Sechs Monate Xbox One: ein Rückblick und Ausblick

Max Doll
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Nur ein halbes Jahr nach ihrem Erscheinen kann die Xbox One bereits auf eine bewegte Geschichte zurückblicken – nicht ganz zu unrecht wird sie gerne als Xbox 180 (Grad) bezeichnet. Ein guter Grund, sich nicht nur anzuschauen wie sich die Konsole entwickelt hat, sondern auch, was sich in Sachen Spiele getan hat.

Für sich betrachtet fällt die Bilanz nach sechs Monaten Xbox One für Microsoft nicht schlecht aus: Die Verkaufszahlen übertreffen zumindest aktuell diejenigen der unter Lieferschwierigkeiten leidenden Vorgängerkonsole im gleichen Zeitraum deutlich. Während Microsoft aber lediglich vermelden konnte, fünf Millionen Konsolen an den Handel ausgeliefert zu haben, konnte Sony sieben Millionen PlayStation 4 tatsächlich an Endkunden verkaufen und sich damit merklich absetzen.

Sony PlayStation 4 im Vergleich zur Xbox One
Sony PlayStation 4 im Vergleich zur Xbox One

Gegensteuern konnte Microsoft bislang nicht. Versuche, mit besonders günstigen Bundleangeboten zwischen 400 und 450 Euro rund um zugkräftige Spiele zu Beginn des Jahres Boden gutzumachen, brachten nicht den gewünschten Erfolg. Der Hoffnungsträger Titanfall, der nur auf der Xbox One, 360 und dem PC erhältlich ist, konnte den Absatz nur kurzzeitig ankurbeln. Kurz darauf hat Microsoft die Reißleine gezogen: Ab Juni wird die Xbox One in einer günstigeren Version auch ohne die zuvor stets als elementar für das Konzept der Konsole bezeichneten Gestensteuerung Kinect verkauft. Der Versuch, mit Kinect als „System-seller“ sowohl die schwächere Hardware als auch den höheren Anschaffungspreis durch „Aha-Momente“ zu rechtfertigen, ist somit vorerst gescheitert. Nunmehr wird versucht, preislich gleichzuziehen respektive mehr Spielraum für Preissenkungen zu schaffen, um in den Markt zu drängen.

Kinect

Kinect gehört daher offiziell zu den Verlierern der ersten sechs Monate der Xbox One. Zwar hat das System ohne Zweifel enormes Potential für Videospiele, geriet jedoch im Rahmen des NSA-Skandals als potentielles Überwachungswerkzeug in Verruf. Da Microsoft bis dato kaum ernsthafte Anreize in Form passender Unterhaltungssoftware anbieten konnte, blieb Kinect bislang vorwiegend auf die Steuerung des Dashboards beschränkt und für Spieler, in der Regel Technikfans, weitgehend unattraktiv. Da Entwickler künftig nicht mehr auf die uneingeschränkte Verfügbarkeit der Kamera vertrauen können, werden der umfassende, elementare Einsatz von Kinect in Spielen und Experimente auch aus der Indie-Szene unvermeidlich unwahrscheinlicher. Zur Steuerung von Medien und Konsole ist Kinect zwar nutzbar, die Handhabung aber noch nicht immer gänzlich intuitiv. Microsoft muss somit auf Mundpropaganda hoffen oder selbst einen auf Kinect maßgeschneiderten Exklusivtitel und Kassenschlager veröffentlichen, um nicht wie bei der Xbox 360 vor dem Problem der zu großen Zurückhaltung bei der Unterstützung des Zubehörs „Kinect“ durch die Entwickler bei Spieletiteln zu stehen, das sich schon bei der Xbox 360 offenbarte und durch das Bundle von Xbox One und Kinect gerade verhindert werden sollte.

Microsoft Xbox One – Kinect 2.0
Microsoft Xbox One – Kinect 2.0

Sowohl am Betriebssystem als auch der Leistung von Kinect arbeitet Microsoft ohnehin mit jedem der monatlichen Updates. Der nächste Patch etwa bringt Unterstützung für externe HDDs. Nach eigenem Bekunden geht der Konzern bei der Weiterentwicklung der Software besonders auf Wünsche der Spieler ein. Unklar bleibt, warum unter „Wünsche“ auch viele Selbstverständlichkeiten wie eine Batterieanzeige für den Controller fallen mussten. Mittlerweile sind die meisten Baustellen, inklusive der Öffnung der Apps für alle Nutzer ohne „Live Gold“-Abo, allerdings behoben.

