openSUSE: Linux-Distribution auf Identitätssuche

Ferdinand Thommes
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openSUSE: Linux-Distribution auf Identitätssuche
Bild: Mr. Roboto. | CC BY 2.0

Die Linux-Distribution openSUSE steckt in der Identitätskrise. Sie hat sich seit Jahren an den Anwendern vorbei entwickelt. Das drückt sich in einer mittleren Marktposition aus, die nicht Fisch und nicht Fleisch ist. Zu wenig aktuell für die Rolling-Release-Klientel, zu kurzer Support für Nutzer mit Stabilitätsanspruch.

Die Zielgruppe der Linux-Anwender hat sich in den letzten Jahren verändert. Linux ist nicht nur bei Servern, sondern auch auf dem Desktop angekommen. Zudem stellen sich Cloud-Computing und Containerisierung immer mehr als Linux-Kernkompetenzen heraus. Die Ansprüche der Anwender sind wesentlich spezieller und breiter gefächert als vor zehn Jahren. Es gibt für fast jeden Einsatzzweck eine eigene Distribution. Darauf müssen die großen Distributoren reagieren, um weiterhin ihr Publikum zu finden.

Dabei ist openSUSE nicht die einzige Distribution, die auf Identitätssuche ist. Auch Fedora, dass eigentlich als bleeding edge gilt, nahm 2014 eine Kurskorrektur vor, indem die Distribution in die drei Sparten Workstation, Server und Cloud unterteilt wurde, um den Anwendern gezielter gerecht werden zu können. Auch Debian scheint derzeit nicht wirklich von seiner Identität überzeugt. Das zeigte die viel Porzellan zerdeppernde Entscheidungsphase pro oder kontra Systemd. Selbst nachdem sich das Projekt für die von dem meisten Distributionen bereits aufgegriffene neue Technik entschieden hat, scheint das Projekt noch angeschlagen. Es wird interessant sein zu sehen, wie das auf der im August in Heidelberg stattfindenden Entwicklerkonferenz DebConf15 thematisiert wird.

Bereits seit längerem versuchen die Entwickler bei openSUSE , die Distribution wieder interessanter zu machen. 2010 fand eine ausgedehnte Suche nach einer neuen Strategie statt, die mit einer Nutzerbefragung einherging. Es ging dabei nicht nur um die Identität des Projekts intern, sondern – mindestens genauso wichtig – darum, der Community einen klaren Kurs aufzuzeigen. Am Ende musste dann Community-Manager Jos Poortvliet eingestehen, dass die Strategiediskussion die Community eher auf der Strecke gelassen hatte.

Eine konkrete Maßnahme zur Neupositionierung war 2014 die Beförderung von Tumbleweed zu einer Rolling-Release-Distribution, die mehr in den Fokus der Anwender gerückt wurde als bisher. Dieser Schritt war ein großer Erfolg, da er viele neue Anwender fand, aber gleichzeitig auch ein Rückschritt, da große Teile der Community Tumbleweed nun spannender finden als das eigentliche openSUSE-Release.

The reality is that Tumbleweed has captured the excitement of a huge portion of our current contributing community, and grown it greatly, and that's great, but it does have the side effect of leaving less enthusiasm and less people to work on the Regular Release.

Das Release von openSUSE 13.02, das im Sommer 2014 erscheinen sollte, wurde um vier Monate verschoben, um dringend nötige Anpassungen an der Infrastruktur vorzunehmen, die aufgrund der in den vorangegangenen Jahren stark gestiegenen Paketzahl nötig wurden. Das betraf den openSUSE Build Service (OBS) genauso wie die Abteilung für Quality Assurance (QA), das Release-Management und weitere Bereiche.

Nun geht es darum, openSUSE selbst für eine möglichst große Anwendergruppe wieder interessanter zu machen. Die Überlegungen dazu gehen in verschiedene Richtungen. Ein richtungsweisender Fingerzeig kam im April von der Distributionsmutter SUSE, die verkündete, dass ein signifikanter Teil der Quellen für SUSE Linux Enterprise (SLE) künftig auch im OSB zu finden sein würden und auch alle Aktualisierungen für SUSE dorthin zurückportiert werden würden.

Die rund 1.000 Pakete kann openSUSE als solide und verlässliche Basis nutzen, die die Entwickler dann mit weiteren Paketen aus der Codebasis Factory ergänzen, um auf den derzeitigen Stand von rund 6.000 Paketen zu kommen. Releasemanager Stephan Kulow griff den Vorschlag aus der SUSE-Chefetage auf, die einen guten Zeitpunkt für die Adaption mit SP1 für SLES 12 Ende des Jahres sieht. Derzeitiger Arbeitstitel ist openSUSE 42. Eines der Probleme, die zu bewältigen sind, ist der Altersunterschied der SLES-Basis zu den aktuellen Factory-Paketen. Sind die Probleme lösbar, hätte openSUSE mit 42 einen neuen Start mit einer stabilen Basis und mit Tumbleweed einen Rolling-Release-Zweig, der Anwender zufriedenstellt, die gerne experimentieren.

Der KDE-Entwickler und ehemalige SUSE-Angestellte Agustin Benito Bethencourt hat eher entgegengesetzte Vorschläge. Aufgrund von Diskussionen auf Konferenzen und Mailinglisten sieht er den Sysadmin als typischen openSUSE-Anwender und möchte ihm eine Distribution nach dem Wasserfallmodell in der Machart von CoreOS maßschneidern. Dabei soll nach Bethencourts Vision das Bestehende „pulverisiert“ werden, um Raum für Neues zu schaffen.