Double Fine: Location wichtiger als „Early Access“-Spiel „Spacebase DF-9“?

Andreas Schnäpp
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Double Fine: Location wichtiger als „Early Access“-Spiel „Spacebase DF-9“?

Tim Schafers Spieleschmiede Double Fine steht aktuell im Kreuzfeuer der Kritik. Grund dafür ist eine überraschende Ankündigung zum Ende des Projekts „Spacebase DF-9“, das als Early-Access-Titel vermarktet wurde und nach nur elf Monaten öffentlicher Alpha-Phase nun als „Version 1.0“ der Community überlassen werden soll.

Inspiriert von der Komplexität und Spieltiefe des mittlerweile seit 2002 entwickelten Freeware-Simulationsspiels Dwarf Fortress, veröffentlichte das von JP LeBreton geleitete vierköpfige Entwicklerteam im Oktober 2013 das im Weltraum angesiedelte Spacebase DF-9 als Early-Access-Alpha-Version zum Preis von 22,99 Euro. Die gesteckten Ziele waren ambitioniert und umfangreich, dies vermittelte zumindest die mittlerweile nur noch per Internetarchiv zugängliche Entwicklungs-Roadmap sowie entsprechende Aussagen der Entwickler zur Ankündigung des Titels. LeBreton äußerte sich damals gegenüber RockPaperShotgun, dass Spacebase DF-9 so lange weiterentwickelt werde, wie es den Entwicklern möglich sei und wie sehr es Spielern gefalle. Wie sich nun im Nachhinein herausstellte, waren dies nur knapp elf Monate, obwohl Spacebase DF-9 die 400.000 US-Dollar Investition aus dem Indie-Fund innerhalb von nur zwei Wochen wieder einbrachte.

Eine Woche nach Veröffentlichung von Spacebase DF-9 „Alpha 6e“ kündigten die Entwickler die finale Version 1.0 für Oktober 2014 an, wobei diese zugleich auch das Ende der aktiven Entwicklung neuer Features markiert: So plant das Entwicklerstudio sich während des letzten Monats auf Bugfixing und Feinschliff zu konzentrieren sowie einen Tutorial-Modus für Neueinsteiger bereitzustellen. Neue Spielinhalte sollen jenseits von Version 1.0 ausschließlich durch die Community entstehen, da Double Fine den in Lua geschriebenen Quellcode zum Spiel mit der finalen Version ebenfalls veröffentlichen will.

Wütende Käufer – Entwickler in der Defensive

So unerwartet die Ankündigung der „finalen Version“ für viele Spieler kam, so harsch fiel die darauf folgende Kritik aus: Nicht nur versetzt der plötzliche Versionssprung von einer Alpha hin zum „fertigen Produkt“ viele Spieler in ungläubiges Staunen, andere Nutzer rufen in den Kommentaren direkt zum Boykott zukünftiger Double-Fine-Spiele auf und empfinden die Ankündigung als „Schlag ins Gesicht“. Die Unmut der Käufer macht sich dementsprechend auch in den Nutzerbewertungen auf Steam bemerkbar: Von 846 Bewertungen sind mittlerweile 84 Prozent negativ.

Diese heftige Reaktion veranlasste die Entwickler dazu, sowohl auf Steam als auch im eigenen Forum Stellung zu nehmen: LeBreton betont, dass die kontinuierliche Weiterentwicklung von den Verkaufszahlen abhänge. So sei die erste Veröffentlichung im Oktober letzten Jahres zwar „stark“ verlaufen, Anfang 2014 sei es jedoch klar geworden, dass die Entwicklung ein baldiges Ende finden müsse. Zudem hätten sich die Entwickler bemüht, keine Versprechen auf der Entwicklungs-Roadmap zu machen, „obwohl wir hofften alle [Features] und noch mehr eines Tages zu implementieren“, so LeBreton. Im Grunde sei die Entscheidung auf Zeit und Ressourcen zurückzuführen – Faktoren, die laut Aussage LeBretons außerhalb seiner Kontrolle lagen.

Dass Spacebase DF-9 Anfang September trotz dieser Einsicht dennoch in einem auffällig platzierten Sonderangebot bei Steam erhältlich war und demnach um Neukunden buhlte, hinterließ bei Unterstützern des Projekts einen unseriösen Eindruck und warf weitere Fragen auf. Im Double Fine Forum meldete sich Tim Schafer daraufhin zu Wort, um die Hintergründe der Entscheidung zu erklären.

