Eure Meinung zum Referendum in der Türkei?

T

Tandeki

Gast
Hallo zusammen,

mit Interesse verfolge ich das aktuelle Referendum in der Türkei.

Um es nochmal zusammen zu fassen, es geht um die Antwort "Ja" oder "Nein" zu einer Verfassungsreform, welche das politische System der Türkei in ein Präsidialsystem ändert. Sollte die Reform befürwortet werden, ist der Präsident gleichzeitig der Kanzler und kann damit Kabinettsmitglieder ernennen und entlassen. Außerdem kann der Präsident dann im beschränkten Maße Dekrete erlassen, die wie Gesetze zu behandeln sind. Er kann das Parlament auflösen und Neuwahlen anberaumen lassen. Zudem kann er Richter selbst ernennen und er bleibt Oberbefehlshaber der Streitkräfte, allerdings nicht mehr im Auftrag des Parlaments, sondern eigenverantwortlich. Kritik gab es vor allem für die Neuerung, die eine Wiederwahl und damit einen Neustart der Präsidentschaft vorsieht, wenn in der zweiten Legislaturperiode neu gewählt wird. Damit könne Präsident Erdogan noch viele Jahre regieren.

Das sind nur einige wenige Neuerungen, die durch die Reform eingeführt werden sollen. Insgesamt wird die Verfassungsreform nach meinem Gefühl in den Medien stets recht verkürzt dargestellt. In diesen Quellen kann man noch mehr darüber lesen, was die Reform enthält:

http://faktenfinder.tagesschau.de/tuerkei-referendum-117.html

http://www.spiegel.de/politik/ausla...ein-land-abstimmen-lassen-will-a-1130689.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassungsreferendum_in_der_Türkei_2017

In den letzten Wochen und Monaten kam es mir vor, als beschwörten die Gegner den Untergang der Türkei. Von Dikatur ist die Rede und von der Sicherung der Macht eines Mannes. Dabei gibt es doch in vielen Ländern Präsidialsysteme. Und manche Teile der Reform klingen auch vernünftig. Darunter die Begrenzung der Macht des Militärs oder die Möglichkeit der Ermittlung gegen den Präsidenten selbst bei einfachen Straftaten. Andere Teile der Reform klingen für mich wieder bedenklich, darunter die Ernennung von Richtern oder das Auflösen des Parlaments. Aber vielleicht auch deshalb, weil wir in Deutschland aus gutem Grund eine Beschneidung der Macht des Präsidenten haben, ein starkes Parlament und strikte Gewaltenteilung. Das bedeutet jedoch nicht, dass Parlamentarismus per se eine bessere Demokratieform als Präsidentialismus ist.

Wie seht ihr das? Wie bewertet ihr die Änderungen der Reform? Welche Teile findet ihr bedenklich, welche gut? Und vor allem: teilt ihr die Meinung vieler Kritiker, die Türkei bewege sich mit der Reform in Richtung einer Diktatur?

Ich freue mich über jeden sachlichen Beitrag und über jede Meinung!

Tandeki
 
Gegen ein Präsidialsystem ist an sich nichts einzuwenden. Wenn allerdings der Präsident gleichzeitig Journalisten, Richter,... Verhaften und einsperren lässt ist sowas schon mehr als bedenklich und wird der Türkei langfristig erheblichen Schäden zufügen
 
Tjoa, schade um die Atatürk-Türkei. Was soll man da noch groß zu sagen? Viel schlimmer finde ich, dass die hier lebenden Türken mit weitaus mehr Stimmen zugestimmt haben als diejenigen, die in der Türkei leben. Wäre es nicht so traurig, könnte man drüber lachen.
 
Mehr als "Viel Spaß damit" fällt mir irgendwie nicht ein.

Gerade was das Ergebnis in Deutschland angeht, kann man jetzt natürlich viel von "gescheiterter Integration" und "Deutschland ist selbst schuld" faseln. Aber das spricht keinen Wähler im Allgemeinen und keinen Türken im Speziellen von der Verantwortung frei, die er an der Urne hat.

