Das nenne ich mal einen dankbaren Thread für th30, smacked2, extasy und so weiter. Die Frage ist ja nicht ganz neu, weil es zumindest ähnlich gelagerte Threads gibt. Trotzdem lohnt es sich, darüber nachzudenken. Ich versuche einmal, den Eingangsbeitrag der Reihe nach abzuarbeiten.
Wirtschaft und Politik standen schon immer im Mittelpunkt des Interesses. Da liegt daran, dass politische und wirtschaftliche Entscheidungen einen unmittelbaren Einfluss auf unser Leben haben, sei es durch Gesetze, Streiks, Tarifverträge oder sonst etwas. Das Jammern hat dabei Tradition, weil die unersättlichen Menschen nie ganz zufrieden sind. Außerdem läuft es in den seltensten Fällen rund (Ausnahme: Wirtschaftsboom nach dem Zweiten Weltkrieg), sodass den Kritikern nie der Stoff ausgeht.
Darüber hinaus ist in der Bevölkerung das Bewusstsein für Missstände aller Art gewachsen: Die Umweltverschmutzung war in manchen deutschen Flüssen z. B. vor Jahren deutlich schlimmer als heute. Und auch die Angewohnheit, seinen Müll auf die Strafe zu werfen statt in den Abfalleimer, musste vielen Menschen erst antrainiert werden. Wo früher wilde Müllhalden im Wald an der Tagesordnung waren, regt man sich heute schon über ein Kaugummi auf, das achtlos weggeworfen wird.
Mit dem Wohlstand verhält es sich ähnlich. Die Leute sind mit der Zeit immer anspruchsvoller geworden. Das erlebt man auch hier im Forum immer wieder, wenn es um die Themen Einkommen und Armut geht. Wenn man sich das Leben in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg anschaut, dann war damals fast alles schlechter als heute: Man arbeitete deutlich länger, kaum jemand hatte während der Fußball-WM 1954 einen eigenen Fernseher. Autos waren für die Mehrheit der Leute nicht erschwinglich. Und – ganz wichtig – das preisbereinigte (!) Nettoeinkommen lag auch noch in den 60er-Jahrren nur etwa auf dem heutigen Niveau von Hartz-IV (inkl. Wohngeld). Aber die Leute waren damals mit ihrer wirtschaftlichen Situation sehr zufrieden, auch deshalb, weil es noch stetig bergauf ging.
Mittlerweile haben wir längst keine Vollbeschäftigung mehr, das ist ein berechtigter Grund für Kritik. Und wir haben im gesellschaftlichen Umfeld einige Verwerfungen, etwa den Anstieg der Gewalttaten unter Jugendlichen, um nur mal ein Beispiel zu geben. Andere wiederum kritisieren Bewegungsmangel, Übergewicht und fehlende Fitness in der Bevölkerung. Alles berechtigt. Aber wir werden heute trotzdem immer älter. So schlecht kann es uns daher nicht gehen. Wo früher einmal in der Woche ein Braten auf den Tisch kam, weil Fleisch teuer war, sieht die Sache heute sehr viel entspannter aus.
Ich lasse mal die (nicht sehr kleine) Minderheit der Leute außen vor, die vergleichsweise arm sind (manche Studenten, Arbeitslose, Geringverdiener, manche Rentner usw.) und schaue auf die Straße, wo ich unzählige Autos sehe. Alternativ kann man sich zum Ferienbeginn zum Flughafen begeben und schauen, wie viele Leute sich einen (Auslands-)Urlaub leisten können. So gut ging es uns vor einigen Jahrzehnten längst nicht.
Fazit: Es stimmt, wir stöhnen auf hohem Niveau. Das wird umso deutlicher, wenn man sich die Zeit nimmt für einen Blick in das außereuropäische Ausland (Asien, Afrika usw.).
============================
Zum Thema der Amerikanisierung: Es ist richtig, dass wir im Westen, wenn auch mit teilweise größeren Abstrichen, so etwas wie einen kulturellen Konsens haben. Das unterscheidet uns beispielsweise vom islamisch geprägten oder auch vom asiatischen Teil dieser Welt, wo die Uhren mitunter völlig anders ticken.
Auf der einen Seite hat das natürlich Vorteile. So wird fast überall im Westen als erste Fremdsprache Englisch gelehrt, wodurch sich die Kommunikation völkerübergreifend wesentlich vereinfacht. Das erleichtert den Auslandsurlaub und die geschäftlichen Beziehungen gleichermaßen. – Durch den Konsum amerikanischer Kinofilme wird natürlich automatisch ein bestimmtes Lebensgefühl vermittelt, das durchaus Zugwirkung haben kann. Im Bereich der Musik (Rolling Stones, Beatles) war und ist das nicht anders.
