Mehrere EU-Staaten unterzeichnen ACTA-Abkommen

Jirko Alex
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Megaupload, SOPA, PIPA – wer derzeit im Internet unterwegs ist und sich dafür interessiert, wird geradezu überschwemmt von Meldungen zu Veränderungen an der Schnittstelle Urheberrecht/Internetfreiheit. Etwas überschattet davon unterzeichneten gestern 22 EU-Staaten das ACTA-Abkommen – dabei betrifft das viel mehr Menschen.

Mit der Unterzeichnung von Vertretern von 22 EU-Staaten sowie der Europäischen Union am Donnerstag in Japan ist das ACTA-Abkommen dem Verhandlungsende einen Schritt näher gekommen, ohne dass aber tatsächlich schon ein Ende in Sicht wäre. Dennoch ist der gestrige Schritt eines Großteils der EU-Staaten (Deutschland hat noch nicht unterzeichnet) sehr umstritten. Befürworter des Handelsabkommens, wie der Europa-Abgeordnete Daniel Caspary (CDU), lobten den Vorgang. Konkret bezeichnete Caspary ACTA als einen „Meilenstein im Kampf gegen Marken- und Produktpiraterie“. Auch versicherten Sprecher der Europäischen Kommission sowie des Bundesjustizministeriums erneut, dass die Freiheit des Internets nicht beschränkt und die Rechtslage in Deutschland sich nicht ändern werde und es keine Sperrungen von Internetseiten geben wird.

Beim ACTA-Abkommen handelt es sich um ein internationales Handelsabkommen, das derzeit zwischen 39 Ländern (darunter den 27 EU-Staaten) verhandelt wird. Der Vertrag ist umstritten und erfuhr in der Vergangenheit sowohl Gegenwind bezüglich der Art und Weise, wie er ausgehandelt wurde, als auch den Inhalt betreffend. Kritiker befürchten die Einschränkung von Grundrechten und die Beförderung einer Zensurinfrastruktur, da das Abkommen unter anderem vorsieht, dass auch Provider und Plattformanbieter für Inhalte haftbar gemacht werden können. Dies würde dazu führen, dass etwa Provider gezielt Inhalte durchsuchen und sperren müssten, um nicht in die Pflicht genommen zu werden.

Welche Folgen konkret für die Bürger der verhandelnden Staaten zu erwarten sind, ist bisher kaum abzusehen, auch, weil die vollständigen Verhandlungsdokumente nicht öffentlich zugänglich sind. Dennoch formiert sich im Fahrwasser der Gesetzesbestrebungen PIPA und SOPA, die in den USA (vorerst) gescheitert sind, immer stärkerer Widerstand. Mehrere Interessengemeinschaften von Netzaktivisten formulieren ihre Kritik öffentlich. Neben einem immer intensiver werdenden Widerstand in Polen, wo zigtausende gegen ACTA auf die Straße gingen, äußerten sich vor allem auch Vertreter der nicht-konservativen Parteienlandschaft in Deutschland zumeist negativ zu dem Handelsabkommen, darunter etwa die Europaabgeordnete Ska Keller von den Grünen. Sie erklärte, ACTA habe drastische Auswirkungen auf die Meinungs- und Informationsfreiheit im Internet und müsse abgelehnt werden.

In Folge der Unterzeichnung der 22 EU-Staaten wurde die Webseite des Europäischen Parlaments stundenlang lahmgelegt. Weshalb dies geschah, ist allerdings nicht wirklich schlüssig. Die massiven DDoS-Angriffe auf die Webseite des Europäischen Parlaments treffen nämlich gerade jene Institution, die sich noch am schärfsten gegen das ACTA-Abkommen geäußert hat. So hat etwa am gestrigen Donnerstag der ACTA-Berichterstatter des Europäischen Parlamentes, Kader Arif (SPE) ebendieses Amt abgelegt und den Verlauf der Verhandlungen als „Maskerade“ bezeichnet. Er übte des Weiteren Kritik an dem sonderbaren Gebahren der ACTA-Befürworter, die sich vor allem in Geheimnistuerei und überfallsartigem Vorgehen üben würden. Im Übrigen ist er der Ansicht, dass die Europäische Kommission das Europäische Parlament in einem nicht ausreichenden Ausmaße informiere. Dabei handelt es sich bei dem Abkommen seiner Ansicht nach um einen umfassenden Eingriff in die Bürgerrechte der Unionsbürger.

Zur Zeit ist außerdem noch ungewiss, ob das Europäische Parlament überhaupt seine Zustimmung zu dem Regelwerk geben wird. Ursprünglich war für Ende Februar eine Sitzung des zuständigen Parlamentsausschusses anberaumt, wo das Abkommen behandelt werden sollte, um es dann im Juni zur Abstimmung bringen zu können.

Auch wenn Deutschland das ACTA-Abkommen unterzeichnet, muss sich auf nationaler Ebene noch der Bundestag mit diesem völkerrechtlichen Vertrag auseinandersetzen. Das ist notwendig, weil das Abkommen auch strafrechtliche Aspekte beinhaltet, welche in die ausschließliche Regelungskompetenz der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten fallen.

