Expeditions: Viking im Test: Endlich mal kein Fantasy-Schrott!

Sasan Abdi
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Expeditions: Viking im Test: Endlich mal kein Fantasy-Schrott!

tl;dr: Expeditions: Viking überzeugt dank einer gelungenen Mischung aus politischen Elementen und den überwiegenden RPG-Abschnitten mit rundenbasierten Kämpfen. Bei der Technik müssen sich die Entwickler allerdings einige Kritik gefallen lassen.

Einleitung

Wikinger sind die neuen Zombies! Ob in Serien, Filmen oder Videospielen: Die Nordmänner haben Konjunktur. Das liegt wohl am – historisch eher abwegigen – Image des edlen Wilden, der stets brutal aber doch irgendwie ehrenvoll in die Schlacht zog. Gepaart mit einer Priese Valhalla-Mystizismus ergibt sich so die ideale Grundlage für allerlei Inhalte.

Expeditions: Viking ist auf dem PC das neueste Projekt dieser Art. Mit dem Nachfolger des Kickstarter-finanzierten Expeditions: Conquistador versuchen die Indie-Entwickler des dänischen Logic Studios, die ideale Mischung aus Rollen- und Strategiespiel zu liefern.

Spoiler-Warnung: Da ein Spieletest nicht immer gänzlich ohne die Wiedergabe einzelner wichtiger Handlungselemente der Geschichte möglich ist, bitten wir all jene, die vorab nichts über die Handlung des Spiels erfahren möchten, nur das Fazit zu lesen. Wir bemühen uns jedoch stets, die Wiedergabe auf absolut notwendige Erzählelemente zu beschränken.

Systemanforderungen

Expeditions: Viking gibt sich im Genre-Vergleich überraschend fordernd. Ein aktuelles System sollte laut Herstellerempfehlungen vorhanden sein.

Testsystem und Herstellerempfehlung
Komponente Testsystem Herstellerempfehlung
Betriebssystem Windows 8.1 (64 Bit) Windows 10
Prozessor Core i7-4790 Core i7 3,4GHz oder vergleichbar
Arbeitsspeicher 8 GByte 8 GByte
Grafik Radeon R9 290X Nvidia GTX 660 oder vergleichbar
Festplattenspeicher ca. 9 GByte
Internetanbindung Für Steam-Aktivierung

Story und Politik

In Expeditions: Viking ist zunächst einmal alles im Eimer: Im 8. Jahrhundert hat der Clan des Spielers soeben seinen Anführer verloren. Doch das ist nicht das einzige Problem. Da der alte Herrscher wegen seiner Liebe zu Abenteuerreisen ins ferne England umstritten war, kommt es noch während seiner Totenfeier zum Machtkampf um die Nachfolge.

Die Charaktererstellung
Die Charaktererstellung

In diesem Kontext schlüpft der Spieler in die Rolle des Sohnes des verstorbenen Herrschers. Klar, dass der im Haupthaus positionierte Thron eigentlich uns zusteht. Nach einer überraschend detailreichen Charaktererstellung müssen wir uns dennoch erst einmal gegen aufmüpfige Clan-Mitglieder wehren, die die Gunst der Stunde für einen Machtwechsel nutzen wollen.

Damit wäre schon die erste, vielleicht wichtigste Dimension von Expeditions: Viking angesprochen: Bei diesem Spiel handelt es sich nicht um einen Genremix, in dem der Spieler auf Elfen, Magier und Drachen trifft. Gut so! Stattdessen steht die Machtpolitik im Vordergrund. Denn auch nachdem wir den Thron vorerst verteidigen konnten, ist der Fortbestand unserer Linie nicht gesichert. Externe Feinde, darunter rivalisierende Clans, trachten nach unserer Macht. Und auch innerhalb der Gemeinschaft wird jeder Schritt des neuen Herrschers genau beobachtet.

Auf die Entscheidungen kommt es an

Dieser Teil des Spiels funktioniert über die Entscheidungen, die der Spieler vor allem in Dialogen, aber auch bei seinem Handeln trifft. Setzen wir bei unseren Reisen auf die große Insel im Westen auf Raub oder auf Handel? Wollen wir ein Langboot, das die innernordischen Rivalen einschüchtert? Oder lieber eines, das schnell segelt und möglichst viel Fracht führen kann? Bauen wir unser Haupthaus zu einer Festung aus oder setzen wir auf eine Festhalle, in der sich die Innenpolitik der Wikinger künftig abspielen soll?