Nun kann man sich ebenso gut Filme aus Bollywood anschauen oder Musik aus anderen Kulturkreisen hören. Aber oft trifft das anscheinend nicht unseren Geschmack. Zweifelsfrei sind gerade auch im kulturellen Bereich stets wirtschaftliche Interessen von Bedeutung. So produziert niemand einen Spielfilm für 50 Mio. Euro, der nicht für ein größeres Zielpublikum geeignet ist. Man kann das als verwerflich bezeichnen. Aber nüchtern betrachtet geht es gar nicht anders. Schließlich müssen die Produktionskosten wieder hereingeholt werden. Sonst gibt es eben gar keine Filme.
Vor 60 Jahren hatten wir zwar noch keinen so starken amerikanischen Einfluss. Aber das lag auch daran, dass Deutschland mit seiner eigenen Nabelschau beschäftigt war. Deshalb waren auch andere Länder bzw. Regionen kaum von Interesse.
Wenn heute über die Amerikanisierung geklagt wird, dann wohl auch deshalb, weil es uns in Deutschland kaum gelungen ist, eigenständige Bereiche aufzubauen und am Leben zu erhalten. So hinkt der deutsche Film meilenweit hinter Hollywood zurück. Und auch im Bereich der Musik haben wir vergleichsweise wenig zu bieten. Der Rock ‚n‘ Roll gehört nun einmal den Engländern und den Amerikanern. Dagegen können wir nicht wirklich anstinken.
============================
Reglementierung der Wirtschaft: Natürlich gibt es Regeln. Gäbe es sie nicht, dann hätten wir hier vielleicht eine freie Marktwirtschaft. Das wäre das Ende der Menschlichkeit. Aber wir haben die Berufsfreiheit, das ist schon mal etwas. Darüber hinaus gibt es sicher den Drang zu übereilter Bürokratie. Man braucht nur mal versuchen, ein Kernkraftwerk in Deutschland zu bauen. Das dauerte in der Vergangenheit fast immer eine Ewigkeit. Und die angedrohte Klagewelle gegen den Ausbau den Frankfurter Flughafens zeigt ebenso deutlich, dass wirtschaftliche Entfaltung nicht immer so einfach ist. Diese Hürden mögen berechtigt sein, aber sie machen einem das Leben (je nach Standpunkt) sicher nicht einfacher.
============================
Zur Kontrolle: Nun ja, wir werden bzw. unser Verhalten wird immerhin gut studiert. Ich denke da z. B. an die Analyse des Kaufverhaltens. Mittlerweile weiß man genau, wie die Menschen einkaufen und wo man welche Produkte in einer bestimmten Art und Weise positionieren muss, um deren Verkauf anzukurbeln. Ob das schlimm ist, mag jeder selbst entscheiden.
Die Kontrolle kann einem allerdings auch über den Kopf wachsen, etwa wenn überall in der Öffentlichkeit Kameras stehen oder wenn unsere E-Mails vom US-Geheimdienst gefiltert werden.
Eine „zentrale“ Steuerung gibt es allerdings nur bei den Verschwörungstheoretikern. Ich bin meilenweit davon entfernt, so etwas anzuerkennen. Richtig ist allerdings, dass es viele ähnlich gerichtete Interessen gibt, die gut miteinander harmonieren. Um ein Beispiel zu konstruieren: Wenn Walt Disney einen Kinofilm produziert und vermarktet, dann ist das auch ein Thema für Coca Cola, weil Coke in vielen Kinos angeboten wird. Je besser der Film läuft und je mehr Zuschauer den Film sehen, desto mehr Hoffnungen kann sich Coca Cola auf Umsatzsteigerungen machen. Und auch die McDonald’s-Filiale in unmittelbarer Nähe des Kinos sieht es gerne, wenn das Kino gut besucht wird. Hier haben wir also drei Gruppen mit ähnlichen Interessen, aber immer noch keine Steuerung, selbst wenn es einem so vorkommen mag, etwa dann, wenn Marketingmaßnahmen aufeinander abgestimmt werden.
Du könntest, wenn Du denn unbedingt ins Kino gehen willst, schon zu Hause essen oder ganz altbacken Dein Butterbrot einpacken und vor dem Kino verzehren. Wenn Du das ablehnst, kannst Du das als Bequemlichkeit oder als unbequem bezeichnen – oder als Amerikanisierung. Das Schöne ist ja immer noch, dass man trotz allem die freie Wahl hat.
============================
Bei der Frage, wohin unsere Gesellschaft treibt, stehen für mich eher soziale/gesellschaftliche Aspekte im Vordergrund. Ich habe das mit dem Thread zum Thema Unterschicht bereits angesprochen. Da gibt es die einen, die primär den Blick auf die Hartz-IV-Sätze werfen oder die „Arbeit für alle“ fordern bzw. den Umsturz des Systems, bevor man sich den Problemen annimmt.
Dabei kann es doch nicht so schwierig sein, die Erziehung und Bildung der Kinder auf eine solide Grundlage zu stellen und darauf hinzuwirken, dass Eltern das Kindergeld nicht versaufen. Mir bereiten ganz andere Dinge Sorgen. Etwa die mangelhafte Integrationspolitik und der Vormarsch des islamistischen Fundamentalismus.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,524486,00.html
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,524296,00.html