Wir haben Spacebase als Produktion mit offenem Ende begonnen, in der Hoffnung ähnlichen Erfolg (und demnach Finanzierung) zu finden, wie die in der Alpha-Phase finanzierten Spiele, die das Spiel inspirierten. Die anfänglichen Verkaufszahlen deuteten dies an, aber langsam veränderte sich die Situation und es wurde klar, dass wir es mit eineinhalb Jahren Produktionszeit statt fünf oder so zu tun hatten. Mit jedem Alpha-Release hatten wir die Hoffnung, dass sich die Dinge ändern, aber sie taten es nicht. Wir haben jeden Groschen, den wir mit Spacebase verdient haben, zurück in das Spiel investiert und sogar noch mehr hineingesteckt. Offensichtlich können wir jedoch nicht unaufhörlich mehr Geld ausgeben als wir einnehmen. Also, so sehr wir auch versuchten die Entscheidung hinauszuschieben, mussten wir letztendlich einen anderen Gang einlegen, Spacebase in den Fertigstellungs-Modus setzen und für Version 1.0 planen

Tim Schafer, Double Fine Productions

Der Versionssprung von einer Alpha hin zum Release ließe sich laut Schafer damit erklären, dass es keine „Beta“-Phase im klassischen Sinne der Softwareentwicklung gäbe. Diese beschreibe eine Phase, bei der keine neuen Features mehr hinzukommen und man sich auf das Ausmerzen von Programmierfehlern konzentriere. Im „Early-Access“-Modell verschwimmen diese Phasen nach Schafers Ansicht jedoch fließend ineinander, sodass Entwickler vergleichbar viel Zeit mit dem Beseitigen von Programmierfehlern verbringen während sie neue Features implementieren.

Schafer verstehe zwar, dass die Ankündigung sowohl für Spieler als auch die Entwickler „eine Enttäuschung“ sei, „aber Spacebase kostet mehr Geld als es einbringt und das ist etwas, das wir uns nicht mehr länger leisten können.“ Im Bezug auf das Early-Access-Verkaufsmodell äußerte sich Schafer wie folgt: „Eine der größten Lektionen, die wir hierbei, aus unserem ersten Early-Access-Titel, gelernt haben, dreht sich um Kommunikation. Es hätte mehr Kommunikation mit den Spielern über den Zustand des Spiels geben müssen und wir entschuldigen uns dafür.“ Tim Schafer erläutert die Situation an späterer Stelle: „Wir sind mit diesem Spiel auf ungeschickte Weise durch neues Terrain gestolpert und was Early-Access-Kommunikation angeht sind wir dem nicht gerecht geworden. Doch zum Ende sind wir dennoch stolz auf das Spiel und glücklich darüber es in der Liste der Double Fine Titel zu haben.

Heftige Kritik aus Entwicklerkreisen

Andy Hodgetts, einer der Entwickler hinter der ebenfalls in einer Alpha-Phase schwarmfinanzierten Zombie-Survival-Simulation Project Zomboid, übte heftige Kritik an der Ankündigung zum Entwicklungsstop von Spacebase DF-9 in seinem „Alpha-Funding / Early Access ist keine 'Alternative'“-betitelten Blogeintrag.

So sei laut Hodgetts „alpha-finanziert“ bzw. Early Access kein „'alternativer' Entwicklungsansatz“, sondern habe einen „sehr spezifischen Nutzen für eine spezielle Art von Spielen“. Als das, damals noch zweiköpfige, Entwicklerteam zu Beginn von Project Zomboid mit „groben Screenshots“ und Zielen für die Zukunft des Projekts auf die Suche nach finanzieller Unterstützung aus Spielerkreisen ging, sei eine Sache „grundlegend offensichtlich“ gewesen: „Wenn wir im Vornherein Geld von Leuten für das Gerippe eines Spiels verlangen, haben wir die Pflicht das Spiel auszuliefern, unabhängig davon wie viel Geld wir damit verdienen.“

Aus diesem Grund habe man sich im ersten Jahr ein billiges Appartement in Hartlepool, einem der günstigsten Wohnorte in ganz England geteilt und war selbst nach dem Umzug in eine „weniger fürchterliche“ Gegend der Auffassung, dass man im schlimmsten Fall wieder zurück in eine ähnliche Wohnsituation ziehen muss, um die Lebenskosten zu minimieren. Hodgetts dazu: „Sich an so einem Punkt einfach umzudrehen und zu sagen 'Sorry Leute, aber uns ist das Geld ausgegangen, so wie das Spiel gerade ist, muss reichen' war nie eine Option und darf nie eine sein.

Wenn ein Entwickler diesen Grundsatz nicht von vornherein garantieren könne, sei das Early-Access- bzw. Alpha-Finanzierungsmodell nichts für ihn, so Hodgetts. „Ist es zu riskant und wäre nur dein Ruf auf dem Spiel, wäre das in Ordnung. Aber Misserfolge beflecken den Ruf des ganzen Modells, insofern schadet das Scheitern (insbesondere bei scheiternden Projekten mit großer öffentlicher Beachtung) möglicherweise den Entwicklern am meisten, die dieses [Finanzierungs-]Modell am dringendsten brauchen.