Die Türken sind der Meinung, dass die Türkei einen starken Führer braucht. Dann soll es halt so sein. Die beschädigten diplomatischen Beziehungen, mit dem das trotzdem sehr knappe Ergebnis erkauft wurde, und ein gespaltenes Land sind es hoffentlich wert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hansman schrieb:
Gegen ein Präsidialsystem ist an sich nichts einzuwenden. Wenn allerdings der Präsident gleichzeitig Journalisten, Richter,... Verhaften und einsperren lässt ist sowas schon mehr als bedenklich und wird der Türkei langfristig erheblichen Schäden zufügen

Klar, das ist in keiner Weise schön zu reden. Präsident Erdogan bedient sich dabei aber Methoden, die wir aus anderen demokratischen Ländern bereits kennen. Man nennt alle einfach grundsätzlich "Terroristen" und hebelt damit selektiv Freiheitsrechte aus.

han123 schrieb:
Viel schlimmer finde ich, dass die hier lebenden Türken mit weitaus mehr Stimmen zugestimmt haben als diejenigen, die in der Türkei leben.

Hier die Zahlen dazu:

Nach den Zahlen von Anadolu stimmten im Ausland insgesamt 59,2 Prozent der Wahlberechtigten mit "Ja", im Inland waren es demnach 51,2 Prozent. Die Zahlen von Anadolu weichen leicht von denen der Wahlkommission ab. Insgesamt waren im Ausland rund 2,9 Millionen Wahlberechtigte registriert, rund die Hälfte davon in Deutschland.

Quelle: http://www.morgenpost.de/politik/ar...n-Deutschland-beim-Referendum-abgestimmt.html

In Deutschland haben 61% der zur Wahl gegangenen Türken mit "Ja" gestimmt und damit anteilig 10% mehr als in der Türkei.

feynman schrieb:
Gerade was das Ergebnis in Deutschland angeht, kann man jetzt natürlich viel von "gescheiterter Integration" und "Deutschland ist selbst schuld" faseln. Aber das spricht keinen Wähler im Allgemeinen und keinen Türken im Speziellen von der Verantwortung frei, die er an der Urne hat.

Verantwortung? Ich würde eher sagen, dass es jedem selbst überlassen ist, wie abzustimmen ist.

feynman schrieb:
Die Türken sind der Meinung, dass die Türkei einen starken Führer braucht. Dann soll es halt so sein.

"Die Türken" sind interessanterweise nicht nur Türken in der Türkei oder Türken mit ausschließlich türkischem Pass. Laut der dpa sind 5% der Wahlberechtigten so genannte "Auslandstürken". Und in fast allen Ländern haben diese Wahlberechtigten deutlich stärker mit "Ja" gestimmt, als in der Türkei selbst. Lediglich in der Schweiz weicht dieser Wert nach unten ab, d.h. dort haben sich die Türken deutlich gegen die Verfassungsreform ausgesprochen.

Das ist doch schon interessant - warum ist das so? Betrachtet man zudem die geografische Verteilung der Ja- und Nein-Wähler in der Türkei, so haben sich deutlich Grenzregionen gegen das Referendum ausgesprochen. Dazu kommt noch eine Enklave im Bereich um Ankara. Das bedeutet, dass ausschließlich die Landbevölkerung im Hinterland und am Schwarzen Meer für die Reform gestimmt hat:

https://de.wikipedia.org/wiki/Verfa...le:Turkish_constitutional_referendum_2017.png

feynman schrieb:
Die beschädigten diplomatischen Beziehungen, mit dem das trotzdem sehr knappe Ergebnis erkauft wurde, und ein gespaltenes Land sind es hoffentlich wert.

War das wirklich so schlimm? Irgendwie ist das doch mittlerweile überall so im Wahlkampf. Trump bezeichnet Merkel als Wahnsinnige, Mark Rutte fährt eine harte Linie des "Normalen" (=Nationalismus), um gegen Wilders zu gewinnen. Und Boris Johnson sagt unverholen, Deutschland habe Griechenland zerstört.

