Forscher widersprechen angeblicher Sprachgefährdung

Andreas Frischholz
91 Kommentare

Twitter und SMS schaden der deutschen Sprache und gefährden vor allem Jugendliche, erklärte jüngst Hans Zehetmair, Vorsitzender des deutschen Rechtschreibrats. Eben nicht, erwidern Sprachforscher, die durch den begrenzten Raum von Kurznachrichtendiensten eher eine Förderung der sprachlichen Kreativität vermuten.

Laut Zehetmair verkomme Deutsch zu einer „Recycling-Sprache“, bedingt durch Kurzmitteilungsdienste, bei denen vor allem Jugendliche zu einem sehr simplen Vokabular samt einer fehlerhaften Rechtschreibung neigen – es werde immer mehr verkürzt, vereinfacht und die Kreativität leide. Vor allem stört er sich an der „Fetzenliteratur“, die durch die bei Kurznachrichtendiensten typischen Abkürzungen das Sprachbild zerstückeln und Anglizismen, für die man genauso gut auch deutsche Wörter verwenden könnte. Soweit nichts neues, für solche Kritik ist Zehetmair bereits bekannt. In diesem Jahr erweitert er diese allerdings um die Forderung, „neue“ Medien wie iPad, Twitter und WhatsApp erst ab 14 Jahren freizugegeben, damit Kinder „gefestigte Deutsch-Kenntnisse“ entwickeln könnten.

Für völlig überzogen hält der Sprachforscher Peter Schlobinski die Sichtweise von Zehetmair, es gebe keine Belege für seine These. „Man kann nicht von der Tatsache, dass es SMS und Twitter gibt, einen Verfall der Schriftsprache konstruieren“, so Schlobinski. Es sei „normal und intelligent“, sich dem Kommunikationsmedium anzupassen. Die in SMS und auf Twitter üblichen Abkürzungen hält er für ein „optimiertes, angepasstes Verhalten“ der Jugendlichen, zumal diese in Blogs wieder in der klassischen Form schreiben würden.

Der Essener Sprachforscher Karl-Dieter Bünting sieht sogar neue Möglichkeiten in den Kurzmedien, weil diese durch den begrenzten Raum die Kreativität sogar fördern würden. Aufgrund der direkten, zwischenmenschlichen Kommunikation tendieren die Nutzer ohnehin zur Umgangssprache, die üblicherweise von der Hochsprache abweicht.

Holger Klatte vom Verein Deutsche Sprache unterstützt die Äußerungen von Zehetmair. Die deutsche Sprache werde zu wenig gepflegt und verfalle in bestimmten Bereichen. Twitter und Konsorten sieht er aber eher als Symptom für eine nachlassende Sprachqualität, das eigentliche Problem sei die zu geringe Bedeutung vom Schulfach Deutsch, das vor allem gegenüber Englisch und IT-Fächern zurückfalle.

Allerdings sind die selbsternannten Sprachschützer vom Verein Deutsche Sprache ebenso umstritten wie Zehetmair. Der Berliner Sprachwissenschaftler und Blogger Anatol Stefanowitsch beschreibt den Verein als „Sprachnörgler“, der tatsächlich wenig mit Sprachpflege zu tun habe, sondern vielmehr den normalen Sprachwandel kritisiere. Sein Urteil über die Äußerungen von Zehetmaier fällt er in diesem Jahr kurz, aber deftig: Er wisse nicht, wo er mit seiner Kritik ansetzen soll, bei „seinen falschen Prämissen, bei seiner Ignoranz gegenüber sozialen Medien, bei seiner Unkenntnis der wissenschaftlichen Faktenlage oder bei seiner Inkompetenz beim Themenkomplex „Sprache“ allgemein“.