Oculus Rift DK 2 im Test: Die Zukunft ist hier und sie beeindruckt nachhaltig

Andreas Schnäpp
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Oculus Rift DK 2 im Test: Die Zukunft ist hier und sie beeindruckt nachhaltig

Einleitung

Was vor etwas mehr als zwei Jahren als Kickstarter-Projekt mit dem niedrig gesteckten Ziel von 250.000 US-Dollar begann, hat mittlerweile eine eigene Entwicklerkonferenz, die milliardenschwere Unterstützung von Facebook und eine Reihe renommierter Entwickler und Visionäre der IT-Industrie (etwa John Carmack, Michael Abrash, Kenneth Scott, Tom Forsyth, Jason Rubin und viele weitere) um sich geschart. Die Rede ist von Oculus VR und den haushohen Wellen, die das per Crowdfunding finanzierte Konzept einer massenkompatiblen und erschwinglichen VR-Plattform seit September 2012 geschlagen hat.

Waren es anfangs noch weniger als 10.000 Unterstützer, die an das Potential von virtueller Realität glaubten, gesellt sich mittlerweile eine riesige Entwicklergemeinde dazu: Vom ersten Entwickler-Kit konnten über 55.000 Einheiten ausgeliefert werden, das DK2 hingegen wurde seit der Ankündigung im März des vergangenen Jahres schon über 70.000 Mal verkauft. Die beiden meistgenutzten Spiel-Engines Unity sowie Unreal-Engine werden von offizieller Seite aus kostenlos unterstützt. Das große Interesse an VR-Lösungen veranlasste Sony dazu, mit Project Morpheus einen hauseigenen VR-Prototypen zu präsentieren, der die PlayStation 4 ins VR-Zeitalter tragen soll.

Samsung nahm die Kooperation mit Oculus VR so ernst, dass Anfang dieses Monats das Gear VR als „Innovator Edition“ in den USA in den offenen Verkauf ging. Googles kostengünstige Alternative dazu: Google Cardboard, ein VR-Kit aus Pappe zum Selberbasteln.

Doch was bedeutet diese Entwicklung für uns Menschen heute und in der Zukunft? Wohin führt die Reise? Und worin unterscheiden sich die aktuellen VR-Lösungsansätze?

Dieser Artikel ist eine Orientierungshilfe, er erläutert die Grundlagen und fasst den aktuellen Stand der Technik zusammen. Welche Anwendungen sind heute schon nutzbar und woran arbeiten die virtuellen Pioniere? Was bedeutet die Technik für Spieler und wieso hat VR das Potential, die Medienwelt komplett auf den Kopf zu stellen? ComputerBase hatte das Oculus Rift DK 2 über mehrere Wochen im Einsatz. Ein Statusbericht mit Ausblick.

VR-Hardware (Grundlagen und Überblick)

Ob Film oder Computerspiel – jedem Nutzer dieser Medien wird das Gefühl der Immersion, ob unbewusst oder bewusst, schon untergekommen sein: Das Eintauchen in eine virtuelle Welt, bei der die Wahrnehmung der realen Umgebung sowie des eigenen Körpers in den Hintergrund tritt und der Nutzer stattdessen regelrecht in seiner virtuellen Umgebung „versinkt“. Während bei Filmen die passive Immersion überwiegt, kommt bei Videospielen der interaktive Aspekt hinzu, der eine verstärkte Wahrnehmung dieses Gefühls ermöglicht. So erzielen beispielsweise Spiele aus der First-Person-Perspektive eine höhere Intensität des Immersionsgefühls, weil der Unterschied zur eigenen Körperwahrnehmung, insbesondere in diesem Fall aufgrund des ähnlichen Blickfelds, geringer ausfällt, als bei filmischer Immersion oder Third-Person-Spielen.

Oculus Rift Dev-Kit 2
Oculus Rift Dev-Kit 2 (Bild: Oculus VR)

Hierin begründet liegt auch das markanteste und wichtigste Alleinstellungsmerkmal, das Virtual Reality von bisherigen Formen der Mediennutzung unterscheidet: das Gefühl der Präsenz. Klassische, besonders immersive Spielerlebnisse können eine Reihe von Emotionen und mentalen Veränderungen bei den Spielern auslösen, unter anderem den in der Psychologie als „Flow“ bezeichneten Bewusstseinszustand völliger Vertiefung. Doch in all diesen Fällen agiert der Spieler nur als Zuschauer vor einem Fenster in eine virtuelle Welt: Die Grenzen des Bildschirms sind geistig gegenwärtig und das Gehirn des Spielers konstruiert unterbewusst anhand der verarbeiteten Sinneseindrücke seine Wahrnehmung von Wirklichkeit. Die Grenzen der „echten“ Realität werden, ebenfalls unterbewusst, von der virtuellen, vorgegaukelten Wirklichkeit mittels „Realitäts-Checks“ unterschieden – im Fall eines Computerspiels nimmt das Auge im peripheren Blickfeld die Umrisse des eigenen Körpers oder die Umgebung jenseits des gerade fokussierten Bildschirms wahr.

