Kommentar: Die Musikindustrie, Cowboys und kriminelle Kinder

Sasan Abdi
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Sasan Abdi

Cowboys, Umsätze und kriminelle Kinder

Die Musikindustrie befindet sich unbestritten in einem tiefen Tal der Tränen, das weiß dieser Tage wohl beinahe jeder. Laut dem weltweiten Phonoverband IFPI gilt es den illegalen Download von rund acht Milliarden Musikdateien zu verbuchen. Demgegenüber stehen nur 200 Millionen Tracks und ein paar Zerquetschte, die über iTunes und Co. an den Mann gebracht werden, während das „normale“ Geschäft mit Singles und Alben nur so dahinsiecht. So verzeichnet allein die deutsche Musikindustrie Einbußen von 40 Prozent und baut deshalb rund 2000 Arbeitsplätze ab.

Doch wie kommt der so heftige Einbruch zustande - ein Ende ist mittelfristig nicht einmal in Sicht. Die Benutzerzahlen von iTunes pendeln sich auch langsam ein. Was ist bloß passiert? Wo ist das einst so tolle Verhältnis Musikindustrie-Konsument geblieben? Es gilt hierzu zunächst einmal eine solide Ursachenforschung zu betreiben.

Die Musik-Industrie erlebte insbesondere von Anbeginn der Achtziger bis zum Ende der Neunziger Jahre einen nicht zu verkennenden Boom. Dieser verschaffte den Plattenfirmen zum Einen horrende Gewinne und den Stars auf der anderen Seite exorbitante Gagen. Urplötzlich aber brach alles zusammen. Seit dem Ende des vergangenen Jahrtausends sinken die Umsatzzahlen. Dieser Tage sind wir sogar soweit, dass Microsoft-Offizielle iPod-Anwender als Musik-Piraten titulieren. „What the hell just happened?“. Gute Frage.

Der Hauptgrund ist mit Sicherheit die professionell betriebene Raubkopiererei, die vornehmlich im südostasiatischen Raum nahezu exzessiv umgesetzt wird. Aber auch die normalen Anwender tragen durch die Nutzung von Peer-to-Peer-Tauschbörsen à la KaZaa und Edonkey zum Niedergang einer Branche bei. Moment. Was?

Privatpersonen als entscheidender Faktor für den Niedergang einer Branche? Ja?! Na gut, aber Profitgier spielt hier ja wohl keine Rolle! Wie also kommt es, dass so viele Menschen dem illegalen Erwerb von Musik fröhnen? Diese absolut legitime Frage ist der ultimative Kern der gesamten Problematik. Die Musikindustrie aber versucht erst gar nicht, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Im Gegenteil. Frei nach dem Motto „was ich nicht verstehe, bekämpfe ich“, bläst insbesondere die RIAA, vornehmlich in den USA, aber zunehmend auch in Europa, zum Kreuzzug gegen Tauschbörsennutzer.

Dem aufmerksamen Leser fällt spätestens jetzt auf, dass es sich hierbei um ein Paradoxum handelt. Denn: Sind nicht gerade die Gejagten potentielle Kunden? Nun gut. Es lässt sich behaupten, dass diese paar schwarzen Schafe nicht mehr zum Kundenspektrum gehören. Blauäugig! Ernstzunehmende Erhebungen beweisen, dass in nahezu jedem Haushalt, der einen Internetanschluss besitzt, auch garantiert illegal erworbene Musikdateien zu finden sind.

Was also tun? Der US-amerikanische Justizminister gedenkt das Problem auf die „Cowboy-Art“ zu lösen. So forderte er in der vergangenen Woche mehr Gelder zur Verfolgung von Teenagern, die es wagen, Britney Spears ohne Bezahlung zu konsumieren. Nicht etwa Aufklärungskampagnen sollen insbesondere das junge Volk vor der Kriminalisierung bewahren, nein, mehr FBI-Agenten müssen her. Ferner will der gute Mann dann noch den Schutz der Privatsphäre gehörig zusammenschneiden - Big Brother for all, wir kommen. Da wird hier ein Lehrer für den Besitz von 500 Tracks bestraft, dort ein elf-jähriges Mädchen für den Besitz von sechs (!) Musikdateien zur Kleinkriminellen.

