Quo Vadis 2015: „Innovation? Das ist die ultimative Frage!“

Sasan Abdi
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Quo Vadis 2015: „Innovation? Das ist die ultimative Frage!“
Bild: Games Week

Unter der Überschrift „Quo Vadis Games Industry?“ diskutierten am Nachmittag echte Veteranen auf der Entwicklerkonferenz Quo Vadis in Berlin, wie sich die Zukunft der gesamten Branche gestalten könnte. Der Titel des Panels war clever gewählt, schließlich implizierte er: Hier wird in der Essenz das verhandelt, was nicht nur die gesamte Konferenz sondern gleich die gesamte Branche beschäftigt.

Gleichsam gelungen schien die Auswahl der Gäste. Zum Spiele-Journalisten Dean Takahashi gesellten sich Microsoft-Veteran Ed Fries, Googles Chief Game Designer Noah Falstein und der Gründer des Mobile-Games-Giganten Wooga, Jens Begemann. Abgerundet wurde der illustre Kreis von Glen Schofield, der als Chef von Sledgehammer Games, dem Entwickler des „Call of Duty“-Titels Advanced Warfare, von den Nöten einer „Triple A“-Produktion berichten konnte.

An kontroversen Punkten hätte es der Diskussionsrunde eigentlich nicht gemangelt. Zu gerne hätte man als geneigter Zuhörer dabei zugesehen, wie ein Branchenschwergewicht wie Ed Fries das „Casual Gaming“ der Wooga-Produkte oder den seichten Blockbuster-Eifer der „Call of Duty“-Reihe auf's Korn nimmt. Man hätte gerne gehört, was Google-Mann Noah Falstein als Liebhaber neuer Ansätze und angedeuteter Skeptiker der Konsolen wirklich von den etablierten Plattformen hält. Und schön wäre auch gewesen, wenn CoD-Entwickler Schofield einfach mal deutlich gesagt hätte, dass Spielen auf Smartphones ihm bisher relativ wurscht ist, weil die Marke auch mit der zigsten Fortsetzung noch immer sehr gute Umsätze auf den klassischen Plattformen einfährt.

Doch von Kontroverse keine Spur. Schon bei einem auf den ersten Blick relativ harmlosen Thema, den Arbeitsbedingungen in der Spielebranche, übten sich die Panel-Teilnehmer vielmehr in ausgesuchter Einstimmigkeit.

Ausbeuterische Arbeitsverhältnisse? Unflexible Bürozeiten? Befristete Verträge, bei denen nicht selten nach Entwicklungsabschluss ein Umzug oder gar die Arbeitslosigkeit steht? Und nicht zuletzt: Diversität und die Gleichbehandlung der Geschlechter (Stichwort „Gamergate“)? Alles kein Thema.

Stattdessen verlegten sich die Diskutanten auf Selbstbeweihräucherung. Die Spielebranche vibriere vor Kreativität und biete entgegen aller Behauptung zahlreiche gute und sichere Jobs, so der Tenor. „Wir suchen immerzu, wir wollen einstellen“, brüstete sich CoD-Entwickler Schofield. Und Microsoft-Mann Fries assistierte, dass Interessierte nur Leidenschaft und Beharrlichkeit mitbringen müssten, um in der Branche zu landen.

Wooga-CEO Jens Begemann
Wooga-CEO Jens Begemann (Bild: Wooga)

Interessanter waren da schon die Einwürfe von Falstein und Wooga-Gründer Begemann. Während Falstein Wert darauf legte, dass gute Spieleentwickler durchaus gute Programmierer sein sollten, betonte Begemann, dass dies heute gar nicht mehr zwingend vorausgesetzt sei. Durch Angebote wie die Unity Engine und Entwicklungsumgebungen wie Game Maker sei der Einstieg in die Branche heute wesentlich einfacher. „Voraussetzung sind zunächst mal gute Ideen“, so Begemann.

Call of Duty bleibt „business as usual“

Gute Ideen“, das war dann ein Stichwort, mit dem man Schofield hätte löchern können. Schließlich lieferte sein Studio mit Advanced Warfare einen Titel ab, der durchgängig den Genrestandards treu blieb. Und der Markterfolg gibt ihm Recht. Denn auch wenn sich Call of Duty zuletzt etwas schlechter verkaufte: Die Marke ist und bleibt ein Verkaufsschlager, der es bei den Umsätzen locker mit Hollywood-Produktionen aufnehmen kann. Entsprechend selbstbewusst gab sich Schofield: „Wir produzieren interaktive Blockbuster-Filme“. Blockbuster, die teilweise in einer Woche so viel einspielen würden, wie ihre Pendants im Kino in einer gesamten Spielzeit.

