Kommentar: Die alljährliche Warnung vor Steam-Sales

Max Doll
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Max Doll

Alle Jahre wieder wird vor den regelmäßigen Rabattwochen bei Steam gewarnt: Stete Sonderangebote, schreibt dieses Jahr der Entwickler Jason Rohrer, würden Spielern wie Studios gleichermaßen schaden. Seine Argumentation ist, wenngleich nicht völlig ohne Grundlage, zumindest aber dünn.

Die Kritik gegen Sales schöpft Rohrer aus eigenen Erfahrungen mit dem Verkauf seinem 2D-Shooter „Inside a Star-filled Sky“. Zwar schreibt der Indie-Entwickler, den größten Teil seiner Erlöse über die Angebote eingespielt zu haben. Deren Versprechen von „mühelosen Einnahmen“ mache jedoch „süchtig“ und habe schädliche Folgen: Langfristige, tägliche Einnahmen gingen gegen Null, sofern keine Prozente offeriert wurden.

Hierbei, vermutet Rohrer, handle es sich um die Auswirkungen einer „Kultur ungezügelter Rabattverkäufe“ mit schädlichen Auswirkungen. Denn die Rabatte in ihrer jetzigen Frequenz „verarschen deine Fans“. Der frühzeitige Zugang zum Vollpreis gewähre zudem nur einen kurzen Zeitgewinn, wer früh kaufe, sei daher „töricht“. Nur die größten Fans würden noch zum Vollpreis kaufen und speziell diese seien es, denen Entwickler durch Rabattangebote „ins Gesicht treten“. Dies liegt für Rohrer in dem durch kurze Zyklen zwischen den Sales hervorgerufenen Gefühl, zu viel Geld bezahlt zu haben. Dies schade auch den Spielen selbst, weil Spieler nur noch auf Angebote warten, was den Aufbau einer kritischen Masse, also einer aktiven Community, erschwert – und damit indirekt erneut Erstkäufern.

Der eigentliche Punkt von Rohrer allerdings ist jedoch ein anderer: Studios entgingen durch die Erziehung zur Angebotskultur Einnahmen. Denn im Rahmen der Argumentation vermutet er, dass „mehr als die Hälfte“ aller Spieler zum Vollpreis kaufen würden, wenn es keine Rabatte gäbe. Derartige Zahlen erinnern an Angaben zu Schäden durch Diebstahl digitalen Eigentums (ugs. Raubkopien), welche zumeist unrealistisch hoch gegriffen waren, weil jedes Delikt mit einem entgangenen Kauf gleichgesetzt wurde. Zwar führt Rohrer wenige Zeilen später aus, Spontankäufer würden „möglicherweise“ die entstehende Einkommenslücke füllen, dies sei dennoch „keine gute Sache“. Diese Leute würden „hereingelegt“, da sie „Geld für Dinge verschwenden, die sie nicht brauchen oder wollen“.

Sie sollten lieber ein Spiel zum vollen Preis als mehrere zum kleinen kaufen, die sie am Ende nie spielen, heißt es weiter. Ein Argument, das auf tönernen Füßen steht: Wer hat noch keine Spieleperle entdeckt, weil er ein paar Euros für einen Titel in einem (Steam-)Sale riskiert hat, dessen Spaßfaktor nicht eindeutig zu beurteilen war? Ein paar Taler lassen sich schließlich ohne große Bedenken investieren, weil die Risikobilanz zum kleinen Preis viel besser aussieht – es werden Spiele gekauft, die zum vollen Preis nie gekauft und damit gespielt worden wären. Bisher haben sich Studios vor allem zufrieden mit den Ergebnissen der Preisreduzierungen gezeigt. Gleichsam gilt: Wer hat denn kein Spiel herumliegen, das interessant aussah, aber aufgrund Zeitmangels nie gespielt werden konnte? Hier wird schlicht und schamlos eine Minderheit an Fällen als generalisiertes Phänomen verkauft, denn belastbare Zahlen legt Rohrer zu keiner Zeit für irgendeine seiner generalisierten Behauptungen vor. Sales-Verkäufe sind letztlich nicht wie Raubkopien verlorene Vollpreiskäufe, sondern zunächst weiterhin die Möglichkeit, neue Kunden, neue Fans und neue Spieler zu gewinnen.