Ich sage nicht, dass diese Form von "Wahlkampf" gut ist. Aber ich habe den Eindruck, dass dieses Säbelrasseln heute gerade in Wahlkampfzeiten völlig normal ist. Deshalb konnte ich auch zum ersten Mal verstehen, dass Angela Merkel so ruhig geblieben ist. Die hat wahrscheinlich stets vor sich hin gesagt: "ist Wahlkampf, der Erdo kommt sicher bald wieder runter". Unerwünschte Gegner (oder solche, die er dafür hält) wird er sicher weiterhin einsperren lassen. Aber die wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland oder den Flüchtlingspakt einfach einseitig aufzukündigen - so doof ist er sicher nicht.
 
Wie meintest Du dann diesen Satz?

feynman schrieb:
Gerade was das Ergebnis in Deutschland angeht, kann man jetzt natürlich viel von "gescheiterter Integration" und "Deutschland ist selbst schuld" faseln. Aber das spricht keinen Wähler im Allgemeinen und keinen Türken im Speziellen von der Verantwortung frei, die er an der Urne hat.
 
Schlimmer als das Ergebnis in der Tuerkei, ist das Ergebnis in Oesterreich.
Ueber 70% der Tuerken in Oesterreich waren dafuer.
Meiner Meinung nach gehoern die allesamt ausgewiesen. Anscheinend ist der Bildungsstand der oesterr. Tuerken noch niedriger als der der ostanatolischen Bauern.

In den USA waren nur 15% dafuer. Aber dort haben sie sowas wie eine geregelte Zuwanderung. Da muss man was koennen, bevor man zuwandert.
Hach schon waers haetten wir auch sowas. Aber wir nehmen ja jeden Ziegenhirten.
 
Ich Glaube wenn Atatürk aus seinem Grab steigen könnte würde er Erdogan den Kopf abschlagen.

Endlich ist dieser Wahlkampf zu Ende leider mit dem Falschen Ende

War das wirklich so schlimm? Irgendwie ist das doch mittlerweile überall so im Wahlkampf. Trump bezeichnet Merkel als Wahnsinnige, Mark Rutte fährt eine harte Linie des "Normalen" (=Nationalismus), um gegen Wilders zu gewinnen. Und Boris Johnson sagt unverholen, Deutschland habe Griechenland zerstört.

An schlimmsten fand ich das Niveau wie es geführt wurde, schon erscheckend wie das gerade Läuft in der Welt
- Der Russe lügt bis sich die Balken biegen
- Der Ami schafft Alternative Fakten
- Der Verrückte Egomane vom Bosporus fasselt irgend ein Schwachsinn vom Kreuzritterzug und beleidigt Alle als Nazi und Faschisten ( Den Rat hat er wahrscheinlich von seinem neuen Freund Putin bekommen machen die Russen auch alles was ihnen nicht gefällt ist faschistisch, diese Vokabel wird für alles schlechte benutzt)

Und die Dummen rennen ihnen in Scharren hinterher wo soll das Enden ?

Da sieht man mal wieder wie Wichtig Bildung ist um solche Scharlatane zu Durchblicken

Wenn man die Wahl-Karte der Türkei sieht hat sie Ähnlichkeit mit der USA Wahlmap
In Großstädten und in den Küsten Regionen (Tourismusregion und Kurdengebiete) wurde für NEIN gestimmt
Die Meisten Stimmen bekam er aus dem Landesinneren ähnlich wie in den USA

Bin mal gespannt wie Erdogan sich wieder seinem "verhaßten Kreuz-Züger Westen" annähern will, nachdem er soviel Porzellan zerschlagen hat. An Niederländischer Seite würde ich eine Öffentliche Entschuldigung im Türkischen Fernsehen zur Prime Time verlangen
 
Ulukay schrieb:
Schlimmer als das Ergebnis in der Tuerkei, ist das Ergebnis in Oesterreich.
Ueber 70% der Tuerken in Oesterreich waren dafuer.
Meiner Meinung nach gehoern die allesamt ausgewiesen.

Wie kommst Du zu diesem Schluss?

Ulukay schrieb:
In den USA waren nur 15% dafuer. Aber dort haben sie sowas wie eine geregelte Zuwanderung. Da muss man was koennen, bevor man zuwandert.
Hach schon waers haetten wir auch sowas. Aber wir nehmen ja jeden Ziegenhirten.

