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HTC Vive ausprobiert: Auf die Theorie folgt die fantastische Praxis

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Andreas Schnäpp
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Neue Reize schaffen

In diesem Kontext sind auch „affordances“ von hoher Bedeutung: Unter dem Begriff wird in der Usability-Forschung der Angebotscharakter von Gegenständen verstanden, anhand dessen Nutzer intuitiv aufgrund von Kontexthinweisen den Verwendungszweck oder die Benutzungsart ableiten können. In Valves „Aperture Science“-Demo, die auf einen realistischeren Grafikstil setzt, wird an einer Stelle vom Nutzer erwartet, sich einer Wand mit mehreren Schubfächern zu nähern und eines davon zu öffnen. Dezent am Rand der Schubfächer angebrachte rote und grüne Leuchten sollten eigentlich signalisieren, mit welchen Schubfächern interagiert werden kann, jedoch fiel dieser optische Hinweis nur den wenigsten Nutzern auf. Da viel größere, zentral angebrachte Griffe vermuten ließen, dass sich alle Fächer öffnen lassen, wurden die Leuchten von einem Teil der Tester komplett übersehen.

Die Aufmerksamkeit des Nutzers auf die wichtigen Elemente in der Spielumgebung zu lenken, sodass diese nicht im visuellen Lärm untergehen, wird für VR-Entwickler eine neue Herausforderung sein, die das Medium mit sich bringt. Phänomene wie diese lassen sich ebenfalls unter dem Stichwort Unaufmerksamkeitsblindheit (engl.: „inattentional blindness“) einordnen. Obwohl visuelle Reize im direkten Blickfeld der VR-Nutzer liegen, können und werden sie diese zum Teil übersehen. Malaika dazu: „Nun habt ihr [Entwickler] einen neuen Feind.“ Um dem entgegen zu wirken, könnte beispielsweise die Komplexität der jeweiligen Szene überarbeitet werden, indem ablenkende Details reduziert werden. Andererseits könnten Entwickler auch bewusst mit der Unaufmerksamkeitsblindheit arbeiten, um die Wahrnehmung der Nutzer zu verändern. Aus dem Problem wird auf diese Weise ein Stilmittel einer Erzählung.

VR-Erlebnisse mit dem eigenen Körper zu steuern, kann sich als Fluch oder Segen erweisen, je nachdem, wie sorgfältig Entwickler mit ihren Möglichkeiten umgehen: Der Bewegungsablauf beim Öffnen einer Tür durch das Herunterdrücken der Türklinke kann sich zwar beim ersten Mal in VR noch gut anfühlen, daraufhin im Spielverlauf jedoch schnell zu „Simulationserschöpfung“ führen.

Yasser Malaika über die unterschiedlichen VR-Steuerungsmöglichkeiten
Yasser Malaika über die unterschiedlichen VR-Steuerungsmöglichkeiten

Die Gesten, die mit den neuen Möglichkeiten einer Bewegungssteuerung möglich sind, sollten deswegen auf „bedeutsame Weise“ eingesetzt werden. Ein Beispiel dafür wäre laut Malaika, wenn Spieler zum Mischen ihrer Zaubertränke beispielsweise statt nur den A-Knopf zu drücken plötzlich mit Phiolen hantieren und darauf achten müssten, keine wertvollen Zutaten zu verschütten. In diesem Sinne warnt Malaika vor „Interaktionsmetaphern, dem direkten Abbilden von Bewegungsabläufen in VR: „Wenn wir die echte Welt zu genau nachäffen, kann das die Limitierungen der echten Welt in unsere virtuelle Interaktion mit sich bringen. Manchmal ist das okay, manchmal hingegen nicht – es kommt ganz drauf an.

Force Feedback und seine Möglichkeiten

Im Kontext der Bewegungssteuerung sprach Malaika auch das Thema haptisches Feedback an. Gutes haptisches Feedback helfe VR-Nutzern, das propriozeptive System zu „verankern“ und die Raumwahrnehmung zu verbessern. Über pulsierendes oder vibrierendes Feedback der SteamVR-Controller könnten Hinweise auf den Tastsinn ausgelagert werden, um die ohnehin schon stärker beanspruchten audiovisuellen Kanäle zu entlasten. Während sich der Cursor in der Nähe von Objekten befindet oder über diese hinweggleitet, könnte auf diese Weise signalisiert werden, dass ein virtueller Knopf benutzbar ist.