Als grundsätzliche Kritik an reduzierten Preisen will der Entwickler seinen Beitrag aber nicht verstanden wissen: Beim Verkauf physischer Kopien werde in Läden schließlich der Platz knapp, sodass Rabatte Platz für neue Spiele schaffen würden. Das Angebot sei allerdings begrenzt, der Reiz auf ein Angebot zu warten daher gering – das Spiel könnte ausverkauft und damit nicht respektive nie mehr verfügbar sein, argumentiert Rohrer: „Alte Spiele sind fast unmöglich zu finden“. Dies ist zweifelsohne korrekt, dem digitalen Verkauf sind keine Platzgrenzen gesetzt. Er wird jedoch, was Rohrer nicht erwähnt, vom Vergessen bedroht: In einem schier unüberschaubar großem Angebot, das sich lokal niemals findet, wird „die potentielle Vollpreis-Lebenzeit“, die „ziemlich ewig“ sein soll, vom Untergang in der stetig wachsenden Masse bedroht. Ein Titel muss also auf irgendeine Art und Weise hervorstechen. Rabatte geben nicht jedoch nicht nur Kaufanreize, sondern sichern gleichzeitig überhaupt erst einen Platz im begehrten Schaufenster des Shops. Belege für dessen Wichtigkeit lassen sich ohne Mühe finden. Für richtigen, nachhaltigen Erfolg braucht es hingegen eine Vielzahl Faktoren.

Als positives Beispiel hervorgehoben wird das Geschäftsmodell von Minecraft, welches mit zunehmendem Entwicklungsfortschritt immer teurer wurde und entgegen dem Trend „schnellen Absinken auf den Boden diverser Appstores, dicht aufeinander folgenden Steam-Sales und Bundle-Angeboten“ läuft. „Wenn das Publikum eines Spiels wächst, können die Erlöse mit der Zeit sogar ansteigen, manchmal sogar die Startwoche wie einen unbedeutenden Ausschlag aussehen lassen“ führt Rohrer auch am Beispiel von Gary’s Mod aus. Beide Titel haben allerdings einen Nerv getroffen, waren und sind für eine breite, auch Casual-Zielgruppe interessant und bekommen eine Menge medialer Aufmerksamkeit.

Unter den Tisch gekehrt wird, dass manche, hier eher vergleichbare Indie-Entwickler erst durch Preisreduzierungen Aufmerksamkeit erlangten und signifikante Spielerzahlen gewinnen konnten. Hier waren die Sales gerade der Startpunkt für steigende Verkaufszahlen. Boshaft ausgedrückt ließe sich auch formulieren, dass Rohrer nur mittelprächtige Spiele produziert, denn gute finden ihre Käufer. Schließlich tauchen populäre Titel (anfangs) nur selten oder weniger stark verbilligt auf – Angebot und Nachfrage regulieren den Preis. Es wird demnach spannend zu beobachten sein, ob Rohrers nächstes Spiel tatsächlich wie angekündigt ewig zum Vollpreis erhältlich sein wird, vor allem aber, wie die Verkaufszahlen aussehen werden.

Das Minecraft-Modell aber preist Rohrer unreflektiert als großen Gewinn an: Frühe Käufer würden belohnt, weil sie Geld sparen und Entwickler unterstützen könnten. Wer in der Alpha-Phase kauft, riskiert allerdings unter Umständen, für ein nie erscheinendes oder schlechtes Spiel zu zahlen, schließlich gibt es noch keinerlei Testberichte. Diesen Vorteil genießen für Roher erst diejenigen, die warten. Der ansteigende Preis führe zudem möglicherweise zu Bedauern, nicht früher gekauft zu haben, vor dem Start sei dies jedoch ein Anreiz, vor der nächsten Steigerung zuzuschlagen. Auch Rohrer arbeitet also mit Impulskäufen, selbst wenn er schreibt, die Spieler könnten sich bei seinem Modell „schlau fühlen“, weil sie immer noch Geld sparen würden – und zielt letztlich darauf ab, Spieler zu einem für sie unvorteilhaften Verhalten, dem Kauf ohne Sicherheiten, zu erziehen. Sie würden durch das Verpassen der günstigeren Vorab-Angebote „eine Lektion für das nächste Mal“ lernen.

Die vorgebrachte Argumentation entbehrt nicht völlig jeder Wahrheit, ist in ihrer überzogenen und generalisierten Form aber ein Rohr(er)krepierer. Dahinter steckt die verständliche Angst, völlig von Sales abhängig zu werden und die Früchte eigener Mühen zu verramschen, was jedoch nicht rechtfertigt, die eigene Position platt moralisierend als Heilsbringer zu präsentieren. Insofern gilt am Ende immer noch die platte, kapitalistische Weisheit, dass der Wert eines Produktes sich an dem bemisst, was jemand dafür bereit ist zu zahlen und gleichfalls, dass Sales per se nicht schlecht sein müssen. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die Auswirkungen primär negativ sind. Hier kommt es auf die Umstände, Ziele und letztlich individuelle Lage von Entwickler und Spiel an. Im Endeffekt erinnert die Position an die vor einem Jahr aufgekommene Kritik an den Sales – „same procedure as every year, James“, die Kosten-Nutzen-Bilanz müssen Entwickler individuell treffen.

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