Neue Offenheit der Medien nach Leak des Koalitionsvertrages

Andreas Frischholz
18 Kommentare

528.000 Mal wurde der Entwurf des Koalitionsvertrags innerhalb von zwei Tagen heruntergeladen, den zuvor der Grünen-Politiker Malte Spitz am Montagabend veröffentlicht hatte. Im Zuge der Veröffentlichung sind erstmals auch größere Medien dazu übergegangen, ihre Quelldokumente öffentlich anzubieten.

Die Anzahl von einer halbe Millionen Downloads ist angesichts eines 177 Seiten langen Dokuments, das nicht fertig war und mit abstrakten Formulierungen glänzt, sehr hoch. Wenn der Vertragsentwurf so ein großes Interesse hervorrufe, kann „von Politikverdrossenheit (...) also keine Rede sein“, lautet das Fazit von Spitz. Allerdings profitierte Spitz auch davon, dass zahlreiche Nachrichtenseiten auf den Entwurf verlinkt hatten. Diese hatten zwar schon über zahlreiche Abschnitte aus den verschieden Vertragsentwürfen berichtet, ein vollständiges Originaldokument hatte bis dato aber niemand bereit gestellt. Eigentlich sollten während den Koalitionsverhandlungen keine Vertragsentwürfe an die Öffentlichkeit gelangen.

Eigentlich. Denn spätestens am Montag hatten so viele Journalisten den zu diesem Zeitpunkt aktuellsten Entwurf des Koalitionsvertrags vorliegen, dass zahlreichen Nachrichtenseiten einzelne Passagen zitierten. Oftmals garniert mit der Anmerkung, der „177-seitige Entwurf liege der Redaktion vor“, wie der Medienjournalist und Bildblogger Stefan Niggemeier am Montag bissig kommentierte. Er kritisiert, dass viele Nachrichtenseiten nicht versucht haben, den Entwurf „auch den Lesern vorzulegen“. Das spreche „nicht nur von dem Versuch, einen Vorsprung vor der Konkurrenz zu bewahren (was im konkreten Fall augenscheinlich völlig abwegig ist). Er steht auch dafür, dass Journalisten einen Informationsvorsprung vor den Lesern bewahren wollen“.

Ähnlich äußerte sich Spitz, dem das Treiben am Montagabend ebenfalls zu bunt wurde. Er selbst bekam den Entwurf aus verschiedenen Quellen zugespielt. Als dann zahlreiche Meldungen folgten, dass „einzelne Redaktionen auch diesen Entwurf vorliegen hatten, jeder anscheinend ganz exklusiv und aus ganz vertraulichen Quellen“, veröffentlichte Spitz das komplette Originaldokument.

Anscheinend eine Aktion mit Signalwirkung, denn nun verwiesen Nachrichtenseiten wie Welt oder TAZ auf die Originaldokumente im Grünen-Blog. Beim dritten Entwurf des Koalitionsvertrags und bei der finalen Fassung veröffentlichten etwa Spiegel Online und Handelsblatt die jeweiligen Originaldokumente.

Spitz hofft nun, dass „dieser neue Umgang mit solchen Dokumenten“ bestehen bleibt. (...) „Die Möglichkeit, gerade online, aber auch Originaldokumente bereitzustellen, sollte immer (öfters) genutzt werden, es macht den Nutzer/Leser mündiger, sich selber mit Quellen zu beschäftigen und Inhalte auch selber einzuordnen“, so Spitz.