Sledgehammer-Gründer Glen Schofield
Sledgehammer-Gründer Glen Schofield (Bild: Sledgehammer Games)

Gut möglich, dass es Moderator Takahashi nach so viel stolzer Brust in den Fingerspitzen juckte. Die anschließende, insbesondere an Schofield gerichtete Frage nach der Innovationsfähigkeit der Spiele-Entwickler bedeutete jedenfalls den einzigen Moment in der Diskussion, in dem ein Hauch von Kontroverse durch den großen Saal des Kino International wehte. Schofield reagierte eindeutig uneindeutig: „Innovation? Das ist die ultimative Frage!“ Auf dieses Ausweichen folgte der Hinweis, Advanced Warfare habe sich deutlich vom bisherigen Call of Duty abgesetzt, so dass es als Innovation für sich stehe.

Der Google-Mann als VR-Enthusiast

Interessanter klangen da die Vorstellungen von Falstein. In der gesamten Stunde wurde deutlich, dass Googles Chief Game Designer größte Stücke auf Virtual Reality und Augmented Reality hält. „Ich habe mich schon immer mit Visionen wie dem Holodeck aus Star Trek beschäftigt“, fügte Falstein als Begründung an. Diese Fantasie könne in nicht allzu ferner Zukunft Realität werden.

Noah Falstein
Noah Falstein (Bild: Wikipedia/Georgina Goodlander, CC BY-SA 2.0)

Eine solche Realität, so Falstein, werde das Spielen komplett verändern. Statt eines Charakters werde der Spieler sich selbst durch Umgebungen bewegen, und zwar mit den üblichen Entscheidungsmöglichkeiten. Wer schnell sei, könne in einem Spiel seinen Häschern etwa mit Geschwindigkeit entgehen. Weniger athletische Spieler könnten stattdessen auf ein langsames, leises Vorgehen setzen. Der Spieler ist in dieser Spielart der Spiele-Zukunft also nicht mehr externer Steuermann – er wird zum Bestandteil des Spiels.

Zwar fielen auch die enthusiastischen Vorstellungen von Falstein nicht kontrovers, dafür aber immerhin visionär aus. Ähnliches gilt für den Auftritt von Wooga-Gründer Begemann, der sich als Mobile-Vertreter eher zurückhielt, inhaltlich aber mitunter interessante Einblicke in das harte Geschäft gab. „Der Wettbewerb ist verrückt“, sagte Begemann. Deshalb würde Wooga nur die Produkte veröffentlichen, die wirklich „super gut“ seien.

Wenn du es nicht in die Top-10 in den App Stores schaffst, hast du verloren“, so Begemann. Ziel sei aber nicht nur, möglichst viele Spieler zu erreichen, sondern die Spielerschaft immer wieder zum Spielen zu bringen. „Man hat immer wieder kurze Slots, in denen man Spielen kann, zum Beispiel, wenn man auf den Bus wartet.“ Darin würde sich mobile Gaming vom Spielen zuhause unterscheiden: Während eine „Session“ unterwegs höchstens ein paar Minuten dauern darf, kommt man vor dem heimischen PC oder der Konsole nicht unter 20 Minuten weg.

Fazit: Es ist genug Kuchen für alle da

Trotz dieser interessanten Einsichten: Unterm Strich gab sich das Panel überraschend selbstzufrieden. Von Selbstkritik, von Streit, von den Folgen der offensichlich in vielen Bereichen harten Konkurrenz war keine Rede.

Bezeichnend, dass sich am Ende alle Teilnehmer sogar darin einig waren, dass sämtliche Arten von Spielen und Plattformen friedlich koexistieren könnten. Selbst bei den klassischen Konsolen, denen mit Blick auf die vielen Entwicklungen im VR-Bereich, beim Streaming und Cloud-Gaming seit geraumer Zeit keine lange Zukunft mehr vorausgesagt wird, gaben sich alle Vertreter versöhnlich. „Wir werden noch lange für Konsolen entwickeln“, fasste Sledgehammer-Gründer Schofield die zumindest vordergründige Einhelligkeit der Teilnehmer zusammen.

Auch wenn es das friedliche Panel vermitteln wollte: Es darf bezweifelt werden, dass der Kuchen so groß ist.

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