Kommentar: Alle auf Apple

Patrick Bellmer
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Kaum ein Unternehmen polarisiert so sehr wie Apple. Die einen lieben die Produkte, die anderen verteufeln sie. Wie hitzig – und bigott – Diskussionen rund um das Unternehmen geführt werden, zeigen die letzten fünf Tage mustergültig. Das große Ganze, die Praktiken der gesamten IT-Branche, bleibt dabei all zu oft auf der Strecke.

Der traurige Anfang der aktuellen Chose: Im chinesischen Zhengzhou nahmen sich drei Foxconn-Mitarbeiter das Leben, zu den Hintergründen gab es zunächst keine Angaben. Dennoch waren die Medien sich schnell sicher: Apple mit seinen drakonischen Vorgaben hat die Menschen in den Tod getrieben, anders sind Überschriften wie „Apple-Zulieferer: Drei Foxconn-Mitarbeiter stürzen sich in den Tod“ (Spiegel Online), „Apple-Zulieferer: Wieder drei Suizide bei Foxconn“ (Golem) oder „Selbstmorde bei dem Apple-Zulieferer: Drei Foxconn-Mitarbeiter springen in den Tod“ (Focus Online) nicht zu interpretieren.

Nun ist jedem bekannt, dass reißerische Überschriften verlockend sind, da sie den Leser magisch anziehen, sie sollten dennoch den Tatsachen entsprechen. In diesem Fall jedoch war schnell klar, dass die Freitode nach aktuellem Stand nichts mit Apple zu tun hatten, mindestens einer wird auf persönliche Probleme zurückgeführt. Zudem ist nicht einmal bekannt, ob die drei Mitarbeiter überhaupt an Apple-Produkten gearbeitet haben. Denn: Foxconn produziert für nahezu jedes namhafte Unternehmen der IT-Branche; Nokia, Sony, HP, Acer, Amazon, Dell, Intel, Microsoft, Nintendo und Toshiba sind nur einige der Namen derer, die es vorziehen, ihre Smartphones, Konsolen, Notebooks und andere Produkte unter umstrittenen Arbeitsbedingungen billig produzieren zu lassen. Das ist in vielen Teilen der Gesellschaft aber nicht einmal bekannt, da Medien es sich zur Aufgabe gemacht haben, bei jeder Meldung über Foxconn immer auch und nur Apple zu nennen.

Überschriften wie „Nintendo-Zulieferer: Drei Mitarbeiter nehmen sich das Leben“ oder „Wieder Selbstmorde bei Sony-Auftragsfertiger“ waren indes nirgends zu lesen. Apple ist ein willkommenes Ziel – in guten wie in schlechten Zeiten. Dabei hat beispielsweise nur der iPhone-Konzern bislang erklärt, sich aktiv um bessere Arbeitsbedingungen bei Foxconn zu kümmern, weder HP noch Dell oder Microsoft oder andere IT-Größen sind der Fair Labor Association beigetreten, die zumindest ein Mindestmaß an Arbeitsqualität sicherstellen will.

Auf die Spitze getrieben hat es nun die Anhörung des Apple CEO, Tim Cook, vor dem US-amerikanischen Senat am vergangenen Dienstag. Das Thema: Zahlt das Unternehmen zu wenig Steuern? An dieser Stelle sollen die tatsächlichen Beträge, die Apple an den Fiskus in den USA, Irland oder sonst wo überweist, keine Rolle spielen. Viel wichtiger ist: Die Öffentlichkeit ist sich sicher, dass es da nicht mit rechten Dingen zugehen kann, augenscheinlich geringe Steuersätze seien nur durch illegale Methoden machbar. Befeuert werden solche Meinungen durch Begriffe wie „Steuertricks“ oder „Steuerflüchtling“ und Titel wie „Wie Apple den Fiskus um Milliarden prellt“ (n-tv). Klar, Apple macht so etwas.

Amüsant daran sind gleich zwei Dinge: Zum einen hat Apple in Bezug auf die Besteuerung kein einziges Gesetz gebrochen, zum anderen verfährt das Unternehmen aus Cupertino genauso wie Amazon, Facebook, Microsoft und andere Branchengrößen. Letzteres wird dabei gerne unter den Teppich gekehrt, auch die Tatsache, dass unter anderem Microsoft im letzten Jahr vor eben diesem Senatsausschuss ebenfalls Rede und Antwort stehen musste. Dass so viele bekannte Unternehmen zumindest ihre Europazentrale in Irland oder Luxemburg haben, liegt sicherlich nicht am guten Wetter. „Die Zeit“ hatte Anfang März die Entscheidung vieler Unternehmen, in Luxemburg ansässig zu werden, am Beispiel Amazon kritisch an die Öffentlichkeit gebracht.

Sogenannte Steueroasen locken mit niedrigen Steuerbelastungen, gleichzeitig müssen Kapitalgesellschaften im Sinne ihrer Anteilseigner den Gewinn maximieren. Die moralische Keule zu schwingen, mag angemessen wirken, doch fast jeder Arbeitnehmer handelt kein Stück moralischer, wenn er in seiner Steuererklärung nach Wegen sucht, um den einen oder anderen Euro weniger zahlen zu müssen. Auch hier zeigt die Öffentlichkeit schnell wieder mit dem Finger auf Apple, nicht aber auf andere. Besonders zynisch ist dabei, dass Experten anderen großen Unternehmen eine viel größere Kreativität in Steuerangelegenheiten vorwerfen. Apple ist also nicht der schlimmste, sondern einfach wieder des Menschen liebstes Feindbild, schlichtweg der Sündenbock einer ganzen Branche.

Ja, die Missstände – egal ob Arbeitsbedingungen oder steuerminimierende Konzernstrukturen – gehören aufgezeigt und abgestellt. Aber bitte für die gesamte Branche und nicht nur bei einem Sündenbock, in dessen Schatten der Rest der Industrie weiter macht wie eh und je.

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