Hm... ich kann nachvollziehen, wie Du zu dieser Aussage kommst. Allerdings "nehmen" wir nicht Türken mit doppelter oder türkischer Staatsbürgerschaft, wir haben sie - und das schon in der x-ten Generation. Deine Hypothese, dass Bildung entscheidend sein könnte, ob nun für ja oder nein gestimmt wurde, ist jedoch damit nicht vom Tisch. Die Ursachen könnten nur andere sein. So kamen sehr viele Türken ohne Bildungsabschluss nach Deutschland. Nun wäre es aber eben wichtig, diese Mitbürger gut auszubilden. Oder wenigstens in den späteren Generationen darauf zu achten, die bereits in Deutschland geboren wurden. Seltsamerweise stieg z.B. jedoch der Anteil der türkischstämmigen Deutschen "zwischen 25 und 35 Jahren ohne Berufsabschluss von 44 % auf 57 %" zwischen 2001 und 2006 (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Türkeistämmige_in_Deutschland#Bildung). Entsprechend schlecht werden hier die Sozialprognosen sein - und der Bildungsstandard.

Dennoch verstehe ich die Logik nicht. Wenn die Hypothese stimmt, dass die chancenlosen Kinder von Immigranten hier in Deutschland unzufrieden sind und sich damit nach einer starken Türkei sehnen, warum ziehen dann nicht tausende Deutsch-Türken in die Türkei? Dass sie dort wegen der Effekte eines starken Präsidentialismus nicht wohnen und leben wollen, passt nicht in die Argumentation. Denn dann wären sie ja wieder intelligent genug, die Folgen des "Ja" zu verstehen.

MrPsst schrieb:
Ich Glaube wenn Atatürk aus seinem Grab steigen könnte würde er Erdogan den Kopf abschlagen.

Dann wäre er aber keine Spur besser als Erdogan, im Gegenteil.

Stinken würde ihm die jetzige Entwicklung aber wahrscheinlich schon. Schließlich ist die starke Stellung des Militärs in der Türkei ein Erbe Atatürks und war als autoritäre Macht im Staate stets undemokratisches Korrektiv. So hat sich die Türkei nur von A nach B bewegt, wohingegen dieses Mal tatsächlich demokratisch darüber abgestimmt wurde. Gleich bleibt beiden Epochen, dass damals Atatürk der starke Mann mit Visionen war, heute Erdogan. Und beide sind sich höchstwahrscheinlich sicher, dass sie das Richtige tun. Wenn mich nicht alles täuscht, hat Atatürk die Armee auf sich vereidigen lassen. Erinnert mich an einen anderen Despoten, der aus Österreich kam. Insofern: wo ist der Unterschied? Sind beide Männer nicht nur Varianten eines immer gleichen "Spiels"?

MrPsst schrieb:
Wenn man die Wahl-Karte der Türkei sieht hat sie Ähnlichkeit mit der USA Wahlmap
In Großstädten und in den Küsten Regionen (Tourismusregion und Kurdengebiete) wurde für NEIN gestimmt
Die Meisten Stimmen bekam er aus dem Landesinneren ähnlich wie in den USA

Das habe ich auch verglichen, kann aber nicht zu einem ähnlichen Verhalten kommen. Denn wie erklärst Du Dir alles südlich von NJ? Und wieso ist an der Grenze zu Kanada nur teilweise demokratisch gewählt worden?

Nein, ich denke nicht, dass das vergleichbar ist. Zudem wurde Trump auch von allen Schichten unterstützt und nicht nur vom dummen Landvolk.

MrPsst schrieb:
Bin mal gespannt wie Erdogan sich wieder seinem "verhaßten Kreuz-Züger Westen" annähern will, nachdem er soviel Porzellan zerschlagen hat. An Niederländischer Seite würde ich eine Öffentliche Entschuldigung im Türkischen Fernsehen zur Prime Time verlangen

Ach Du, dass sich ausgerechnet die Niederlande zu Wort melden, war doch exakt die gleiche Idiotie, wie Erdogans Wahlkampfgetöse. Mich würde nicht wundern, wenn die beiden schon längst miteinander telefoniert hätten:

"Hallo Erdo, altes Haus, Mark hier."

"Hallo Mark... alles klar bei Dir?"