Besonders scharf kritisiert Hodgetts den „verblüffend[en] Umstand, dass „jemand, der an einem Ort mit umwerfend hohen Lebensunterhaltungskosten (London, San Francisco, Copenhagen etc.) ansässig ist“ überhaupt ein Spiel entwickelt, dessen Entwicklung von den Verkaufszahlen während der Entwicklungsphase abhängt. Hodgetts: „Du verbrennst im wahrsten Sinne des Wortes (bildlich gesprochen) dieses Geld.“ Der Firmensitz von Double Fine befindet sich in San Francisco. Nach Ansicht von Hodgetts hätte sich die eineinhalbjährige Produktion auch „spielend“ über fünf Jahre erstrecken können, wenn der Double Fine Firmensitz an einem anderen Ort wäre, der keine monatlichen Kosten von 10.000 US-Dollar pro Person verursacht. Hodgetts bezieht sich dabei auf eine Twitter-Antwort von Tim Schafer, auf die Frage eines Nutzers, wie Double Fine die auf Kickstarter gesammelten 3,3 Millionen US-Dollar nur für Akt 1 von Broken Age komplett aufbrauchen konnte.

Wenn ein Entwickler nicht bereit sei seine Lebenshaltungskosten so anzupassen, damit der Entwicklungsprozess kosteneffizienter verläuft, sei das Alpha-Finanzierungsmodell schlichtweg nichts für ihn, wiederholt Hodgetts. Er quittiert diesen Umgang mit dem Geld der Spieler mit den Worten „Im Grunde genommen erfordert dein Spiel eines der erfolgreichsten Early-Access-Spiele aller Zeiten zu sein, um genug Geld zu haben, es fertigzustellen. Das ist, offen gesagt, eine wahnsinnige (ich wage zu sagen?) arrogante Annahme.

Eine Sache des Preises

Chris Simpson, ebenfalls Entwickler bei The Indie Stone, meldete sich in einem späteren Beitrag zu Wort. Seines Erachtens nach seien die Kosten heutiger Early-Access-Spiele eines der größten Probleme, die das Modell aufweist: „Konsumenten sollten dafür kompensiert werden, ein unfertiges Spiel mit verknüpften Risiken zu kaufen.“ Wenn das Spiel zu einem günstigeren Preis während der Entwicklungsphase angeboten wird, hätten beide Seiten etwas davon:

Du bekommst ein ambitionierteres Spiel zu einem super günstigen Preis als das, das ich unter normalen Umständen finanzieren könnte und im Gegenzug kann ich während ich es entwickle Geld damit verdienen.

[...]

Mit der Normalisierung des Early-Access-Modells haben viele Entwickler anscheinend vergessen, dass es sich um eine eher unorthodoxe und umstrittene Sache handelt, anstatt dankbar und demütig dafür zu sein, dass es ihnen erlaubt ist ein Geschäft auf diese unorthodoxe Weise zu betreiben – oder sich daran zu erinnern, dass sie dies in eine Situation versetzt, bei denen sie ihren Kunden im Gegensatz zu traditionellen Finanzierungsmodellen zu mehr verpflichtet sind. Stattdessen haben es viele als die neue Norm akzeptiert und damit begonnen, die anfänglichen Alpha-Preise weiter in Richtung des Release-Preises zu schrauben (oder manchmal, in verblüffender und ekelerregender Weise, ÜBER dem Release-Preis). Hinzu kommt die Akzeptanz noch frühere, kaputtere oder gameplay-leere Builds bis zu dem Punkt zu veröffentlichen, an dem das alles sehr problematisch wird.

Chris „Lemmy“ Simpson, The Indie Stone

Simpson betonte schon in früheren Interviews, dass es Entwickler in Zukunft dank schwarzer Schafe auf Early-Access schwieriger haben werden. Nach dem Scheitern des mit über 500.000 US-Dollar vorfinanzierten Videospiel-Projekts CLANG, verschärft die Crowdfunding-Plattform Kickstarter nun seine Nutzungsbedingungen.

Ursprünglich entstand Spacebase DF-9 als Prototyp während eines zweiwöchigen Entwickler-Jams namens Amnesia Fortnight 2012. In Kooperation mit der „Humble Bundle“-Gruppe und den Filmemachern von 2 Player Productions gewährte Double Fine interessierten Spielern einen Einblick in den Entwicklungsprozess in Form einer zwölfteiligen Dokumentation auf YouTube. Am Ende des Experiments präsentierten die Entwicklerteams ihre Prototypen, wobei Unterstützer ab dem Beitrag von einem US-Dollar darüber abstimmen durften, welche der Prototypen es in die Produktionsphase schaffen sollen.

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