Was wussten EU-Staaten von NSA-Überwachung?

Andreas Frischholz
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Äußerst empört kritisierten Politiker aus Deutschland und Europa das bis dato nicht bekannte Ausmaß der NSA-Überwachungsaktivitäten. Offiziell sind Bundesregierung und EU-Kommission um Aufklärung bemüht, doch allmählich sickert durch, dass zumindest einige der hiesigen Geheimdienste mit der NSA kooperiert haben.

Die Bundesregierung wurde von dem Ausmaß der NSA-Spionage überrascht, erklärte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2012. Alles, was er bislang über „Prism“ weiß, habe er aus den Medien erfahren. Auch in seinem Ministerium würden keine eigenen Erkenntnisse vorliegen. Auf die Frage, warum Deutschland im europäischen Vergleich offenbar am stärksten von der NSA überwacht wird, verweigerte er mit dem Hinweis auf fehlende Informationen ebenfalls die Antwort.

Allerdings räumte Friedrich ein, dass deutsche Sicherheitsbehörden vermutlich indirekt von Prism profitiert haben. Deutschland würde „gute und wichtige“ Geheimdienst-Informationen aus den USA erhalten, doch die Quelle werde bei so einem Datenaustausch nicht genannt. Das wäre allerdings Usus, deutsche Geheimdienste würden ihre Quellen auch nicht preisgeben. Das Innenministerium erarbeitet nun einen Fragenkatalog an die US-Regierung, um das konkrete Ausmaß und die rechtliche Grundlage der NSA-Programme zu klären. Ähnliche Fragebögen werden auch die US-Internetdienste erhalten, die mutmaßlich bei Prism beteiligt sind – also Microsoft, Google, Facebook, Yahoo oder Apple.

Neben Friedrich äußerte sich auch Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen, der eigenen Angaben nach ebenfalls erst durch Medienberichte von Prism erfahren hatte. Was am Ende nicht viel heißen muss, ohnehin ist der Verfassungsschutz für innerdeutsche Angelegenheiten zuständig. Wesentlich interessanter ist die Rolle vom Auslandsnachrichtendienst BND, der ohnehin unter dem Label „Strategische Fernmeldeaufklärung“ die internationalen Datenströme („SIGINT“) filtert, dabei aber nicht die elektronische Kommunikation von deutschen Bürgern erfassen darf. Allerdings gibt es nur vage Angaben zu der Überwachungstechnologie.

Niederländischer Geheimdienst hat offenbar Zugriff auf Prism-Daten

Angesichts der Kooperationen zwischen europäischen und US-Geheimdiensten steht nun die Frage im Raum, wie weit diese gehen. Der niederländische Geheimdienst AIVD soll praktisch unbegrenzten Zugang zu Daten von Bürgern und Unternehmen haben, berichtet „De Telegraaf“ unter Berufung auf eine anonyme Quelle innerhalb des Geheimdienstes. Eigentlich sollten interne Verfahren den Datenzugriff beschränken, aber offenbar besteht die Möglichkeit, Informationen aus dem Prism-Programm per Knopfdruck anzufordern.

Wir sind geschockt, dass der niederländische Geheimdienst Zugriff auf dasselbe digitale Treibnetz („Dragnet“) hat, das die US-Administration heimlich gegen Millionen unbescholtener Bürger einsetzt“, sagte Simone Halink, Überwachungsexpertin von der Bürgerrechtsorganisation Bits of Freedom. Mit dem unbegrenzten Zugriff auf globale Datenbestände erhalte der Geheimdienst eine ganze Reihe von zusätzlichen Möglichkeiten, sich über geltendes Recht hinweg zu setzen. Halink fordert nun vom Innenminister, diesen Lauschangriff schnellst möglich zu beenden.

Bereits am Wochenende wurde publik, dass die NSA dem britischen Geheimdienst GCHQ Zugriff auf die Prism-Datenberge zugesteht, gestern folgten entsprechende Berichte über den belgischen Geheimdienst. Deswegen steht nun die Vermutung im Raum, dass auch der BND auf Prism-Daten zugreifen kann. Auf eine Anfrage von Netzpolitik.org wollte ein BND-Sprecher zunächst kein Statement abgeben, weil heute das zur Verschwiegenheit verpflichtete parlamentarische Kontrollgremium zu dem Thema tagt. Ob nach der Sitzung eine öffentliche Äußerung erfolgt, ist daher offen.

Druck kommt nun auch aus dem EU-Parlament. Die EU-Staaten würden ihre Bürger mit ähnlichen Programmen überwachen, kritisierte die Liberalen-Abgeordnete Sophie In't Veld. Umstrittene Themen wie der Foreign Intelligence Surveillance Act und der Zugriff von US-Behörden auf Daten der EU-Bürger würden seit längerem im Raum stehen, Fragen nach der Rechtmäßigkeit würden aber nicht beantwortet werden. Kritik richtete In't Veld auch an EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström, die für den Anti-Terrorkampf und die Abkommen zum Datenaustausch mit den USA zuständig ist, aber nicht an der Debatte im EU-Parlament teilnahm.

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