"Ja Erdo, hör mal, das mit Deinem Wahlkampf und Deiner Ministerin tut mir echt leid."

"Du, kein Ding. Mach Dir keinen Kopf. Du weißt ja sicher, das mit ihr seid Nazis und habt einen verkommenen Charakter..."

"Sag nichts, ist doch Wahlkampf."

"Genau, Du verstehst mich. Läuft auch echt gut bei mir."

"Bei mir auch. Ich konnte mit meinen Aussagen den Rechten echt das Wasser abgraben."

"Super! Wenn ich meine Reform durch habe, lade ich Dich mal in meinen Palast ein."

"Bin dabei!"

"Freu mich!"

;)
 
Tandeki schrieb:
Das habe ich auch verglichen, kann aber nicht zu einem ähnlichen Verhalten kommen. Denn wie erklärst Du Dir alles südlich von NJ? Und wieso ist an der Grenze zu Kanada nur teilweise demokratisch gewählt worden?

Das musst du nicht so kompliziert betrachten. An den Küstenregionen der Türkei wird das Geld mit Tourismus verdient, Nationalismusbeschwörung, Verunglimpfung von europäischen Regierungen kommt da nicht so toll an, vor allem wenn die dortigen Einnahmen durch Erdogans Politik gerade massiv weggebrochen sind.

In den USA ist es diesbezüglich schon ähnlich abgelaufen. Die Abhängten haben Trump gewählt, diejenigen, die von der "Weltoffenheit" in den boomenden Großstädten (die liegen an der Ost- und an der Westküste) gar nicht profitiert haben.

Mir stellt sich dabei nur die Frage, wie diese 50/50 Teilung der Gesellschaft durch Politik und Wirtschaft ensteht und warum man sie heute in derart vielen Ländern findet.
 
@MrPsst
Das allein wäre traurig, aber verkraftbar.

Das Problem ist vielmehr, dass die 3 Herren nicht nur über die größten Heere (die Türkei hat eine ziemlich schlagkräftige Truppe im Verhältnis zu anderen Ländern) verfügen, sondern diese allesamt auch massiv aufrüsten. Ich bin mir inzwischen sicher, dass die Welt auf einen neuen großen Konflikt zu rennt. Insbesondere Erdogan mit seinen Machtfantasien dürfte dabei ein wichtiges Zahnrad sein.

Ein Bürgerkrieg in der Türkei und ein aufflammender Kurdenkonflikt würden mich nicht im geringsten mehr überraschen.
 
Gerade was das Ergebnis in Deutschland angeht, kann man jetzt natürlich viel von "gescheiterter Integration" und "Deutschland ist selbst schuld" faseln.
....sehe ich völlig anders.
Es ist schlicht unmöglich, jemanden zu integrieren, der nicht integriert werden will!
Da muss man ansetzen. Wenn ich den ganzen Interviews trauen kann die ich hörte, dann sind es ja auch nicht die Türken gewesen die für den neuen "Führer" gestimmt haben, die in den 60/70ern zu uns kamen, sondern deren Kinder.

Während die Eltern die Nachteile in der Türkei durchaus kennen und die Vorteile die sie hier in D genießen zu schätzen wissen, sind es die Kinder, vorzugsweise die männlichen, die für Erdogan gestimmt haben.
Ich hatte in meiner Schulzeit viele türkischstämmige Freunde in meiner Klasse und immer wenn man da spielen war, wunderten wir uns warum die Jungs so dermaßen verwöhnt wurden und die Mädchen unterdrückt wurden.
Einige türkische Mädchen haben den Absprung geschafft, meist mit den Eltern, einige wenige auch ohne, aber die Jungs, die hier bei vielen Familien nie was leisten mussten, trafen auf eine Gesellschaft in der man was leisten muss, wenn man angenehm leben will.
Und das ist etwas, was oft nicht funktioniert. Die türkischstämmigen Frauen haben hier alle einen Job in meiner Nachbarschaft und von meinen türkischen Bekannten - aber die Männer und männlichen Kinder in nicht kleiner Anzahl gammeln rum und leben von dem, was die Frauen heim bringen.
ist ja auch angenehm, der Islam, in strengerer Auslegung unterstützt sie dabei.

