Schutz der Kleinen: Kinder werden via Tracking-Apps überwacht

Daniel Kurbjuhn
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Schutz der Kleinen: Kinder werden via Tracking-Apps überwacht
Bild: Robert Agthe | CC BY 2.0

„Denkt nur mal einer an die Kinder!“ – unter diesem Motto zeigt sich ein neuer Trend, bei dem vor allem auch Kinder mit Hilfe von Tracking-Apps und anderen Diensten überwacht und kontrolliert werden. Doch während sich manche Eltern freuen, sehen nicht nur Datenschützer diese Entwicklung sehr kritisch.

Viele technische Möglichkeiten

Die Möglichkeiten der Eltern, um ihre Kinder an die elektronische Leine zu legen, sind vielseitig und längst nicht alle Optionen stammen aus den USA. So hat Ralf Kiene aus Saarbrücken bereits 2010 die iNanny entwickelt und nutzt damit die GPS-Funktion, um Menschen und Bewegungsabläufe zu orten. Die Berliner Firma MYFAIRDEAL Onlinestores GmbH hat mit „Wo ist Lilly“ eine Tracking-Uhr für rund 200 Euro im Programm; der ursprüngliche Plan sah das Wiederfinden der geliebten Haustiere vor.

Der US-Anbieter Qustodio geht noch einen Schritt weiter und bietet den einfachsten „Weg Ihre Kinder online zu kontrollieren“. Gemeint ist die Überwachung von Smartphone und Computer sowie die Analyse des Nutzungsverhalten – und zwar ohne dass die Kinder dies zur Kenntnis nehmen können. Andere Dienste sperren das Handy, wenn der elterliche Anruf ignoriert wird oder erlauben das Mitlesen von Textnachrichten sowie die Überwachung der Kontakte. Auch lassen sich Blacklisten mit nicht geduldeten Wörtern erstellen, sodass entsprechende Warnungen an die Eltern abgesetzt werden.

Vielfältige Kritik

Der Markt für die Überwachungslösungen wächst stetig und dies trotzt zunehmender Kritik und Skandalen wie der NSA-Affäre. So gibt Kiene an, mittlerweile 50.000 elektronische Nannies verkauft zu haben. Dies verwundert den Entwickler auch nicht, denn nicht nur Kinder, sondern auch Demenzkranke und andere Familienmitglieder lassen sich so überwachen. Darüber hinaus würden Eltern, die ihren Kindern hinterherschnüffeln, auch ohne die iNanny und Co. einen Weg zur Überwachung finden. Es gehe im Wesentlichen aber nicht um die Überwachung der Kinder, sondern um deren Schutz.

Kritischer sieht dies Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe und ehemaliger Polizeidirektor. Dabei stellt Becker bereits den verfolgten Zweck in Frage: Zwar lassen sich Kinder oder Demenzkranke in einer Notlage schneller finden, doch bei Gefahren durch Sexualtäter oder andere Übergriffe hilft die Tracking-App auch nicht. Sehr häufig kommen die sexuellen Übergriffe zudem aus dem unmittelbaren Nahbereich der Kinder.

Darüber hinaus zieht Becker aber auch die Persönlichkeitsrechte der Kinder gefährdet und stuft eine solche Überwachung weiterhin als schlecht für die Entwicklung der Kinder ein. „Ein Kind, das ständig überwacht wird, muss denken, dass man ihm nicht vertraut und ihm nichts zutraut. Wie soll es so ein Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen bilden?

Auch kommt der Aspekt des Datenschutz hinzu, denn mit den neuen „Schutzmöglichkeiten“ der Kinder wird auch ein Überwachungsnetz geschaffen, an das „sich alle Beteiligten gewöhnen“, so Klaus Globig, stellvertretende Landesdatenschutzbeauftragte aus Rheinland-Pfalz. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, ob die erhobenen Daten vor Missbrauchsmöglichkeiten geschützt sind und wie die Unternehmen mit den Daten verfahren.

Wer nutzt es?

Die eigentliche Frage ist allerdings: Wer nutzt die technischen Möglichkeiten? Wird bei unterschiedlichen Eltern nachgefragt, so ist der Tenor eindeutig: Den Kindern muss vertraut werden und für deren Entwicklung sei es auch wichtig, dass sie Grenzen überschreiten können. Ein beispielhafter Blick in die Rezensionen von Wo ist Lilly zeigt jedoch eine durchweg positive Bewertung von Eltern, die ihre Kinder an die elektronische Leine gelegt haben.

Für Becker verschiebt sich durch den Einsatz der neuen Möglichkeiten lediglich die Verantwortung. Statt die Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, werden diese kontrolliert und das Gewissen durch Tracking-Apps und Co. beruhigt. Dies sei ein falscher Trend, denn Eltern sollten auch ohne solche Hilfsmittel in der Lage sein, zu merken, wenn bei ihrem Kind etwas nicht in geordneten Bahnen verläuft.