Zudem sei es möglich, über das Force Feedback unter anderem auch Reibung oder Textur zu vermitteln. Am Beispiel einer Langbogen-Demo erklärte Malaika, dass durch Veränderung von Frequenz und Amplitude des haptischen Feedbacks dem Tastsinn ein Gefühl der Elastizität beim Spannen des Bogens vorgetäuscht werden kann – selbst wenn der Spieler nicht die dafür typische Spannung der Armmuskulatur fühlt.

Malaika beantwortet Entwickler-Fragen

Zum Schluss seines Vortrags stellte sich Malaika Fragen aus dem Publikum. Einer der anwesenden Entwickler wollte von Malaika wissen, ob Valve mit dem Schritt zum „room scale“-VR nicht Angst davor habe, „das nächste Kinect“ zu werden, da sich VR-Nutzer nicht die ganze Zeit bewegen möchten. Malaika erwiderte daraufhin, dass SteamVR keine „entweder oder“-Entscheidung sei: Die Vive-VR-Brille funktioniere genau so akkurat als „seated experience“ wie auch bei der Bewegung im Raum.

Die Besonderheit liege darin, dass das „Lighthouse“-System „wirklich schön“ skaliere: So sei es problemlos möglich, sitzende VR-Erlebnisse wie Rennsimulatoren oder Flugsimulatoren damit zu spielen. Sofern Raumgröße und Ausstattung es jedoch hergeben, sei auch „room scale“-VR damit zu betreiben. Letztendlich gehöre es zum Aufgabenfeld der Entwickler, die unterschiedlichen Anforderungen und Bedürfnisse der VR-Nutzer bestmöglich zu befriedigen. Persönlich freue sich Malaika auf kooperative „seated experiences“, die beispielsweise in einem Raum mit großem Esstisch gespielt werden könnten.

Da die Lighthouse-Stationen nur mit Strom versorgt werden müssen und keine kabelgebundene Verbindung zum PC benötigen, ist diese Art von lokalen Multiplayer-VR-Sessions durchaus technisch möglich – vorausgesetzt jede VR-Brille ist mit einem separaten Computer verbunden. Auf eine Folgefrage zum Thema Multiplayer ging Malaika auf weitere Details zum Lighthouse-System ein: Bedingt dadurch, dass die beiden Basisstationen ein absolutes Koordinatensystem für VR-Brillen festlegen, steht der gemeinsam geteilte Raum auch in der virtuellen Realität mehreren Nutzern zur Verfügung. Analog zu Multiplayer-Spielen, die über das Netzwerk kommunizieren, würden sich VR-Nutzer gegenseitig anhand der Position der VR-Brille sowie der Controller im virtuellen Raum erkennen, selbst wenn ihre VR-Headsets an zwei komplett unterschiedlichen Computern angeschlossen sind.

Wieso Valve sich ausgerechnet zwei kabellosen Controllern zur Bewegungssteuerung widmet, erklärte Malaika anhand traditioneller Eingabemethoden: Während Maus und Tastatur, Joysticks oder Lenkräder einwandfrei auch in VR funktionieren würden, sei die Handsteuerung „ein Puzzlestück“, das in der Vergangenheit noch nicht so „einfach zugänglich“ war. Damit Entwickler VR-spezifische, „neuartige Erlebnisse“ erkunden können, sei es für Valve wichtig gewesen, die Handsteuerung direkt als festen Bestandteil des VR-Konzepts zu implementieren, um jedem Spieler und Entwickler diese Option offen zu halten.

Auf die Frage hin, was Malaika von „Augmented Reality“ halte und ob er sich vorstellen könne, dass AR irgendwann in der Zukunft Virtual Reality überholen werde, antwortete er: „Ich bin sehr begeistert von Augmented Reality.“ Obwohl Valves Hardware-Team sowohl an AR als auch VR gleichzeitig arbeitete, habe man sich aus zwei Gründen letztendlich für die VR-Ausrichtung entschieden. Einerseits sei VR „anziehender“ und mit der aktuell verfügbaren Technologie ein Problem, das sich früher lösen und auf den Markt bringen lasse. Andererseits habe man in gewisser Weise schon an „AR in VR“ gearbeitet, indem die Raummaße mittels des „Chaperone“-Systems in die virtuelle Welt übertragen und als leuchtendes Hilfsgitter eingeblendet werden, sobald man sich den Wänden des Zimmers nähert. Letztendlich sei das Lighthouse-Tracking-System schon für AR gewappnet: Augmented-Reality-Headsets könnten sich auf gleiche Weise wie VR-HMDs das Lighthouse-System zu Nutze machen, um ihre Position im Koordinatensystem des Zimmers zu bestimmen.

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