Chaotischer Streit um Streaming-Abmahnungen

Andreas Frischholz
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Nach wie vor ist unklar, wie es die abmahnenden Kanzleien auf legalem Weg geschafft haben wollen, die IP-Adressen von RedTube-Nutzern zu erfassen. In dem Chaos um die Streaming-Abmahnungen soll nun auch die Kölner Staatsanwaltschaft ermitteln, berichtet die Welt.

Die Ermittlungen soll die Kölner Staatsanwaltschaft bereits in der letzten Woche aufgrund der zahlreichen Berichte über die Abmahnwelle eingeleitet haben, will die Kanzlei „Werdermann | von Rüden“ am Montagnachmittag aus Justizkreisen erfahren haben. „Wenn die Staatsanwaltschaften nun auch ohne Anzeigen ermitteln, bedeutet dies, dass hier offenkundig der Verdacht von Straftaten im Raum steht. Damit kann der Frage nachgegangen werden, wie itGuards die IP-Adressen tausender unbescholtener Bürger ermitteln konnte“, sagte von Rüden gegenüber der Welt.

Von offizieller Seite gab es bislang keine Hinweise, mit welchem Verfahren die IP-Adressen erfasst wurden. Die abmahnenden Kanzleien konnten das Gericht zwar mit einem Gutachten überzeugen, in diesem fehlen allerdings die entscheidenden Informationen. In den Auszügen, die vom Landgericht Köln veröffentlicht wurden, heißt es lediglich, die IP-Adressen werden mit „üblicher Internet-Technologie“ erfasst, bei der es keine rechtlichen Bedenken gebe. „Das Gutachten erklärt nicht im letzten technischen Detail, wie die IP-Adressen der Nutzer ermittelt wurden. Das ist Geschäftsgeheimnis der Ermittlungsfirma“, erklärte der Anwalt Thomas Urmann von der Kanzlei U+C gegenüber der Welt.

Dementsprechend kursieren derzeit zahlreiche Spekulationen über die Herkunft der IP-Adressen. Am plausibelsten erscheint derzeit die Theorie, dass die IP-Adressen der abgemahnten Nutzer durch einen Traffic Broker erfasst wurden. So berichtet heise online, dass Abgemahnte in der Browser-Historie überprüft haben, ob sie zu dem in der Abmahnung genannten Zeitpunkt RedTube aufgerufen hatten. Demnach soll kurz vor dem Abruf des Streaming-Videos ein Zugriff auf trafficholder.com erfolgt sein. Dabei handelt es sich um einen „Adult Traffic Broker“, der Besucher eines Erotikportals gegen Bezahlung zu einem anderen weiterleitet – dieser Traffic-Handel kann sogar länderspezifisch abgewickelt werden. So können etwa die deutschen Nutzer von einem der großen US-Porno-Portale zu einer kleineren Erotik-Seite aus Deutschland geschickt werden. Die Nutzer haben darauf keinen Einfluss, die Weiterleitung erfolgt per Script-Steuerung. Klicken die Nutzer zum Beispiel auf ein Thumbnail, erscheint darauf keine große Variante des Bildes. Stattdessen landen die Nutzer auf der Webseite, die den Traffic eingekauft hat.

Nun scheint es, dass deutsche RedTube-Nutzer vor dem Zugriff auf einen der betroffen Streams mittels Traffic Holder über einen Fake-Proxy geleitet wurden, der die IP-Adresse ermittelt hat. Danach wurden die Nutzer ohne es zu merken wieder zu RedTube weitergeleitet. Allerdings: ein offizielles Statement fehlt, hierbei handelt es sich bis dato nur um einen Verdacht. Sollte sich dieser allerdings bestätigen, liege nach Ansicht des Rechtsanwalts Christian Solmecke ein klarer Fall von Betrug vor. Allein schon, weil die IP-Adressen vor der Rechtsverletzung ermittelt wurden. „Das würde bedeuten, dass Menschen abgemahnt wurden, die möglicherweise sofort die Seite weggeklickt haben und noch nicht mal potentiell eine Urheberrechtsverletzung begangen haben“, so Solmecke in einem Blog-Beitrag.

Jeder klagt gegen jeden

Allen Spekulationen und Gerüchten zum Trotz will die Kanzlei U+C mit den Streaming-Abmahnungen fortfahren. Urmann bezeichnet die Abmahnungen von RedTube-Nutzern in der Welt als „Testballon“, denn: „Wir haben auch in anderen Portalen bereits ermittelt, deswegen rechne ich damit, in den kommenden Monaten auch Nutzer der anderen Portale anzuschreiben.“ Die Kanzlei profitiert dabei von der unklaren Rechtslage bei der Streaming-Nutzung. Urmann setzt nun darauf, dass die Oberlandesgerichte in München, Köln und Frankfurt zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen kommen. Dann werde es noch fünf bis acht Jahre dauern, bis der Bundesgerichtshof ein Urteil fällt – sofern die Politik nicht bis dahin eingreifen sollte.

Oder die Gegner der Streaming-Abmahnungen erfolgreich klagen. Neben der Kölner Staatsanwaltschaft hatte auch die Kanzlei „Werdermann | von Rüden“ in der letzten Woche einen Strafantrag gegen den Anwalt Sebastian gestellt, der die Auskunftsbeschlüsse für die IP-Adressen vor dem Kölner Landgericht erwirkt hat. Von Rüden wirft Sebastian vor, das Landgericht Köln bewusst getäuscht zu haben, indem er den Eindruck erweckte, die Anträge würden – wie bis dato üblich – Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing betreffen.

Sebastian widerspricht den Vorwürfen und hat sogar Strafanzeige gegen die Kanzlei „Werdermann | von Rüden“ erstattet. Ebenso wie das Landgericht Köln und die Kanzlei U+C erklärt Sebastian in einem öffentlichen Statement (PDF-Datei), bei den Auskunftsbeschlüssen handele es sich um keinen Irrtum der Richter. Die IP-Adressen wären bewusst für Streaming-Dienste herausgegeben worden. Zudem teilte Sebastian mit, es gebe keine vertragliche Bindung zwischen seiner Kanzlei und dem Unternehmen itGuards inc., das mutmaßlich die IP-Adressen der RedTube-Nutzer erfasst hat. „Insbesondere werden jegliche Vorwürfe zurück gewiesen, wonach die Datenerhebung durch meine Kanzlei beauftragt oder gar selbst vorgenommen wurde, oder dass meine Kanzlei in diesem Zusammenhang gegen Datenschutzvorschriften verstoßen habe“, so das offizielle Statement von Sebastian.

Allerdings setzen sich mittlerweile auch die Betroffenen juristisch zu Wehr. Der Essener Rechtsanwalt Alexander Hufendiek hat für einen seiner Mandanten eine negative Feststellungsklage vor dem Amtsgericht Potsdam erhoben. Laut der Mitteilung will der abgemahnte Anschlussinhaber feststellen lassen, dass er „die vorgeworfene Urheberrechtsverletzung nicht begangen hat. Außerdem soll grundsätzlich geklärt werden, wie die Abmahner an die Daten des Betroffenen gelangt sind.