von Instanzen, doch ein einheitliches Kontrollsystem fehlt. Zudem müsse die Bundesregierung dafür sorgen, dass die rechtlichen Vorgaben künftig konkreter gestaltet werden. So sei etwa lange Zeit nicht eindeutig definiert gewesen, was unter den „deutschen Interessen“ zu verstehen ist. Das wäre auch einer der Gründe gewesen, warum die Überwachungsaktivitäten des Geheimdienstes bis 2013 auch auf EU-Staaten abgezielt haben.

Grundsätzliche Kritik an der Massenüberwachung äußert Graulich allerdings nicht.

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