Die Dialoge sind häufig entscheidend
Die Dialoge sind häufig entscheidend

Solche und viele andere Weggabelungen weisen in sich häufig noch einmal kleinere Verästelungen auf, sodass man Viking höchst individuell spielen kann. Wie wir uns entscheiden, hat Auswirkungen auf die große Politik und auf unseren Clan. Ein kluger Diplomat wird sich Verbündete schaffen, ein großer Kriegsherr auf eine schlagfertige Truppe setzen. Zugleich beeinflusst die Hauptfigur ihre direkten Mitstreiter, die in einer klassischen Party mit auf die Reise kommen. Ein spiritueller Begleiter etwa wird verärgert sein, wenn der Spieler kurzerhand eine Grabstätte plündert. Ein Berserker wiederum wird es missbilligen, wenn der Anführer einen Kampf zugunsten einer umsichtigeren Vorgehensweise vermeidet.

Die Linie, die vom Spieler verfolgt wird, führt so zu Freundschaften für die Ewigkeit – und möglicherweise auch zu tiefen Feindschaften, die irgendwann sogar in einen offenen Konflikt umschlagen können. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Entscheidungen dieser beiden Ebenen häufig überlappen. Was politisch opportun ist und dem Ansehen des Clans nutzt, kann einzelne, vielleicht sehr wichtige Mitglieder unserer Party vergraulen – und umgekehrt.

Laut den Entwicklern hat die so kontinuierlich abgefragte Vorgehensweise des Spielers konkrete Auswirkungen auf den Verlauf der Handlung und schließlich auch auf das Ende des Spiels. Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, lässt sich erst nach mehreren Durchläufen sagen. Gefühlt ist unser Einfluss aber tatsächlich größer als etwa bei Telltale-Spielen.

Solides Standard-Gameplay

Mit der (innen)politischen Dimension wäre die große Stärke von Viking benannt. Beim Gameplay bietet der Titel die Standard-Kost des Genres. Von schräg oben blicken wir auf begrenzte Areale, über die etwa Dörfer, Rastplätze und Wälder dargestellt werden. Hier können wir uns frei bewegen und mit anderen Charakteren sprechen, die uns neben Klatsch und Tratsch auch mit Haupt- und Nebenaufgaben und Informationen versorgen.

Crafting im Dorf
Crafting im Dorf

Unser Dorf fungiert dabei als Zentrale. Hier besprechen wir mit dem Baumeister den Ausbau der Befestigungen, verbessern beim Schmied unsere Ausrüstung und erkundigen uns bei der Hexe – ein klein wenig Mystik darf nicht fehlen – nach den besten Heilkräutern. Zwischendurch kann unser wackerer Haupt-Nordmann auch immer mal wieder ein Pläuschen mit Familienmitgliedern halten.

Kämpfe auf Hex-Feldern

Für den Kampf wechselt die Ansicht in ein verkleinertes Gebiet, das in Hex-Felder eingeteilt ist. Die Auseinandersetzung läuft dann wie bei Titeln wie Xcom oder der Heroes-Reihe: Rundenbasiert geht es darum, den Gegner Stück für Stück auszuschalten. Dazu verfügen unsere Party-Mitglieder über unterschiedliche Schwerpunkte: Schildkämpfer sind die idealen Verteidiger, Fernkämpfer setzen den Widersachern unter anderem mit Bogen zu, der Berserker stürzt sich beispielsweise mit gleich zwei Klingen ins Getümmel und die frühere Hexen-Gehilfin kann heilen und die Gegner demoralisieren.

Um die Kämpfe möglichst verlustfrei zu meistern, muss durchaus etwas Hirnschmalz verwendet werden. Da auch die Gegner über einen Fähigkeitenmix verfügen, teilweise fiese Züge wählen und auch das Terrain und die jeweiligen Positionen einbezogen werden müssen, können die Kämpfe fordernd und langwierig ausfallen. Das gefällt, entspricht aber dem, was auch die Konkurrenz bietet.

Die Kampfkarte ist in Hex-Felder unterteilt
Die Kampfkarte ist in Hex-Felder unterteilt

Die Party wird nicht nur während der Kämpfe, sondern auch danach gemeinsam verwaltet. Aus einem Inventar verteilen wir gefundene oder gekaufte Items auf unsere Mitstreiter. Auch die erlangten Skillpunkte werden für jeden Recken einzeln vergeben. Neben Waffenfähigkeiten stehen dabei auch viele sekundäre Tugenden zur Verfügung. Wollen wir einen Elitenahkämpfer erschaffen? Oder eher einen unterstützenden Heiler? Oder den idealen Logistiker? Dank der vielen unterschiedlichen Fähigkeiten können die einzelnen Mitglieder höchst individuell hochgelevelt werden.

