Kommentar: Apple gegen Samsung: Ein Patentstreit mit vielen Folgen

Patrick Bellmer
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Kommentar: Apple gegen Samsung: Ein Patentstreit mit vielen Folgen
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Wenn zwei sich streiten

Patente bzw. deren Vorläufer gehen bis weit in die Zeitrechnung vor Christi Geburt zurück. Über Jahrhunderte hinweg erwiesen sich diese als überaus nützlich, um das Forschen und Entwickeln wirtschaftlich abzusichern. Wer etwas Neues erfand und ein Patent darauf erhielt, konnte sich bestimmter Rechte sicher sein. Wichtig war hier vor allem, dass niemand ohne eine entsprechende Lizenz das Geschützte verwenden durfte.

Wie aber so oft hielt die Gesetzgebung mit dem Fortschritt nicht schritt, im Patentrecht wurde dies in den vergangenen Monaten mehr als offensichtlich. Selbst juristischen Laien fiel zuletzt auf, dass die Patente nicht mehr in erste Linie die Erfindung selbst, sondern lediglich die wirtschaftlichen Interessen des Eigentümers schützen sollen. Zumindest lassen zahlreiche Versuche, Konkurrenzprodukte durch einstweilige Verfügungen und anderes verbieten zu lassen, diesen Schluss zu. Nicht die Einigung genießt Priorität, sondern der Ausschluss des Konkurrenten vom Wettbewerb.

Das Paradebeispiel schlechthin für die Fehlentwicklungen sind sicherlich die Streitigkeiten zwischen Apple und Samsung – zwei Unternehmen, die in einer fast schon paradoxen Beziehung zueinander stehen. Sie sind gegenseitig wichtigster Kunde und wichtigster Lieferant, gleichzeitig aber auch im Bereich der Smartphones und Tablets die größten Konkurrenten. Hier reichte es nicht, sich auf einen Prozess zu konzentrieren; statt dessen versuchten beide weltweit, Konkurrenzprodukte verbieten zu lassen. Selbst in einem Vieraugengespräch auf höchster Ebene konnte man sich nicht einigen. Oder wollte man sich nicht einigen, weil das gar nicht das wirkliche Ziel ist? Um die Auseinandersetzungen zu verstehen, muss man jedoch ein wenig in die Vergangenheit reisen.

Anno 2007 stellte Apple das erste iPhone vor. Schon lange vorher gab es Handys, die deutlich mehr als normale Mobilfunkgeräte, mittlerweile Feature Phones genannt, konnten. Das Unternehmen aus Cupertino stellte also wie so oft keine revolutionäre Neuentwicklung vor, sondern „machte das Rad ein wenig runder“ wie es so oft heißt. Neben starken Veränderungen in puncto Bedienung und Oberfläche stellte es auch ein im Wesentlichen neues Design dar. Auch vorher gab es schon Geräte, die eine starke Ähnlichkeit aufwiesen, in Summe aber doch eine gewisse Eigenständigkeit besaßen. Deshalb war es nur wenig verwunderlich, dass Apple sich das Design per Patent, in Deutschland ist die Bezeichnung dafür Geschmacksmuster, schützen ließ.

Rückwirkend betrachtet offenbarte sich hier vielleicht bereits die erste Schwäche des Patentsystems. Denn nicht zu Unrecht fragen sich Kritiker, warum man etwas wie die Form eines Smartphones – oder später auch eines Tablets oder Notebooks – schützen lassen kann. Apple habe nicht als erster ein Gerät mit abgerundeten Ecken oder mit einer Keilform auf den Markt gebracht, so die Aussagen. Dem entgegenhalten muss man jedoch, dass sich Gegenstände zu einem wahren Markenzeichen entwickeln können, man denke nur einmal an die fast schon legendäre Cola-Flasche aus Glas – ebenfalls durch Patente geschützt. Nur: Sind iPhone und iPad Markenzeichen, die geschützt werden müssen? In gewisser Weise schon, selbst ein wenig Technik-affiner Mensch erkennt problemlos, dass es sich um ein Apple-Produkt handelt.

Zusammengefasst ist das Problem der aktuellen Streitereien rund um die Optik von Geräten also nicht die Klagewut der beiden Kontrahenten, sondern das veraltete Patentsystem, das die Patentierung offensichtlicher Banalitäten fördert und die zielgerichtete Absicherung offensichtlicher „Markenzeichen“ erschwert. Im Laufe der Zeit, vor allem in der jüngeren Vergangenheit, hat man es verpasst, es den modernen Gegebenheit anzupassen. Statt rechtliche, weltweit möglichst identische Vorgaben mit so wenig Spielraum wie möglich zu etablieren, hat man sich auf das alte Regelwerk mit seinen Lücken verlassen.