Genau hier setzt die aktuelle Entwicklung auf dem Feld der virtuellen Realität an: Durch den Einsatz von Head-Mounted-Displays werden die Sinne des Nutzers regelrecht sensorisch „ausgetrickst“. Aufgrund der Anpassungsfähigkeit des Gehirns gewöhnt es sich relativ schnell an neue Sinneseindrücke und akzeptiert unterbewusst, sofern die Eindrücke stimmig zueinander sind, das Wahrgenommene als Wirklichkeit. Insofern nutzen aktuelle VR-Lösungen eine Kombination von optischen und akustischen Sinneseindrücken, die im Optimalfall dazu führen, dass der Nutzer in der virtuellen Welt das Gefühl der Präsenz erlangt; seine Wahrnehmung verschmilzt sozusagen mit den virtuellen Sinneseindrücken. Dieser Zustand ist das höchste Ziel, das VR-Entwickler mit ihren Anwendungen anstreben können, und zugleich das Merkmal, wieso sich VR-Erlebnisse nur schwer in Worte fassen lassen – sie müssen wortwörtlich mit den eigenen Sinnen erlebt werden.

„Project Morpheus“-Prototyp
„Project Morpheus“-Prototyp (Bild: Sony)
Samsung Gear VR
Samsung Gear VR

Die Annäherung an das menschliche Gesichtsfeld wird bei aktuellen Prototypen durch ein Display erreicht, das in Kombination mit stark vergrößernden Linsen und optischer Verzeichnung ein möglichst breites Sichtfeld erzeugt. Als Nebeneffekt dieser Art von Bilddarstellung ergibt sich eine intensive Raumwahrnehmung, die für das dreidimensionale Mittendrin-Gefühl ausschlaggebend ist. Bei der Bewegung des Kopfes erwartet das Gehirn des Nutzers, dass die optischen Reize mit den Sinneseindrücken des Gleichgewichtsorgans übereinstimmen: An dieser Stelle kommt das Head-Tracking zur Geltung, das entsprechend der aktuellen Kopfbewegung oder -neigung des Nutzers ein angepasstes Bild auf die Bildschirmfläche überträgt. Sind die Sinneseindrücke nicht im Einklang oder hinkt das dargestellte Bild den Kopfbewegungen merklich hinterher, spricht man von Latenz, einer der Ursachen für „Simulator Sickness“.

Wie kritisch das Thema Latenz für VR ist, erläuterte Michael Abrash, zu dem Zeitpunkt noch bei Valve angestellt, in einem detaillierten Blogpost zum Thema Augmented Reality und VR: Während bei normalen Computerspielen zwischen Mauseingabe und der Darstellung des veränderten Bildausschnitts 50 Millisekunden die Regel sind, liegt das Optimum im VR-Kontext bei deutlich unter 20 Millisekunden (ms). Laut Abrash verorten Forschungsergebnisse die Wahrnehmungsschwelle bei 15 respektive 7 Millisekunden „motion-to-photon-latency“. Samsungs Gear VR verzeichnet nach eigenen Angaben eine Latenz von „<20 ms“ – was laut Oculus VRgrob den am stärksten optimierten Erlebnissen mit dem DK2 entspricht“. Zu den weiteren technischen Hürden, die sich im Feld der VR-Entwicklung ergeben, lieferte Abrash im Rahmen der Steam Dev Days 2014 eine aufschlussreiche Präsentation (PDF-Zusammenfassung):

Ein weiteres essentielles Bindeglied, um den Bewusstseinszustand der Präsenz erreichen zu können, ist die Akustik: Um sich im virtuellen Raum präsent zu fühlen, muss die Klangkulisse ebenfalls dreidimensional wahrnehmbar sein und sich den Kopfbewegungen anpassen, wie es das Hörorgan im normalen Leben auch bei der Verortung von Geräuschquellen erwarten würde. Der im September präsentierte „Crescent-Bay“-Prototyp von Oculus VR, Samsungs Gear VR sowie der „Project-Morpheus“-Prototyp von Sony setzen allesamt auf 3D-Audio-Lösungen, um das räumliche Gefühl in der virtuellen Realität noch zu verstärken.

Die folgenden Abschnitte widmen sich den speziellen Eigenheiten der aktuell vielversprechendsten VR-Systeme sowie deren Einschränkungen. Insbesondere bei den mobilen VR-Lösungen zeichnen sich hierbei große Unterschiede ab.

25 Jahre ComputerBase! Im Podcast erinnern sich Frank, Steffen und Jan daran, wie im Jahr 1999 alles begann.