Soziale Netzwerke gegen, Europa für Netzsperren

Jirko Alex
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Als Ergebnis einer gestern in Berlin beendeten Konferenz mit dem einprägsamen Titel „Schutz vor sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mit Fokus auf neue Medien: Perspektiven für Europa“ gaben mehrere Organisationen bekannt, zukünftig Maßnahmen ähnlich des in Deutschland verabschiedeten Zugangserschwerungsgesetzes durchsetzen zu wollen.

In der von der Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen initiierten Deklaration heißt es laut heise online unter anderem, dass es sich bei den hierzulande erst jüngst verabschiedeten Netzsperren um ein probates Mittel handele, um die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet zu stoppen. Die Zugangserschwerung über DNS-Sperren eigne sich als „flankierende Maßnahme“ gegen Kinderpornografie, sie sei „umso effektiver, je mehr Staaten“ sich an dem Vorgehen beteiligten, wie es in dem Papier weiter heißt. Unterzeichner der Deklaration sind neben Europol und dem Bundeskriminalamt auch die Kinderschutzorganisationen Innocence in Danger, ECPAT, Save the Children und UNESCO Deutschland.

In Folge der Konferenz erklärte etwa das französische Familienministerium, die Nationalversammlung werde bereits im Herbst über entsprechende Maßnahmen beraten. Frankreich will dabei ein Sperrgesetz verabschieden, das den Einsatz von Filterlisten vorsieht, die von Europol gepflegt werden. Diese können dann auch mit den deutschen Filterlisten abgeglichen werden, heißt es weiter. Europol-Direktor Rob Wainwright kommentierte das Ergebnis der Konferenz ähnlich lautend und bezeichnete Kinderpornografie als „globales Problem“. Europol wisse bisher allerdings nicht, ob organisierte Kriminalität hinter der Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten stecke.

Bezeichnend war einmal mehr die Argumentation der Bundesfamilienministerin auf der Konferenz, wie auch schon Netzpolitik.org herausgestellt hat: Ihrer Aussage zufolge besäßen nur rund 160 Staaten eine Gesetzgebung gegen die Vergewaltigung von Kindern wohingegen es in 95 Nationen keine rechtliche Handhabe gegen Kinderpornografie gebe. Wie diese Zahlen allerdings möglich sind, wo es doch – je nach Zählweise – nur rund 200 Staaten auf der Erde gibt (193 von der UNO anerkannte sowie weitere umstrittene Gebilde) ist ebenso fragwürdig wie die Tatsache, dass (fast) alle von der UNO anerkannten Staaten die Kinderrechtskonvention der UN unterzeichnet haben, die etwa in Artikel 34 den Schutz vor sexuellem Missbrauch regeln. „Nur“ 160 Kinderpornografie verächtende Staaten kann es also nicht geben.

Mehr noch: bei den genannten 95 Staaten handelt es sich um eine Zahl, die das „International Center for Missing and Exploited Children“ (ICMEC) bereits 2006 veröffentlichte. Dabei bezieht sich diese Studie bereits in der Fragestellung auf Gesetze, die sich explizit auf Kinderpornografie beziehen. Ist kein entsprechender Paragraph vorhanden, gehört man zu den Kinderpornografie unterstützenden 95 Staaten. Auf dieser Liste stehen auch Länder wie der Iran oder Indonesien, also Staaten, die als besonders strikt bei der Auslegung körperlicher Offenheit sind. Eine Überprüfung der Liste ergab daher bereits vor Monaten, dass in 71 der 95 gelisteten Staaten Pornografie per se illegal sei und es deshalb keines zusätzlichen Paragraphen für Kinderpornografie bedürfe. Nur in 21 der beanstandeten Staaten findet sich weder eine Gesetzgebung betreffend Pornografie oder Kinderpornografie, die meisten dieser Länder befinden sich aktuell jedoch im Krieg, in der Anarchie oder in einer Phase des Wiederaufbaus.

Teil der gestrigen Konferenz sollte es ebenfalls sein, so berichtete Netzpolitik.org vorab, dass sich die großen deutschen sozialen Netzwerke einer Erklärung anschließen, die das Zugangserschwerungsgesetz als unproblematisches und legitimes anerkennt. Hierzu ist es jedoch nicht gekommen, mutmaßlich infolge der Berichterstattung über die entsprechende Erklärung, teilweise aber auch, weil die sozialen Netzwerke die Erklärung ablehnten. Mittlerweile finden sich sowohl von Xing, wer-kennt-wen als auch StudiVZ – und damit auch meinVZ und SchülerVZ – entsprechende Dementis, sodass die sozialen Netzwerke nicht als Trittfeder für das umstrittene Gesetz missbraucht wurden.

Vielen Dank an unseren Leser bluntman
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