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  • Jirko Alex E-Mail
    … schreibt auf ComputerBase zu den Schwerpunkten Multimedia, PC-Audio und Streaming.
Quelle: Handelsblatt.com; orf.at

Ergänzungen aus der Community

  • CaTFaN! 27.01.2012 16:27
    Das ganze wird immer schlimmer und spitzt sich langsam zu.

    Argumente wie z.B. Künstler vor Diebstahl zu schützen (die mmn. eher im Hintergrund stehen sollten da sie nur sehr wenige Menschen betreffen) sind doch nur der Vorhang, die den eigentlichen Sinn dieses Vorhabens verschleiern...
    Es gibt viel wichtigere Dinge die Handlungsbedarf erfordern!


    Ich würde allzugerne mal einen Tag in der Politik sein um diese Dinge zu verstehen abergut, es sind Interessenkonflikte und keine moralischen... ;)
  • Zdarko2 27.01.2012 17:01
    Auf der englischsprachigen Seite des EP gibt es eine aktuelle Nachricht zu ACTA. Dort findet sich rechts ein "Assessment of ACTA" hptsl. von Rechtswissenschaftlern der Uni Maastricht. Beim Überfliegen habe ich das als "primäre Empfehlung" gefunden:
    unconditional consent would be an inappropriate response from the European Parliament given the issues that have been identified with ACTA at it stands.
    Ich hoffe, der eine oder andere Parlamentarier liest sich diese Einschätzung durch...
  • aquaphun 27.01.2012 17:04
    Hier eine Online-Petition gegen ACTA:
    http://www.avaaz.org/en/eu_save_the_internet_spread/?fpla
    gegenwärtig ca 550.000 Unterschriften

    Hier zwei Youtube Videos die ACTA beschreiben:
    http://www.youtube.com/watch?v=p_bERAf5KAg
    http://www.youtube.com/watch?v=citzRjwk-sQ
  • Creeed 27.01.2012 19:29
    Ich steige nicht ganz durch... Wen sollte denn ACTA schmerzen, außer die Raubkopiermörder, Leecher und "Geiz-ist-geil"-Ich-alles-umsonst-haben-wollenden? "wp7, post: 11424662
    Dass Problem ist doch dass man Deep Packet Inspection bei jedem machen wird, egal ob verdächtig oder nicht. Alleine aus diesem Grund kann es in Deutschland nicht rechtens sein da dies unverhältnismäßig ist und auch noch die Unschuldsvermutung aushebelt. Gerade mit dieser Argumention ist die VDS vom BVerfG zurück gepfiffen worden. Wie würde es dir gefallen wenn jeden Tag die Polizei bei dir eine Hausdruchsuchung macht, Briefe öffnet, Telefon abhört nur weil ihnen danach ist oder besser weil sie dich dauernd überwachen müssen. Sie machen das weil du vielleicht irgendwann man irgendwas Strafbewehrtes machen könntest. Da liegt doch das Missverhältnis.

    Ich habe zwar nix angestellt, aber trotzdem gehen mein Onlinebanking, meine Internetpornos oder meine Beiträge in Foren niemanden etwas an.

    Um einen Täter zu kriegen werden 82 Millionen Menschen in Deutschland überwacht, ich weiß nicht wie viele in der EU. Das ist doch der feuchte Traum jedes Überwachungsstaatlers und wir renne offenen Auges hinein weil es immer heißt es wäre für unsere Sicherheit. Wir schlittern immer tiefer in einen Präventivstaat, aber leider schließen sich Freiheit und Präventivstaat gegenseitig aus. Entweder ich will totalen Schutz oder ich will Freiheit, beides zusammen geht nicht. Ich persönlich will Freiheit, ich bin mir der Risiken die durch die Teilnahme am Leben entstehen bewusst. Mich kann jederzeit ein Auto überfahren, ich kann jederzeit einen Unfall haben, sollen jetzt alle Autofahrer überwacht oder eingeschränkt werden nur weil sie jemand überfahren könnten in den nächsten 5 Minuten oder 50 Jahren?
  • xrayde 27.01.2012 21:47
    Ich frage mich wirklich ob wir irgendwann mal die Dynamik bei Internetthemen haben werden wie damals die Grünen zu Umweltthemen. "LMuschelS, post: 11424824
    Wenn ich mal so über den Teich gucke, finde ich uns Europäer, und besonders teilweise uns Deutsche, recht kritisch wenn es darum geht demokratische Grundrechte zu verteidigen!

    Schlimm ist was ich fast täglich bei Online-Spielen feststelle:

    Besonders die amerikanischen Jugendlichen scheinen schon irgendwie politisch total abgestumpft und "auf Linie" gebracht zu sein.

    Es vergeht kein Tag wo die sich untereinander mit Sprüchen a la "dumme Demokraten/Republikaner" etc. gegenseitig anmachen - am schlimmsten wird aber gg. "die Demokraten" gehetzt.

    Wird man dann von jenen gar noch als Deutscher identifiziert, hagelt es schnell mal "Na**", "Kraut" und andere, noch wesentliche dümmere Sprüche.

