Bundesgerichtshof zählt Internet zur Lebensgrundlage

Andreas Frischholz
65 Kommentare

Das Internet hat eine immer größere Bedeutung im Alltag und ist in vielen Bereichen kaum noch wegzudenken. So sieht es auch der Bundesgerichtshof (BGH), das dem Kunden eines Telekommunikationsunternehmens Schadensersatz für den mehrwöchigen Ausfall seines DSL-Anschlusses anerkannt hat.

In der Urteilsbegründung (III ZR 98/12) haben die BGH-Richter das Internet zu einem Wirtschaftsgut, bei dem sich „die Funktionsstörung typischerweise als solche auf die materiale [sic] Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt“. Das galt bislang nur für das Auto und die Wohnung. In der Praxis bedeutet das Urteil, dass Nutzer bei einem Internet- oder Telefonausfall einen Anspruch auf Ersatz haben, unabhängig davon, ob ihnen durch den Ausfall ein Schaden entsteht – vergleichbar mit einem Leihwagen, wenn das Auto in der Werkstatt steht.

Dementsprechend entfällt aber auch die Ersatzpflicht, wenn dem Geschädigten ein gleichwertiger Ersatz zur Verfügung steht, allerdings muss ihm der anfallende Mehraufwand ersetzt werden. In dem vor dem Bundesgerichtshof verhandelten Fall konnte der Kläger im maßgeblichen Zeitraum ein Mobiltelefon nutzen, weswegen er dafür nur die zusätzlichen Kosten ersetzt bekommt. Dasselbe gilt, wenn ein Betroffener über einen mobilen Internetzugang verfügt. Wie hoch der Schadensersatzanspruch für den nicht vorhandenen DSL-Anschluss ist, ließen die Richter offen.

Allzu viel ist es nicht, die Richter orientieren sich in ihrer Empfehlung grob an „marktüblichen, durchschnittlichen Kosten“, die für die Bereitstellung eines DSL-Anschlusses in dem betreffenden Zeitraum angefallen wären. Damit wurden die Forderungen des Klägers zurechtgestutzt, der ursprünglich eine Schadensersatz in Höhe von 50 Euro für jeden Tag verlangt hat, an dem ihm der Anschluss nicht zur Verfügung stand.

Interessant ist indes die Begründung, mit der die Richter das Internet zu einem so bedeutenden Wirtschaftsgut erheben. Demnach ist das Internet ein Medium, das in der Lebensgestaltung der Bürger einen immer größeren Platz einnimmt. Im wirtschaftlichen Bereich wird es zum Abschluss von Verträgen, zur Abwicklung von Rechtsgeschäften und zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten genutzt. Im privaten Bereich ersetzt das Internet als Multiformat-Medium mit seiner leichten Verfügbarkeit zunehmend die klassischen Medien – zum Beispiel „Lexika, Zeitschriften oder Fernsehen“. Darüber hinaus ermöglicht es den weltweiten Austausch zwischen Nutzern, beispielsweise über E-Mails, Foren, Blogs und soziale Netzwerke. Ein Ausfall mache sich dementsprechend deutlich im Alltag bemerkbar.

Politische Bedeutung

Das Urteil reiht sich in die Reihe der Entscheidungen der höchsten deutschen Gerichte ein, die dem digitalen Lebensraum einen immer höheren Stellenwert einräumen. So hat etwa das Bundesverfassungsgericht bei der Verhandlung über die Online-Durchsuchung im Jahr 2008 das IT-Grundrecht (Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme) geschaffen, das Betroffene vor dem Zugriff auf Computer schützt, wenn dadurch Persönlichkeitsrechte verletzt werden.

Relevant ist dieses Recht im Hinblick auf den Staatstrojaner. Einer der Kritikpunkte an der bis 2011 eingesetzten Schadsoftware war, dass aufgrund technischer Unzulänglichkeiten der Schutz der Persönlichkeitsrechte bei den überwachten Systemen nicht gewährleistet werden kann. Mit der aktuellen Entscheidung dürfte der Bundesgerichtshof die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten auf den digitalen Lebensraum weiter eingeschränkt haben. Gesetzesvorhaben wie das Two-Strikes-Modell, das eine Sperrung des Internetanschlusses bei mehrmaligen Urheberrechtsverletzungen vorsieht, erscheinen im Kontext der aktuellen Entscheidung nicht durchsetzbar.