Wenn sich dann mal jemand auf das Minenfeld wagt wie unsere Justizministerin, wird sofort scharf geschossen. „Ein Freibrief zum Raubkopieren“, sei der Teil in der Novellierung des Urheberrechtsgesetzes in Deutschland, wonach Besitzer von illegal erworbener Musik kaum bestraft werden sollen, solange die „Warez“ dem privaten Zweck dienen. Doch wie soll man das Problem sonst angehen? Den Pausenhof umstellen und jeden zweiten mit horrenden Geldbußen abstrafen? Wenn es nach Herrn Ashcroft und seinen Freunden von der RIAA geht, schon.

Nach alledem ist die Frage nach dem „Warum“ aber noch immer nicht geklärt. Dabei muss man keinen IQ von Einsteins Güte besitzen, damit einem ein Licht aufgeht. Bezeichnender Weise setzte die Flaute in der Musikindustrie zum einen mit der stark vorangetriebenen Verbreitung von Breitbandinternetanschlüssen ein. Hier findet sich unumstritten ein wichtiger Faktor. Die Ironie aber will es, dass zur gleichen Zeit auch ein Wandel im „Music-Business“ stattfand. Der Trend geht nach wie vor weg von „echten“ Stars, die über Jahre hinweg durch ihre Plattenfirmen hochstilisiert werden und durch konstant qualitativ-hochwertige Musik überzeugen können, hin zu den „Reagenzglas-Stars“, die in „Ruck-Zuck“-Castings von heute auf morgen zu Idolen erhoben werden.

Dass dabei die Qualität vollkommen auf der Strecke bleibt, liegt auf der Hand. Wie soll ein Laie, der vielleicht sogar über ein gewisses Talent verfügt, längerfristig die Ohren der Käufer ansprechen? Geht nicht? Stimmt! Als Beweis dafür ist die unglaubliche Schnelllebigkeit in dem Geschäft anzuführen. Konstanz: Fehlanzeige. Viel mehr ist die Landschaft der Musik- „Stars“ gespickt mit Eintagsfliegen, so genannten „One-Hit-Wundern“, die unsere Ohren einen Sommer lang beschallen und wenn sie Glück haben ein paar Jahre später durch Kokain-Konsum in einer Disco wieder auffallen.

„Begonnen der Angriff der Klonkrieger hat.“ Nun mag der eine sagen, dass ihm das sogar ganz gut gefällt, was Popstars, Starsearch und all die anderen kürzelgespickten Talentsendungen da so zu Tage fördern. Fest steht aber, dass der Markt schon nach dem Ende der ersten Staffeln vollkommen übersättigt war. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Masse hat also allem Anschein nach genug von der Retorten-Musik, die entweder darauf bedacht ist, richtige Hits zu covern oder zumeist mit „maria hi, maria ho“ oder ähnlichen, nichts sagenden „Lyrics“ aufwartet.

Erklärt das die Raubkopiererei? Nicht wirklich. Aber: Dieser Umstand ist mit Sicherheit ein weiterer Faktor, der zu den horrenden Umsatzeinbußen einer gesamtem Branche führt. Für die Musikindustrie ist somit nicht etwa „iTunes“ die Lebensrettung, sondern eine nüchterne Überdenkung der eigenen Marktstrategie. Man muss sich von den „Klon-Kriegern“ lösen und sich auf alte Werte besinnen - auch wenn dies mittelfristig weniger Geld bedeutet, da man viel Zeit, Geld und auch Aktivität in einen wirklichen Star investieren muss. Dennoch kann nur so längerfristig das eigene Überleben gesichert werden. Dass das Verhältnis zwischen der Musikindustrie und dem Kunden wieder ins Lot kommt, ist auch im Interesse eines jeden von uns - 2000 abgebaute Arbeitsplätze allein in Deutschland sind dafür ein idealer Indikator. Sollten sich die Verantwortlichen aber weiterhin darauf fixieren, ihre potentiellen Kunden zu jagen und zu bestrafen, anstatt sie „umzukehren“, so werden wir auch im Jahre 2020 jammernde Stimmen auf der Popkomm erleben.

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