Löschen statt Sperren: Union & FDP ändern Kurs

Benjamin Beckmann
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Nicht lange ist es her, da verabschiedete die Große Koalition ein in vielen Fragen höchst umstrittenes Gesetz: Das sogenannte „Zugangserschwerungsgesetz“ wurde zum Ende der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebracht. Die jetzige Regierung, bestehend aus Union und FDP, stellt sich nun überraschenderweise dagegen.

Wie Spiegel Online berichtet, haben die Koalitionsparteien dem Bundespräsidenten Horst Köhler einen fünf Seiten umfassenden Brief zugesandt, in dem sie ihre Pläne bezüglich der Internetsperren schildern. Köhler selbst war es auch, dessen Unterschrift unter dem Gesetz bislang fehlte – zunächst wegen verfassungsrechtlicher Bedenken, dann ließ das Ende der Legislaturperiode das Vorhaben platzen. Als sich nach der Bundestagswahl ein schwarz-gelbes Bündnis formte, sahen sich CDU/CSU gezwungen, in puncto Zugangssperren der FDP entgegen zu kommen, da diese sich im Wahlkampf ebenso wie die Linkspartei, die Grünen und die Piratenpartei in der Opposition als Partei der Bürgerrechte profilierte und vehement gegen das geplante Gesetz zur Wehr setzte.

Das Bundespräsidialamt, die Behörde des Bundespräsidenten, wollte Klarheit über die Pläne der neuen Regierung und forderte diese auf, Stellung zu diesem Thema zu beziehen. Die Antwort ließ bis vor kurzem auf sich warten, nun liegt sie in Form des bereits erwähnten Schreibens vor. Dort heißt es: „Die gegenwärtige Bundesregierung beabsichtigt eine Gesetzesinitiative zur Löschung kinderpornografischer Inhalte im Internet.“

Bis das Gesetz angepasst oder ein neues verabschiedet wird, möchte man sich „auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes ausschließlich und intensiv für die Löschung derartiger Seiten einsetzen“. Gesperrt werden sollen diese jedoch weiterhin nicht. Union und FDP hatten sich in der Koalitionsvereinbarung nämlich darauf geeinigt, die Sperren trotz geschaffener Rahmenbedingungen zunächst ein Jahr lang nicht anzuwenden.

Nachdem die FDP laut Meinungsumfragen starke Einbußen in der Wählergunst hinnehmen musste, könnte sie dies nun als ein realisiertes unter vielen geäußerten Versprechen für sich reklamieren. Aber auch die anderen ehemaligen Oppositionsparteien sowie die Piratenpartei und verschiedene Bürgerrechtsbewegungen verkaufen diese Wendung in Sachen Internetsperren als Früchte ihrer eigenen Arbeit. Vielleicht zurecht: Mit über 134.000 digitalen Unterschriften auf der Petitionsplattform des Bundestags im Rücken haben sie in den letzten Monaten starken Druck sowohl auf die Große Koalition als auch auf die neue schwarz-gelbe Regierung ausgeübt.

Ob dies gleichbedeutend ist mit der endgültigen Beerdigung des ursprünglichen Plans, deutsche Internetprovider durch das BKA täglich mit sogenannten Sperrlisten versorgen zu lassen, um dort verzeichnete Internetseiten mit einem virtuellen Stoppschild zu versehen, ist allerdings fraglich. Gerade in der Union scheint dieser mit der FDP geschlossene Kompromiss nicht in allen Teilen der Partei Anklang zu finden. So äußerte der für Medien zuständige CDU-Politiker Thomas Jarzombek laut eines Berichts von Heise online auf einer Veranstaltung des IT-Branchenverbands Bitkom viele lobende Worte über das Gesetz in seiner jetzigen – wenn auch nicht angewandten – Form. Per Twitter ließ Jarzombek allerdings mittlerweile verlauten, dass er sich an solche Äußerungen nicht erinnern könne. Zu den Netzsperren ist das letzte Wort folglich noch nicht gesprochen.