Soll die Optik eines Gegenstands also auch in Zukunft schützbar sein, oder will man dem Kopieren des Aussehens Tür und Tor öffnen? Einigkeit dürfte zumindest hier herrschen, die Optik eines Produkts muss nicht zuletzt aufgrund möglicher Verwechslungen und des künstlerischen Schaffungsprozesses, der dahinter steckt, absicherbar sein. Nur wie soll ein solches System aussehen, ohne dass es dabei zu Fällen wie der Auseinandersetzung zwischen Apple und Samsung kommt? Die aktuellen Regelungen sind dabei nicht der Weisheit letzter Schuss, belegen die zahlreichen Urteile der vergangenen Wochen und Monate doch eindeutig, dass es zu viel Spielraum und Platz für Interpretationen gibt.

So vertraten Richter in Düsseldorf die Ansicht, dass das Galaxy Tab 10.1 und Galaxy Tab 7.7 dem iPad zu ähnlich sehen würden und erließen einstweilige Verfügungen. Im Falle des ersteren Tablets erkannte auch ein Gericht in Kalifornien eine Verletzung des Designpatents, in London hingegen wurde anders entschieden. Hier konnte der Richter keine Verwechslungsgefahr feststellen.

Wie soll da das Gericht im kalifornischen San Jose im laufenden Verfahren, das den aktuellen Höhepunkt der Auseinandersetzungen darstellt, richtig entscheiden? Denn nicht nur, dass auch hier wieder ein Freiraum für Entscheidungen vorhanden ist: Beide Parteien versuchen mit verschiedenen Taktiken und Trickserien Vorteile zu erlangen. Da lanciert Samsung nicht zugelassenen Beweise an die Medien, während Apple mit Hilfe von Designgutachtern seinen Standpunkt bekräftigen will. Gleichzeitig wird bekannt, dass Samsung absichtlich oder unabsichtlich wichtige E-Mails gelöscht und intern Vergleiche zwischen dem iPhone und eigenen Modellen durchgeführt und Verbesserungspotential dokumentiert hat. Und auch wenn es eindeutig ist, dass die Südkoreaner sich haben von Apples Produkten „inspirieren“ lassen, bleibt am Ende dennoch die Frage, ob Apple gewinnt.

Oder verlieren letztlich doch beide? Denn im schlimmsten Fall sorgen die negativen Schlagzeilen, die beide Unternehmen damit produzieren, für Kopfschütteln bei den Käufern und eine „Abstimmung mit den Füßen“. Muss man einen Konkurrenten und Partner weltweit mit Klagen überziehen anstatt sich stärker um eine gütliche Einigung zu bemühen? Muss dieser trotzig mit eigenen Klagen reagieren und das FRAND-Prinzip, welches eine Art Bypass für das unzeitgemäße Patentrecht darstellt, verletzen – jenes Prinzip, das zumindest ansatzweise als Kompromiss zwischen technischem Fortschritt und wirtschaftlichen Interessen auf der einen und der Verfügbarkeit auf breiter Ebene sowie dem Wettbewerb auf der anderen Seite fungiert? All dies könnte – und sollte – auf beide Unternehmen abstrahlen. Sollte, da den entscheidenden Personen so eventuell klar wird, dass das Patentrecht trotz oder gerade wegen all seiner Schwachstellen kein Werkzeug zum gegenseitigen behindern, ausbremsen und manipulieren ist. Ganz deutlich ist bereits nach wenigen Prozesstagen in San Jose geworden: Für den Sieg ist beiden Kontrahenten jedes Mittel recht. Denn anders kann man nicht erklären, dass man nun interne Details preisgibt, die vorher wenige kannten. Ob nun eher vertrauliche detaillierte Absatzzahlen oder die Abläufe im Rahmen der Schaffung eines neuen Produktes. Jegliche Geheimniskrämerei wurde über Bord geworfen, um dem anderen zu schaden.

Eine Reformation des weltweiten Patentrechts, wie sie unter anderem vom bekannten US-Richter Richard Posner gefordert wird, wird aber vermutlich ein hehrer Wunsch bleiben. Klar ist nur, dass schnell etwas geschehen muss. Erneut stellt sich jedoch die Frage, wie ein solches System aussehen soll. Sollen tatsächlich Radien und Ränder auf den Millimeter genau vermerkt und geschützt werden? Wird es entscheidend sein, ob die Keilform einen Winkel von 25 oder 26 Grad aufweist? Falls ja, werden Beinahekopien Tür und Tor geöffnet. Falls nicht, wird es auch in Zukunft Interpretationsspielräume geben. Es muss sich etwas ändern – und zwar weltweit.

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