Das Problem bei der Wahl war also die zweite Generation, die sich nach jemanden sehnt, der stark ist, weil man selber schwach ist. Die Eltern derer stehen natürlich auch in der Verantwortung, hätte man die Kinder anders erzogen (etwas europäischer), wäre vieles anders gelaufen.
Letztlich natürlich auch der Glauben in der Verantwortung. Wenn mir mein Glaube sagt, lass die Frau schuften und Du gehst dafür 3x am Tag in die Kirche (oder den Kirchenverein) und trinken Tee und zu Hause hat alles zu kuschen wenn ich es will, dann sagen nicht wenige, hey, warum nicht...........
 
Zuletzt bearbeitet:
feynman schrieb:
Mehr als "Viel Spaß damit" fällt mir irgendwie nicht ein.

Gerade was das Ergebnis in Deutschland angeht, kann man jetzt natürlich viel von "gescheiterter Integration" und "Deutschland ist selbst schuld" faseln. Aber das spricht keinen Wähler im Allgemeinen und keinen Türken im Speziellen von der Verantwortung frei, die er an der Urne hat.

Die Türken sind der Meinung, dass die Türkei einen starken Führer braucht. Dann soll es halt so sein. Die beschädigten diplomatischen Beziehungen, mit dem das trotzdem sehr knappe Ergebnis erkauft wurde, und ein gespaltenes Land sind es hoffentlich wert.


Genau dieser Meinung bin ich auch. Man kann ja viel und auch sicherlich berechtigt darüber reden was hier falsch mit der Integration gelaufen ist. Aber ich bin der Meinung das mindestens genau so viel von Seiten vieler Türken hier falsch gemacht wurde. Und genau wie Du finde ich dass dieses Argument nicht dazu dient sich aus seiner eigenen Verantwortung für falsche Politik zu entziehen.

Das finde ich übrigens genau so bei deutschen AfD Wählern. Vieles was die Wähler dieser Partei sagen stimmt ja, nämlich das sich die derzeitige Politik nicht um die Interessen der einfachen Menschen schehrt und ignorant und abgehoben die Interessen der Reichen bedient. Aber begründet das eine rassistische und menschenfeindliche Partei zu wählen ? Nein, natürlich nicht, denn es gibt durchaus Alternativen. Und wenn man es durch jahrelange Passivität soweit kommen lässt das die Politik so handelt wie sie handelt, und erst dann auf die Straße geht um gegen Menschen die ganz unten sind und in unserem Land Schutz suchen zu demonstrieren, dann ist man tatsächlich auch selber Schuld daran das es hier so ist wie es ist. Und das gilt für Türken genau so wie für Deutsche oder andere Nationen.
 
@MasterXTC,

Stimme dir zu. Aber bedenke, eine sozialdemokratische Regierung hat enorm daran mitgearbeitet die Schieflage zu verschärfen. Die SPD hat ihr eigenes Klientel betrogen oder verkauft oder wie immer man das nennen will.
Deshalb ja auch eine Abspaltung zu WASG.
Nun dennoch rechtfertigt das nicht den Rechtsruck, den es nicht nur bei uns sondern innerhalb Europas zu verzeichnen gibt. Wobei die Neoliberale Politik ja alles andere als links ist.
Was ich damit sagen will, die Lämmer wählen ihre eigenen Schlachter. Und eine Isolation und auch die Rückkehr zum Nationalsmus wird dem sicherlich nicht gut tun, eher das Ganze noch verschlimmern. Aber du weisst ja, ist alles linksgrün versifft.
 
@Godde,
ja genau, gerade und im besonderen die Sozialdemokratie in ganz Europa hat den Neoliberalen Umbau der Gesllschaft voran getrieben. Und genau darum ist ja die Partei Die Linke entstanden. Aber was sehen wir ? Anstatt das die Menschen in Schaaren von der SPD zur Linken wechseln, zogen die sich ins Private zurück oder wählten gar die CDU als Alternative, weil die "bösen Kommunisten" aus der EX DDR könnte man ja nicht wählen. Jedenfalls machten das erfolgreich die Medien und das politisch Establishment den Leuten weiß. Und nun wo eine AfD mit miesesten Nationalismus und Rassismus Stimmung macht, kommen die Leute aus ihren Löchern gekrochen und rennen den platten Parolen dieser Partei hinterher.

