MWC 2014

Dual-Boot für Windows Phone wird diskutiert

Sasan Abdi
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Im Herbst klang es wie ein absurdes Gerücht: Microsoft soll mit wichtigen Herstellern über die Möglichkeit diskutiert haben, Windows-Phone-Geräte mit Dual-Boot-Option samt Android auszuliefern – der Kunde hätte die Wahl. Auf dem MWC 2014 zeigt sich: So absurd ist das Gerücht nicht. Die Diskussion ist real.

Die ungewohnt offenherzigen Ankündigungen auf Microsofts Pressekonferenz zum MWC 2014, in Barcelona unter vorgehaltener Hand ausgetauschte Informationen und die Gerüchte um die besagten Gespräche legen den Schluss nahe, dass die Redmonder einen solchen Schritt tatsächlich durchspielen.

Microsofts Pressekonferenz auf dem MWC 2014
Microsofts Pressekonferenz auf dem MWC 2014

Auf dem MWC zeigte sich Microsoft erstaunlich offen: Der Konzern wolle in puncto Windows Phone grundsätzlich mit jedem ins Gespräch kommen, der Interesse an einer Zusammenarbeit habe. Dazu wurden die Hardware-Anforderungen und -Vorgaben nennenswert gesenkt. Und auch vom Ton und der Haltung her umarmte Microsoft merklich seine neuen und alten Partner sowie die Entwicklergemeinde. Es wurde deutlich: Windows Phone soll endlich kein ausschließliches Microsoft-Projekt mehr sein, sondern im Stile von Android eine breite Phalanx an möglichst diversen Partnern und Ansätzen versammeln, wobei die Lizenzgebühren mittelfristig keine Rolle mehr spielen sollten. An deren Stelle werden Vorgaben zur Nutzung von Microsoft-Diensten treten – ganz wie bei Android.

Auch Nokias auf dem MWC enthülltes Android-Engagement passt aus dieser Perspektive betrachtet gut zu einer Dual-Boot-Strategie, auch wenn sich Microsoft offiziell wenig erfreut über die reinen Android-Geräte zeigt. Und trotzdem kann in die Geräte ein erster Schritt hinein interpretiert werden, mit dem sich Microsoft – oder ein Microsoft-Unternehmen – dem Android-Lager annähert. Hat Microsoft Nokia am Ende also doch gewähren lassen und ist nicht eingeschritten? Der Konzern hätte trotz kartellrechtlicher Bestimmungen Mittel und Wege finden können, dem Treiben ein Ende zu setzen.

Nokia X-Familie mit Android ausprobiert

Auf der anderen Seite stehen die besagten Gerüchte, wonach Microsoft bereits im vergangenen Herbst mit HTC, Samsung und Huawei über Windows-Phone-Smartphones mit Android als zweitem Betriebssystem geredet haben soll – ein Schritt, der gut zur in Barcelona verbreiteten „alles geht“-Haltung passt.

Im Zuge der Gerüchte wurde verbreitet, dass die Zuständigen neben der Möglichkeit, beide Betriebssysteme separat auszuführen, sogar einen simultanen Betrieb erwägen würden, sodass Windows Phone und Android tatsächlich parallel laufen könnten. Eine solche Funktion brächte weitreichende Implikationen mit sich. Doch welche Vorteile hätte es, wenn Microsoft neben seinem eigenen auch das Betriebssystem des direkten Konkurrenten auf seinen Smartphones anbieten würde?

Der offensichtlichste Vorteil ist die so wichtige Installationsbasis: Windows Phone hat mittlerweile einen überaus soliden Entwicklungsstand, ist aber vergleichsweise spät in einen weitgehend aufgeteilten Markt gestartet. Aus diesem Grund tut sich Microsoft trotz umfassender Bemühungen schwer, den etablierten Plattformen einen nennenswerten Teil des Kuchens abzunehmen.

Die Installationsbasis, also die Anzahl der genutzten Windows-Phone-Geräte, ist deswegen so wichtig, weil sie der Beginn eines Teufelskreises ist: Eine zu geringe Verbreitung bedingt ein geringes Interesse bei den Drittherstellern – wie sind auf dem MWC Sätze wie „Windows Phone? Das benutzt doch keiner!“ zu vernehmen – und den Entwicklern, was wiederum eine geringe Diversität bei den Geräten und den Apps zur Folge hat. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Absatzzahlen und damit auf die Installationsbasis – ein Kreislauf, der für angeschlagene oder aber zu spät gestartete Akteure tatsächlich teuflisch sein kann.

Vor allem dieser Kreislauf macht eine Dual-Boot-Strategie für Microsoft theoretisch interessant. Wie beim Boxen, wo der angeschlagene Akteur sein Gegenüber umklammern muss, um nicht K.o. zu gehen, könnte Microsoft auch Android umarmen. Dabei würde ein Smartphone, das sowohl Windows Phone 8 als auch Android bietet, ein echtes Alleinstellungsmerkmal aufweisen, das wiederum dazu beitragen könnte, dass Geräte mit der Microsoft-Plattform plötzlich für neue, bisher unerreichbare Käufersegmente interessant werden.

Für die Dritthersteller könnte die Windows-Phone-8-Android-Option ein wichtiges Argument sein. Denn auch wenn Microsoft auf dem MWC neue Partner präsentieren konnte, fällt die Bereitstellung von dritten, nicht von Nokia produzierten Windows-Phone-Smartphones doch weiterhin übersichtlich aus. Ob sich dies durch die neuen Partnerschaften ändern wird, ist unklar – bisher haben die Beteiligten noch nicht über neue Geräte gesprochen. Mit einer Dual-Boot-Option könnte Microsoft den Drittherstellern die Argumente nehmen: Statt potentiell unterverkaufte Windows-Phone-Smartphones könnten diese Dual-Boot-Geräte anbieten, die auch, aber eben nicht ausschließlich über Windows Phone verfügen.

Das gleiche Argument würde auch gegenüber den Nutzern gelten. In dieser Hinsicht könnte Microsoft mit einem Dual-Boot-Smartphone diejenigen erreichen, die bisher nicht grundsätzlich abgeneigt sind, aber auf keinen Fall auf Android verzichten möchten. Außerdem könnte ein Windows-Phone-8-Android-Smartphone für die breite Masse ein einfaches aber schlagendes Marketing-Argument sein: Warum ein Betriebssystem wählen, wenn man auch zwei haben kann?

Trotzdem hat die Dual-Boot-Theorie beim Nutzer ihre Schwachstelle: sie bleibt unpraktikabel. Die Wahl wird einmal entschieden – und dann nicht wieder. Unterm Strich bleibt die praktische Umsetzung der Dual-Boot-Theorie damit auch zum MWC 2014 fraglich. Und nicht nur Microsoft und die Gerätehersteller müssten mitspielen, auch Google hätte ein Wörtchen mitzureden.

Microsofts oberster Kommunikationschef hat es zur Messe allerdings ebenfalls auf den Punkt gebracht, als er bekannt gab:

Wir erleben faszinierende Zeiten in der Industrie. [...] Wir sollten uns immer daran erinnern, das das, was wir dieses Jahr in Barcelona als Status quo ansehen, das Potential hat, in einem Jahr – rückblickend betrachtet – ganz anders auszusehen.

Frank X. Shaw, Microsofts Kommunikationschef

Je nach Verzweiflungsgrad von Microsoft und je nach Bereitschaft von Google ist also nicht ganz ausgeschlossen, dass wir noch in diesem Jahr mit einem Android-Windows-Phone-Hybriden konfrontiert werden. Nach allem, was wir wissen, wird die Diskussion intern geführt.

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