NSA-Ausschuss: US-Regierung erstaunt über deutsche NSA-Debatte

Andreas Frischholz
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NSA-Ausschuss: US-Regierung erstaunt über deutsche NSA-Debatte
Bild: www.GlynLowe.com | CC BY 2.0

Nach den Enthüllungen von Edward Snowden im Sommer 2013 war es offenbar nicht die Bundesregierung, die verärgert reagierte. Stattdessen empörte sich die US-Regierung über die Debatte in Deutschland. Das berichtet Dirk Brengelmann, der heute der deutsche Botschafter in Brasilien ist.

USA zwischen Empörung und Erstaunen

Vom August 2013 war er allerdings ein Jahr lang „Sonderbeauftragter für Cyber-Außenpolitik“ im Auswärtigen Amt und hat damit den Höhepunkt der NSA-Debatte miterlebt. In der Öffentlichkeit war dabei der Verlauf klar: Nachdem peu à peu das Ausmaß der Überwachungsmaschinerie von der NSA und dem britischen Partnerdienst GCHQ enthüllt wurden, waren es die Regierungen in den USA und Großbritannien, die sich rechtfertigen mussten.

Hinter den Kulissen verlief der Dialog aber offenkundig andersrum. So waren es die deutschen Diplomaten rund um Brengelmann, die die Wogen glätten musste, als er im September 2013 erstmals Washington besuchte. Denn die Vertreter der US-Regierung waren erstaunt, wie „pikiert“ die deutsche Öffentlichkeit reagiert hatte. Eines der zentralen Themen war damals, dass die NSA zusammen mit dem GCHQ Millionen Kommunikationsdaten von deutschen Bürgern abgeschöpft haben soll. Für die NSA war das aber anscheinend nichts Ungewöhnliches. So etwas würden ohnehin alle machen und überhaupt: „Was regt ihr euch so auf.“ Das war laut Brengelmann die Gefühlslage der US-Administration im September 2013.

Bizarre Debatte hinter den Kulissen

Daher war Deutschland zu diesem Zeitpunkt „der proaktive Partner“, um beschädigtes „Vertrauen wieder herzustellen“. Denn bis dato war der einzige Punkt, der die US-Administration wirklich empört hatte: Dass es mit Snowden ein ehemaliger NSA-Mitarbeiter war, der die geheimen Operationen enthüllt hatte.

Noch schlimmer war es laut Brengelmann in Großbritannien. Bei einem späteren Besuch in London habe sich gezeigt, dass es dort noch weniger Verständnis für die deutsche Reaktion gab. Die Diskussion sei „noch weniger entwickelt gewesen“ als in den USA.

Ohnehin wirkt es aus heutiger Sicht äußerst bizarr, wie westliche Regierungen die Snowden-Enthüllungen damals bewertet haben. Denn es war nicht die globale Überwachungsmaschinerie, die als Gefahr für das freie Internet eingestuft. Stattdessen wurden die Enthüllungen an sich verurteilt. Angesichts des Ausmaßes der Programme wurde befürchtet, dass man gegenüber China und Russland argumentativ ins Hintertreffen geraten könnte.

Beide autoritär regierten Mächte hätten bereits in den Monaten zuvor darauf gedrängt, das Internet weltweit stärker zu reglementieren. Daher war auch die EU besorgt, dass die Glaubwürdigkeit des westlichen Engagements für ein „freies Internet“ durch die Snowden-Dokumente beschädigt wird.

Tonlage änderte sich erst im Verlauf der Monate

Ab dem September 2013 dauerte es aber nur noch einige Monate, bis sich auch die Tonlage in den USA änderte. Dann wurde die NSA-Überwachung auch innerhalb des politischen Betriebs der USA kritischer hinterfragt. Und das deutsche Außenministerium setzte sich für ein „Transatlantisches Forum“ ein, um etwa Themen wie den Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter zu diskutieren. Das Forum wurde dann im März 2014 von den damaligen Außenministern Frank Walter Steinmeier und John Kerry eingerichtet.

Zuvor war allerdings das Kanzleramt noch mit dem Versuch gescheitert, ein No-Spy-Abkommen mit den USA abzuschließen. In diese Verhandlungen war Brengelmann laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org aber nicht involviert. Dementsprechend konnte er auch nicht sagen, inwieweit es sich bei den Verhandlungen tatsächlich um eine Farce gehandelt hat.

US-Administration nicht ohne Grund verwundert

Dass die US-Administration zunächst so verwundert über die Reaktionen in Deutschland war, ist im Nachhinein aber auch nicht allzu überraschend. Zu eng ist die Kooperation von NSA und Bundesnachrichtendienst (BND). Und selbst der Verfassungsschutz ist mit der NSA-Software XKeyscore vertraut. Hinzu kommt: Auch die deutschen Dienste sind keine Unschuldslämmer. Nachdem im Herbst 2013 bekannt wurde, dass die NSA auch das Handy von Kanzlerin Angela Merkel überwacht hatte, lautete zwar das Credo: „Spionage unter Freunden, das geht gar nicht.“ Doch das Problem war, dass der BND selbst befreundete Staaten ausspioniert hat. So wurden etwa Selektoren – also Suchbegriffe wie Telefonnummern und IP-Adressen – in die Überwachungssysteme eingespeist, die auf das französische Außenministerium und Botschaften von weiteren EU-Staaten abzielten.

Ab Oktober 2013 durfte der BND keine befreundeten Staaten mehr ausspionieren

Um die Details des Selektoren-Skandals aufzuklären, wurde im NSA-Ausschuss erneut der BND-Unterabteilungsleiter B.D. befragt. Dieser hat laut dem Live-Ticker von Netzpolitik.org erklärt: Innerhalb des BND war bereits vor den Snowden-Enthüllungen bekannt, dass es Probleme mit den hauseigenen Selektoren geben könnte, weil diese auf Partnerstaaten abzielen. Entsprechende Prüfungen sollen bereits im April 2013 angelaufen sein – also ein Monat bevor die ersten NSA-Programme veröffentlicht wurden.

Über den Sommer hinweg wurde das Thema dann mehr oder weniger verschleppt, weil der BND laut D.B. mit den Folgen der NSA-Enthüllungen alle Hände voll zu tun hatte.

Erst im Oktober 2013, als die Merkel-Spionage bekannt wurde, habe das Kanzleramt dann angewiesen: Es sollen sämtliche BND-Selektoren deaktiviert werden, die auf Partnerstaaten und Verbündete abzielen. Was allerdings im Umkehrschluss bedeutet: Die BND-Spitze muss schon damals gewusst haben, dass die hauseigenen Überwachungsaktivitäten nicht mit der politischen Leitlinie übereinstimmten.

Inwieweit nun die NSA-Enthüllungen für diesen Schritt verantwortlich waren, lässt sich anhand der vagen Aussagen von B.D. nur schwer nachvollziehen. Ähnliches gilt auch für die illegalen Selektoren, die die NSA beim BND eingeschleust hatte. Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek sprach irgendwann sogar von einem „schwarzen Loch“, das angesichts der Antworten von B.D. existierte. Und „wenn das so weitergeht, verschwinden wir bald alle in diesem schwarzen Loch“, so Flisek laut Netzpolitik.org.

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