Technik

Ein halbes Jahr nach dem Verkaufsstart haben sich auch die Wolken um die Leistungsfähigkeit beider Konsolen gelichtet, um die zwischenzeitlich heiße Debatten geführt wurden. Eine Auflösung von 1080p bei 60 Bildern pro Sekunden konnte sich entgegen den Hoffnungen vieler Fans aber nicht etablieren. Wie erwartet schlägt sich die schwächere Hardware der Xbox One in der Auflösung nieder: Während Sony in der Regel – aber längst auch nicht bei allen Spielen – mit Full-HD-Auflösungen aufwarten kann, liegt die Xbox One im Mittel derzeit bei 900p. Dabei lässt sich beobachten, dass Entwickler lieber die Bildqualität maximieren, indem Abstriche bei der Auflösung oder der Framerate zugunsten eines möglichst hohen Detailgrads und Post Processings gemacht werden. Auch bei der PlayStation 4 wird bei Bedarf wie etwa bei Watch Dogs die Auflösung reduziert – in diesem Fall möchten die Entwickler nicht Grafik, sondern Gameplay optimieren. Statt Full HD wird häufig wieder auf den Spielspaß verwiesen, der statt maximierter Grafik im Vordergrund stehen soll.

Spielspaß hin oder her: In vielen Fällen hat die niedrigere Auflösungen, sowohl zwischen beiden Konsolen als auch zur Full-HD-Auflösung, keine großen Auswirkungen. Spätestens in Bewegung, d. h. beim Spielen, sind keine Pixelwüsten zu erwarten. Selbst ein Battlefield 4, das auf der Xbox One mit „nur“ – aber dafür echten – 720p und auf der PlayStation 4 in 900p ausgegeben wird, sieht deutlich besser aus als auf der Vorgängergeneration. Wie sich die eingesetzten Auflösungen entwickeln, kann derzeit noch nicht abschließend beantwortet werden und muss auch sechs Monate nach dem Verkaufsstart weiterhin beobachtet werden. Denn wie schon bei den Vorgängern lernen die Entwickler die neue Konsolengeneration zunehmend besser kennen und optimieren die Grafikengines stetig. Durch den Verzicht auf Kinect könnten zudem bislang reservierte Ressourcen genutzt werden, auch wenn hierdurch kein Quantensprung zu erwarten ist.

Spiele

Im direkten Schlagabtausch der Kategorie „Exklusivspiele“ hat zumindest numerisch Microsoft derzeit die Nase vorn: Forza 5, Ryse: Son of Rome, ein indiziertes Zombiespiel und Titanfall stehen Killzone: Shadow Fall, Knack und Infamous: Second Son gegenüber, die im Schnitt auf Metacritic bei Publikationen etwas schlechter, bei Nutzern etwas besser bewertet werden. Im Indie-Segment ist Sony aufgrund der frühzeitig begonnenen „Werbung“ hingegen besser aufgestellt. Ein richtiges Zugpferd, das allein zum reißenden Absatz der Konsole führt, lässt sich im gegenwärtigen Angebot bislang aber nirgends ausmachen.

Beide Plattformen haben aber noch viele hochkarätige Serien in der Hinterhand. Auf der Xbox gehört dazu neben einem MMO-Ableger im Fable-Universum auch Halo, das vermutlich dieses Jahr ein HD-Remake bekommen wird, sowie die Fortsetzung im nächsten Jahr. Und mit Sunset Overdrive und Quantum Break von Remedy stehen neue Marken mit interessanten Konzepten vor der Tür. Sony portiert dagegen The Last of Us und lässt an Uncharted arbeiten. Neben The Order: 1886 und Driveclub sollen zudem unter anderem Deep Down und Shadow of The Beast weitere Argumente zum Kauf der Konsole liefern.

Was große Produktionen in diesem und nächsten Jahr angeht, halten sich beide Plattformen die Waage. Insgesamt macht sich jedoch bemerkbar, dass Sony frühzeitig auf Indie-Entwickler zugegangen ist: Von kleinen Studios wird die PlayStation 4 enthusiastischer bestückt als die Xbox One, deren schnell angeschobenes ID@Box-Programm zurückhaltender angenommen wird – Microsoft besteht darauf, dass die eigene Konsole zeitgleich mit anderen Plattformen bedient wird. Weitere Spiele dürften aber sowohl von Microsoft als auch Sony schon auf der bevorstehenden E3 im nächsten Monat angekündigt werden.

Ausblick

Vor einem halben Jahr bot die Xbox One, wie wir in unserem Test festgehalten haben, noch keine Anreize für einen sofortigen Kauf. Und jetzt? Zwar hat sich die Konsole merklich weiterentwickelt, sie lässt aber nach wie vor „den“ Grund zum Kauf vermissen – zumindest, wenn sie nicht das einzige Spielgerät im Haus sein soll. Gerade die Kinect-lose Version der Konsole könnte die Preise ab Juni fallen lassen. Deshalb erscheint es weiterhin ratsam, abzuwarten – und insbesondere auch, weil sich die Auswirkungen der jüngsten Microsoft-Volte für die Plattform noch nicht abschätzen lassen.

Alle Meldungen und Tests zur Xbox One – nicht nur der letzten sechs Monate – finden sich zum Nachlesen auf unserer Themenseite.