Es ist wirklich als Linker sehr frustrierend wenn man sieht das man mit Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit aus dem Stand viele Stimmen holen kann, während man mit Solidarität und Mitmenschlichkeit offenbar kein Blumentopf gewinnt. Gerade zur Zeit hier in NRW sieht man das zur Zeit: Während die AfD komfortabel mit einen zweistelligen Ergebnis mit dem Einzug in den Landtag rechnen kann, müssen wir Linke darum bangen.

Dumpfester Nationalismus und Ausgrenzung, ob in der Türkei, Deutschland oder anderswo können offenbar immer noch viele Menschen begeistern. Muss man tatsächlich resümieren das die Massen dumm und leicht zu manipulieren sind ? Ich neige langsam dazu dem zuzustimmen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Eure Meinung zum Referendum in der Türkei?
Die Türken sollten vernünftig bleiben und mal an ihre Wirtschaft denken. Nach dem Ergebnis ist der EU-Beitritt nun endgültig vom Tisch und der Einbruch im Tourismus spricht auch für sich. Kaum jemand will mehr Urlaub in der Türkei machen - selber schuld meiner Meinung nach.

Die Türkei hat sich gegen Europa entschieden und muss nun mit den Konsequenzen leben. Menschenrechte, die Meinungs- und Pressefreiheit, eine unabhängige Justiz - all das sind Dinge, die zu den demokratischen Prinzipien Europas gehören. Ein Land mit einer solchen Verfassung steht klar im Widerspruch zu diesen Werten und hat keinen Platz in der EU.

Erschreckend finde ich, dass so viele Auslandstürken für Ja gestimmt haben - hier selber sämtliche Freiheiten und Rechte genießen, aber nicht viel von diesen demokratischen Werten halten.

Bin jedenfalls gespannt wie weit die Situation in der Türkei noch eskaliert.
 
MasterXTC schrieb:
Dumpfester Nationalismus und Ausgrenzung, ob in der Türkei, Deutschland oder anderswo können offenbar immer noch viele Menschen begeistern. Muss man tatsächlich resümieren das die Massen dumm und leicht zu manipulieren sind ? Ich neige langsam dazu dem zuzustimmen.

Das ist doch clever von den neoliberalen Rechtspopulisten: Man sucht sich einfach die schwächeren als Sündenböcke und tastet die Herrschaft der 1% nicht an. Das hat sogar einen praktischen Nutzen, die (dumme weil naive) benachteiligte Masse hat fortan die Falschen im Verdacht für ihr Dilemma verantwortlich zu sein. Nicht "die da oben" sondern "die da unten" sind an allem Schuld.
Selbst der Nationalismus mag zwar ein Umdenken erfordern, die Profite der 1% wird er nicht wirklich schmälern.

Im Fall Erdogan läuft aber etwas anderes ab und das unterscheidet ihn dann doch von Trump, der Mann setzt auf den Islam. Das erklärt auch warum so viele Türken, die in Deutschland leben, hinter ihm stehen. Die Liberalen aus den Großstädten sind mehrheitlich nicht ausgewandert, das war die verarmte aber gläubige Landbevölkerung.
 
@Schrammler
du hast absolut recht. Sehr gut eingefädelt von denen. Dennoch erschreckt es mich wie das Offensichtliche nicht von den Menschen durchschaut wird. Ich meine, ich halte mich selber ja auch nicht gerade für den super Intellektuellen Durchblicker. Aber es ist doch klar das uns nicht die die ganz unten sind etwas wegnehmen, sondern die die ganz oben sind. Für diese Einsicht braucht es doch nicht viel Intelligenz. Also warum hält man sich nicht an die die sich die Taschen auf Kosten der Allgemeinheit vollstopfen ?

Ach, gehört hier nicht so richtig hin. Hier geht es um das Referendum in der Türkei. Aber die Mechanismen dahinter sind durchaus vergleichbar meiner Meinung.
 
Zuletzt bearbeitet:
Unsere Türkei-Experten haben sich ja gesammelt. Ich habe mit Ja gestimmt btw.
 
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