Spähsoftware Pegasus: Überwachung in Polen zieht immer größere Kreise

Michael Schäfer
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Spähsoftware Pegasus: Überwachung in Polen zieht immer größere Kreise
Bild: Tumisu | gemeinfrei

In dem vor mehr als zwei Jahren bekannt gewordenen Überwachungsskandal, bei dem mehrere polnische Oppositionelle mit Pegasus ausgespäht wurden, kommen immer mehr Details ans Licht. Nun ist in PiS-Kreisen eine Liste mit Namen aufgetaucht, die möglicherweise ebenfalls überwacht wurden – darunter auch eigene Politiker der Partei.

Lange Zeit sah es danach aus, als könne die bis vor ein paar Monaten in Polen regierende PiS (Prawo i Sprawiedliwość – Recht und Gerechtigkeit) den Skandal rund um die Überwachung regierungskritischer Oppositioneller und Journalisten zu ihrem Vorteil aussitzen, das neue Regierungsbündnis drückt nach deren Abwahl im Oktober 2023 jedoch bei der Aufklärung aufs Tempo. So kommen in den wenigen seitdem vergangenen Wochen immer mehr Details an die Öffentlichkeit.

Regierung soll eigene Parteimitglieder überwacht haben

So kursiert laut einem Bericht der Gazeta.pl innerhalb der Partei ein Schriftstück, auf dem rund ein Dutzend Parteimitglieder aus dem ehemaligen Regierungslager aufgeführt sein sollen, die unter der Aufsicht von Maciej Wąsik und Mariusz Kaminski, der zuletzt im Dezember des letzten Jahres wegen Amtsmissbrauch zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt wurde, überwacht worden seien. Auf der Liste finden sich PiS-Mitglieder wie der ehemalige Landwirtschaftsminister Jan Krzysztof Ardanowski oder der ehemalige Parlamentspräsident Marek Kuchciński. Adam Bielan, Abgeordneter des Europäischen Parlaments und einer der engsten Vertrauten des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński sowie der ehemalige Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der über 1,5 Jahre ausgespäht worden sein soll, dürften die wohl prominentesten Vertreter auf dieser Liste darstellen. Aufgrund noch ausstehender forensischer Analysen kann bisher zwar noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, dass die Smartphones der genannten Politiker tatsächlich mit der Späh-Software infiziert wurden, doch alleine die Existenz des Schriftstückes soll laut Gazeta.pl bereits ausreichen, um die Partei in Aufruhr zu versetzen. Die Erklärungen reichen dabei von der Überwachung der Mitglieder durch die eigene Partei bis dahin, dass die neue Regierung unter Donald Tusk das Dokument selbst in Umlauf gebracht hat, um die jetzige Verwirrung hervorzurufen.

Über den Zweck der Überwachung gibt es nur Vermutungen. So vertritt Krzysztof Brejza, dessen Überwachung bereits Ende 2021 bekannt wurde und der mittlerweile Abgeordneter des EU-Parlamentes ist, die Meinung, dass mit dem Angriff belastendes Material für parteiinterne Streitereien gesammelt „und eine para-mafiöse Gruppe“ aufgebaut werden sollte. Er wies auch darauf hin, dass Pegasus nach polnischem Recht nicht „zur operativen Kontrolle“ eingesetzt werden darf, wie Euroactiv berichtet.

Druck auf Ex-Regierung steigt

Politisch übt die aktuelle Regierung weiter massiven Aufklärungsdruck aus. So verkündete Polens Premierminister Donald Tusk auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit amtierenden polnischen Präsidenten Andrzej Duda (PiS), er verfüge über Dokumente, die den illegalen Einsatz von Pegasus durch staatliche Behörden unter der Vorgängerregierung belegten. Weiter habe er Duda bereits einen Auszug dieser Dokumente zukommen lassen sowie den Justizminister und den Generalstaatsanwalt aufgefordert, Duda Dokumente vorzulegen, die „den Kauf und die Nutzung von Pegasus auf legale und illegale Weise zu 100 Prozent bestätigen“. Dieser hat sich bisher nicht öffentlich zu den Vorwürfen gegen seine Partei geäußert.

Gleichzeitig wurde bekannt, dass eine vom neuen Parlament eingesetzte Sonderkommission untersuchen soll, wer Pegasus in den Jahren der PiS-Regierung gegen wen eingesetzt hat. „Die Liste der Opfer dieser Praktiken ist leider sehr lang“, so Tusk.

Vorgehen der Europäischen Union gegen NSO könnte sich ändern

Der Hersteller NSO Group steht nun seit mehr als zwei Jahren auf der US-Sanktionsliste. Die Europäische Union scheute bisher einen solchen Schritt, auch weil ein eigens dafür eingerichteter Untersuchungsausschuss im EU-Parlament keine nennenswerten Ergebnisse liefern konnte. Dies dürfte nicht zuletzt an der Blockadehaltung von Ländern wie Ungarn, Spanien und eben auch Polen liegen – was sich bei Letzterem bald ändern dürfte.

Aufgeflogen war die Überwachung im Dezember 2021, nachdem Forensik-Experten des an der Universität Toronto ansässigen Citizen Lab die Smartphones des Oppositionellenanwalts Roman Giertych sowie der Staatsanwältin Ewa Wrzosek untersucht hatten.