    Oder dann kommt oft der Dunkelhammer a la: "Na ja, haben ja auch den WWII verloren" etc. pp.

    Das fast deren gesamte Rüstung, Raumfahrt etc. durch "annektierte" deutsche Technologien gepusht wurde, da fällt dann oft die Kinnlade bei runter wenn man dieses einwirft/deren Argumentationsketten dadurch zerbröseln lässt ...

    Und dann wundern die sich woher das Bild "des Amerikaners" kommt ...


    PS:

    Weil hier und anderswo immer öfter zu lesen ist das "wir Deutschen zu träge wären und/oder jene in allem zu passiv sind" etc. pp.:

    Man wird ja quasi jeden Tag mit derart neuen Horror-Meldungen bombardiert, dessen Auswirkungen alle darauf abzielen unsere Grundrechte einzuschränken und dem "Kapital" omnipotente Vollmachten zu verpassen.

    Der normale gesunde Mensch(enverstand) kann nicht ständig im Dauerstress sein, weil er sich über alles aufregen muss - da man aufs erneute versucht seine Grundrechte zu torpedieren.

    Der Mensch ist nur begrenzt "aufnahme-/leidensfähig", das ist eine ganz normale Schutzfunktion des Verstandes (um nicht an Herzinfarkt etc. zugrunde zu gehen).

    Es gibt dazu auch einige psychologischen Abhandlungen, sucht mal danach!

    Daher ist es etwas kurzsichtig oft "den ewig trägen Deutschen" anzuprangern.

    Wahrscheinlich sind "wir Deutschen" tatsächlich mittlerweile darin etwas träger (geworden?), jedoch sind wir kein Volk von Phlegmatikern (jedenfalls will ich das nicht "den Deutschen" unterstellen).

    Guckt man sich jedoch einmal unsere Geschichte an, so sind wir Deutschen alles andere als politische Lemminge und/oder gar "Revolutionsverweigerer".

    Aber leider können Viele nur kurz blicken und sehen nur mit eingeschränkter Sichtweise, was hinter ihnen liegt vergessen diese, oder blenden es gar aus, oder schlimmer noch, sie haben sich damit nie ernsthaft befasst ...
  • Rexus 04.02.2012 18:58
    Das was in deinem letzten Absatz steht ist nun mal Diktatur ( alleine schon wegen dem "wie" es dazu kommt )
    In Deutschland haben wir nun mal eine Art "indirekte" Demokratie. Wir wählen unsere Vertreter, die unsere Interessen vertreten sollten. Wenn die Politiker jedoch nicht verstehen (wollen), was unsere Interessen sind, dann würde ich in diesem Fall nicht gleich von Diktatur sprechen - es soll ja immerhin auch Befürworter geben. "Man kann es ja nicht jedem Recht machen."

    Findest du, dass es gut ist den Urhebern noch mehr Macht zu geben? [...] Ich bin der Meinung, dass Musiker jetzt schon ein Privileg haben. Mercedes muss 1 Auto bauen und kann dann genau 1 Auto verkaufen. Lady Gaga macht 1 Track und kann 1 millionen Verkaufen OHNE Mehraufwand, verlangt dafür aber Unsummen. Ich bin der Meinung, dass Raubkopien zu befürworten sind.
    Sehe ich leider nicht so.
    Raubkopien sind Diebstahl. Nimm' du doch mal 'ne Platte auf, ich garantiere dir du würdest dich ärgern, wenn 10 Leute sie kaufen und 200 Leute sie illegal aus dem Netz ziehen. Wenn man etwas haben möchte, was wer anderes produziert hat, womit wer anderes Geld verdienen möchte, dann hat man in meinen Augen schlichtweg 2 Entscheidungsmöglichkeiten: 1.) Man kauft sich das Produkt, auch wenn der "Produzent" den man damit eigentlich unterstützen möchte nur einen Bruchteil des Kaufpreises bekommt. Oder 2.) Man lässt es einfach.
    Aber die Einstellung "Ist mir zu teuer, und der Künstler verdient eh schon genug Geld an den "dummen" Leuten, die diese hohen Preise "unterstützen" und tief in die Tasche greifen... da lade ich's mir doch lieber kostenfrei" finde ich absolut nicht richtig.

    Und ich bin der Meinung, dass es sehr wohl Mehraufwand gibt. Vielleicht nicht für den Künstler selbst, aber in der Herstellung der CD's (s. Herstellung der Autos aus deinem Beispiel), der Vermarktung/Werbung (gibt's ja auch beim Autohersteller) und eben der "Vorbeugung" von Raubkopien (Kopierschutz, etc.).
    Unsummen finden sich ebenfalls nicht nur bei Lady Gaga's Platten. Es ist bekannt, dass die großen Verdiener in der Musikbranche nicht die Künstler selbst sind. Aber sind die Teile, die ich in meiner C-Klasse habe, wirklich 50.000€ wert und erhalten die an der Produktion/Entwicklung beteiligten Angestellten von Mercedes wirklich einen angemessenen Betrag? Oder wo fließt das Geld hin?