Klassiker neu entdeckt: No One Lives Forever (2000) im Test

Max Doll
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Klassiker neu entdeckt: No One Lives Forever (2000) im Test

Vorwort

Während B.J. Blazkowicz einmal mehr auf mittlerweile nicht mehr ganz so geheimer Mission die Welt rettet, sinkt eine Kollegin tiefer in die unverschuldete Vergessenheit. Statt den Shooter-Opa aus der Kiste zu kramen, schauen wir uns deshalb mit „No One Lives Forever“ einen Gegenentwurf zur Standard-Blaupause mit Agenten-Alibi an. 1960er-Jahre samt psychedelischen Farben, Hüftschwung, Humor, Gameplay-Freiheit und James-Bond-Spielzeuge waren die Zutaten, die Cate Archer in die Erinnerung eingebrannt und, ganz nebenbei, auch dem Staat in Form der BPjM viel besser gefallen haben. Wir prüfen, ob der 1960er-Jahre-Trip auch heute noch ansehnlich mit den Hüften wackelt.

Geschichte und Hintergrund

Das „Was“ der Handlung in No One Lives Forever spannt eine klassische Leinwand des Gut-gegen-Böse-Schemas nach Bond-Machart während des Kalten Krieges auf: UNITY rettet die Welt vor der Terrororganisation H.A.R.M.. Der eigentlich interessante Punkt ist daher das „Wie“: Vor der Kulisse der „Swinging Sixties“ mit erstklassigem Soundtrack im Bond-Stil präsentierte Monolith anno 2000 passend zum Kinoerfolg von Austin Powers mit Cate Archer eine Protagonistin, die so gar nicht in das Tomb-Raider-Schema passen wollte.

Nette Details wie diese Karte nehmen das Setting auf die Schippe
Nette Details wie diese Karte nehmen das Setting auf die Schippe

Ganz anders als das parodierende Austin Powers, lässt No One Lives Forever einen ernsten Handlungskern aber unangetastet. Die Bandbreite des Witzes reicht von flachen und teils infantilen Gags – defäkierende Geräusche beim Versuch, eine Toilette zu betreten, und Details wie rosa Plüschpantoffeln im Hauptquartier des Bösen – bis hin zu subtileren Scherzen. Die lassen sich ohne Weiteres als Auseinandersetzung mit Agentenfilm wie Shooter-Genre, dessen Handwerkskiste großzügig geplündert wird, und der Gesellschaft verstehen: Hinter dem Humor steckt stets mehr als nur kurzzeitige Erheiterung.

H.A.R.M.-Handlanger von einer menschlichen Seite zu zeigen und sie damit aus ihrer Funktion als anonymes Kanonenfutter zu erheben, verleiht dem Spiel eine moralische und dem oftmals funktionalisierten Humor eine weitere, kritische Dimension. Viel davon präsentiert No One Lives Forver in Dialogen zwischen H.A.R.M.-Agenten, die der Spieler belauschen kann, aber nicht muss, den Rest in Zwischensequenzen, deren Qualität nichts eingebüßt hat. Insbesondere schussfreudigen oder ungeduldigen Naturen entgeht daher ein merklicher Teil des Spielgenusses und der Spieltiefe.

Die 1960er-Jahre dienen mitnichten nur als jovialer Hintergrund. Die Zeitebene wird zusammen mit der weiblichen Hauptfigur zur Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen genutzt – ein Thema, das ebenso zeitgenössisch wie aktuell erscheint. Frau Archer gegen Agentenmänner: Der Konflikt wird nicht immer subtil ausgetragen noch derart dargestellt, alleine weil eine Vielzahl weiblicher, aber auch männlicher Handlungsträger auftreten, die aus konservativen Rollenbildern ausbrechen, mit denen sie ständig konfrontiert werden.

Das Spiel nutzt zwar speziell in Bezug auf die Antagonisten mit großem Effekt nationale, insbesondere köstliche deutsche Akzente, aber kaum genderbezogene Stereotype. Speziell die Auseinandersetzung mit Sexismus greift den frauenverachtenden Witz auf, um sich im selben Atemzug davon zu distanzieren und über ihn zu amüsieren: Eine ebenso bissige Abrechnung mit der reaktionären Vergangenheit und Gegenwart.

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