Hat er eben Logistiker geschrieben? Ja, auch in dieser Hinsicht versucht Viking realistisch zu sein. Nach vielen Kämpfen muss die Gruppe nämlich campieren, um wieder zu kräften zu kommen. In diesen Situationen müssen den Mitgliedern der Party Aufgaben zugeteilt werden: Wer kocht, wer jagt, wer hält Wache – und wer räumt auf? Dank eines übersichtlichen Menüs sind die Aufgaben schnell verteilt, wobei die besagten Logistiker sich dank der entsprechenden Spezialisierungen als besonders effiziente Lagerverwalter entpuppen.

Problematische Technik

Bis hierher gab es an Expeditions: Viking nichts zu meckern. Das ändert sich leider bei der Betrachtung der technischen Umsetzung. Hier überrascht der Titel zunächst mit überraschend hohen Systemanforderungen.

Tatsächlich laufen die Wikinger auf unserem Testsystem alles anderes als rund. Während der Lüfter der Grafikkarte ungewohnterweise zu Höchstleistungen gezwungen wird, rangieren die Bilderraten auf maximalen Details und in einer Auflösung von 1.920 × 1.080 bei gerade noch akzeptablen 30 bis 40 FPS.

So richtig gut sieht Viking nicht aus
So richtig gut sieht Viking nicht aus

Das wäre vielleicht noch in Ordnung, wenn man dafür eine Grafikpracht geboten bekommen würde. Dem ist aber nicht so: Viking sieht im Genre-Vergleich ordentlich, aber keineswegs besonders aus. Der Hardwarehunger muss daher auf eine mangelhafte Optimierung zurückgeführt werden – hoffentlich tut sich diesbezüglich in den ersten Patchrunden nach dem heutigen Release noch etwas.

Ansonsten muss einem klar sein, dass man es hier mit einem Titel der alten Schule zu tun hat. Dialoge werden bis auf wenige Sätze ausschließlich in Textform dargestellt. Bestimmte Bereiche, etwa die Kampagnenkarte, sind grobpixelig gehalten. Das erzeugt einen gewissen Flair. Wer aber durchgescriptete AAA-Produktionen gewöhnt ist, muss sich auf diese nüchterne Art der Präsentation, die gänzlich auf Videos verzichtet und zwischendurch immerhin einige schöne Wikinger-Artworks bietet, erst einmal einstellen.

Kopier- & Jugendschutz

„Expeditions: Viking“ funktioniert über Steam, sodass der Key über die Valve-Plattform aktiviert werden muss. Dazu ist einmalig eine Internetverbindung nötig; ein Wiederverkauf ist durch die Bindung an das Konto nicht möglich. Alternativ steht auch eine GOG.com-Version bereit.

Jugendschutz: Die USK hat den Titel ab 12 Jahren freigegeben.

Fazit

Expeditions: Viking ist eine richtig positive Überraschung im Spiele-Frühling. Wer hätte gedacht, dass ein Nischen-Titel so fesseln kann? Möglich macht das die solide Mischung aus machtpolitischen Elementen mit vielen Entscheidungen und unterschiedlichen Ebenen sowie ein sauber umgesetztes Standard-Gameplay. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass diese Einschätzung zum Teil einer subjektiven Verzerrung unterliegt: Endlich mal ein RPG-Strategietitel, der ohne die üblichen Fantasy-Elemente auskommt!

Unser einziger Kritikpunkt bezieht sich daher auf die Technik. Wir könnten gut damit leben, dass Viking angestaubt aussieht und nur eine Präsentation der alten Schule bietet. Ein solcher vordergründiger Nachteil kann sogar ein Vorteil sein, schließlich wirkt eine solche Aufmachung im Zusammenspiel mit den komplexen Inhalten erfrischend authentisch. Dass die Entwickler aber eine altbackene Grafik anbieten und dazu ein hardwarefressendes Monster erschaffen haben, ist unverständlich.

Trotzdem hat sich Expeditions: Viking abschließend eine Empfehlung verdient. Wer viele Stunden lang das Schicksal eines Wikinger-Clans bestimmen möchte, sollte sich diesen gelungenen RPG-Strategie-Mix nicht entgehen lassen.

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