EU-Kommission plant Einführung von Websperren

Andreas Frischholz
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Die Kommission der Europäischen Union hat neue Rechtsvorschriften vorgeschlagen, in deren Maßnahmenkatalog schärfere Strafen für sexuellen Kindesmissbrauch, sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie gefordert werden. Dieser beinhaltet unter anderem die Einführung der stark umstrittenen Internetsperren auf EU-Ebene.

Bei den vorgeschlagenen Rechtsvorschriften (PDF-Datei) handelt es sich um einen Richtlinienentwurf, den EU-Mitgliedsstaaten ist also freigestellt, in welcher Form die Sperrung erfolgt. Es soll aber sichergestellt werden, dass der Zugang zu Webseiten mit Kinderpornografie gesperrt wird. Bevor die Richtlinie in Kraft tritt, muss der Entwurf noch vorm Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament erörtert und genehmigt werden, weswegen der Vorschlag vielmehr als Auftakt eines langwierigen Gesetzgebungsprozess einzuordnen ist. Das Europaparlament tendiert derzeit anscheinend noch zu einer breiten Zustimmung, allerdings dürfen Abgeordnete noch Änderungsvorschläge unterbreiten. Somit besteht durchaus die Möglichkeit, dass die knapp gehaltene Passage bezüglich Internetsperren (siehe Zitat) noch aus dem Maßnahmenkatalog entfällt, bis der endgültige Richtlinienentwurf zur Abstimmung vorliegt.

Artikel 21: Sperrung des Zugangs zu Webseiten, die Kinderpornografie enthalten

1. Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit der Zugang von Internet-Nutzern zu Webseiten, die Kinderpornografie enthalten oder verbreiten, gesperrt wird. Die Zugangssperrung erfolgt vorbehaltlich angemessener Schutzvorschriften; insbesondere soll sichergestellt werden, dass die Sperrung auf das Nötige beschränkt wird, dass die Nutzer über die Gründe für die Sperrung informiert werden und dass Inhalteanbieter im Rahmen des Möglichen darüber unterrichtet werden, dass sie die Entscheidung anfechten können.

2. Unbeschadet des Vorstehenden trifft jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, damit Webseiten, die Kinderpornografie enthalten oder verbreiten, aus dem Internet entfernt werden.

Ausführlicher äußerte sich Cecilia Malmström, EU-Kommissarin für Innenpolitik und Mitglied der Liberalen Volkspartei in Schweden, in einem Gastbeitrag für den Internetaufritt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie schlägt vor, dem Vorgehen der Mitgliedsstaaten zu folgen, die bereits Internetsperren eingeführt haben. Damit liegt sie auf einer Wellenlänge mit dem EU-Ministerrat, der in einem Strategiepapier – das am Wochenende publik wurde – ebenfalls für die Einführung von Internetsperren plädierte. Dieser will im Rahmen des Projekts CIRCAMP, an dem bereits zwölf EU-Staaten und Norwegen beteiligt sind, ein Filtersystem etablieren, an dem alle Mitgliedsstaaten beteiligt sind. Malmström nennt neben einer gesetzlichen Reglung weitere Alternativen für die Umsetzung der Internetsperren. So könnten beispielsweise die Mitgliedsstaaten „Anbieter von Internetdiensten dazu ermutigen, freiwillige Verhaltensregeln und Leitlinien zu entwickeln, um Nutzern den Zugriff auf kinderpornographische Websites zu verweigern“. Damit die Reglungen nicht leichtfertig und über den Zweck hinaus angewandt werden, hat die Kommission Schutzmechanismen in den Vorschlag aufgenommen. Eine Sperrung soll etwa nur erfolgen, wenn „nachweislich illegale Bilder über Kindesmissbrauch öffentlich zugänglich gemacht werden“ und Inhalteanbieter können gegen „ihrer Ansicht nach ungerechtfertigte Entscheidungen“ vorgehen.

Den Protest von Bürgerinitiativen gegen Internetsperren zeigt sie sich offen gegenüber, beim Thema Reglementierung werde die Frage nach freier Meinungsäußerung zu Recht aufgeworfen. Jedoch können Bilder von Kindesmissbrauch nicht unter den Schutz der freien Meinungsäußerung fallen. Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) empfindet diese Argumentation als „Nebelkerze“, da „keine der Bürgerinitiativen, die sich gegen Internet-Sperren wenden, [..] Kinderpornografie als freie Meinungsäußerung“ schützen will. Stattdessen fordert man, die Abbildung von sexuellen Missbrauch zu löschen und die Strafverfolgung der Täter zu forcieren.

Die Kommission vertritt prinzipiell denselben Standpunkt, sieht aber Schwierigkeiten beim Löschen der Inhalte, insbesondere wenn die Server außerhalb der EU stehen. Der AK Zensur entgegnet dem, dass nach Analysen – unter anderem die Auswertung einer dänischen Sperrliste vom BKA – die Mehrheit der Server mit entsprechenden Inhalten in den USA, Kanada und Westeuropa inklusive Deutschland vorzufinden sind. Zudem ist es möglich, illegale Inhalte binnen weniger Stunden zu löschen, wie das Vorgehen von Banken gegenüber Phishing-Webseiten zeigt. Sperren gelten darüber hinaus als schwaches Mittel, da sie leicht umgehbar sind und als eine Art Frühwarnsystem für die Betreiber entsprechender Seiten fungieren können.

In Deutschland fielen die Reaktionen auf den Vorstoß zurückhaltend bis klar ablehnend aus. Nach der hitzigen Diskussion ist ohnehin nur die CDU/CSU als einzige Fraktion übrig geblieben, die sich für die Einführung der Internetsperren stark macht. Selbst die SPD, die in der alten Legislaturperiode noch für das Zugangserschwerungsgesetz stimmte, folgt mittlerweile dem Prinzip „Löschen statt Sperren“, während FPD, Grüne und die Linke das Vorhaben von Anfang an ablehnten. Für Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) stellen Internetsperren kein wirksames Mittel gegen Kinderpornografie dar, führen aber zu einem erheblichen Vertrauensschaden bei den Internetnutzern, erklärte sie gegenüber dem Hamburger Abendblatt. Die Bundesregierung vertrete die Haltung „Löschen statt Sperren“, das habe sie Malmström bereits mitgeteilt. Diesen Grundsatz werde sie gegenüber dem Europäischen Rat und dem Europaparlament vertreten und für eine breite Unterstützung in den anstehenden Beratungen werben. Bislang haben die Verhandlungen auf EU-Ebene noch nicht begonnen, teilte sie mit.

Zustimmung erhält der Vorstoß der EU-Kommission dagegen erwartungsgemäß aus den Reihen der CDU/CSU. Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses, begrüßte den Vorschlag, es werde ein „einheitlicher Standard geschaffen, um gegen das grenzüberschreitende Problem vorzugehen“ – Zensurgefahr sieht er indes keine. Bei SPD und Grünen herrscht ebenfalls eine ablehnende Haltung. Der stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Olaf Scholz bezeichnet die Sperren als „technisch wirkungsfrei“ sowie „nicht funktionierend“ und geht davon aus, dass sich diese Erkenntnis auch auf EU-Ebene durchsetzt. Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, verweist dagegen auf die hohen Kosten von Internetsperren bei minimaler Wirkung, da Täter die Sperren binnen Sekunden umgehen könnten.