Amazon Kindle Fire HD im Test: Das Trojanische Einkauspferd

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Sasan Abdi
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Oberfläche & Multimedia

Betrachtet man die bisher abgehandelten Aspekte, kann das KFHD als gutes, aber nicht besonders auffälliges Tablet kategorisiert werden. Den Unterschied macht in diesem Fall aber nicht so sehr die Hardware, sondern vor allem die Software. Und die ist je nach Standpunkt beim KFHD einem von zwei Extremen zuzuordnen: Ärgernis oder großer Pluspunkt.

Die Ursache hierfür ist in der starken Content-Fokussierung zu finden, die wiederum mit einer starken Verknüpfung mit den unterschiedlichen Amazon-Angeboten und -Diensten einhergeht. Die Kindle-Serie ist, so viel wird auch hier schnell deutlich, nicht primär ein Tablet, sondern vor allem ein Vehikel, um der Kundschaft Amazon-Dienste auch abseits von gängigen Kanälen und Medien nahe zu bringen. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt bei der softwareseitigen Konzeption auch nicht auf einer generell komfortablen Nutzung, sondern vor allem auf der komfortablen, direkten Nutzung von Amazon-Diensten und -Angeboten.

Diese sehr eigene Fokussierung schlägt sich natürlich umfassend nieder – und zwar allen voran bei der Oberfläche. Auch wenn diese Android-4.0-basiert ist, werden sich Freunde der Plattform nicht sofort zurecht finden. Denn statt der gängigen Bedienlogik kommt eine ganz eigene Navigation zum Einsatz, in deren Zentrum natürlich das Amazon-Angebot steht und die nur noch in winzigen Details an die Stock-Version erinnert.

Grundsätzlich findet dabei wie auf den Schwestergeräten ein Karussell-System Anwendung, das alle zuletzt verwendeten Services und Apps nach Nutzungshäufigkeit darstellt. Dies ist häufig komfortabel aber manchmal auch ärgerlich, weil man die Rangfolge nicht manuell justieren, sondern Eintragungen nur im Extremfall ganz entfernen kann. Außerdem lässt sich über das darüber befindliche zentrale Menü sofort auf die wichtigsten Inhalte-Kategorien wie Bücher, Musik, Filme, Apps und Webseiten zugreifen, wobei die Navigation auch hier horizontal erfolgt. Möchte man darüber hinaus die groben Linien hinter der Konzeption beschreiben, lässt sich sagen, dass die Amazon-UI auf die Unterteilung in Homescreen und App-Drawer verzichtet und stattdessen alle Elemente zentral zusammenlegt.

Durch die umfangreichen Anpassungen und die Konkurrenzsituation ist die Android-Fassung auf dem KFHD allerdings nicht lizenziert, weswegen der zentrale, ein schlagendes Argument für die Google-Plattform darstellende Play Store nicht ohne Weiteres zur Verfügung steht. Stattdessen können Apps über das Amazon-Angebot bezogen werden, das wesentlich übersichtlicher ausfällt, da alle Anwendungen hier vorab geprüft werden. Immerhin sind Angebote, die im Play Store kostenfrei sind, auch hier gratis erhältlich. Dafür müssen bereits erstandene Apps für das Kindle neue erworben werden – das es auch anders geht, zeigt sich im genau umgekehrten Fall.

Allerdings stehen auf dem KFHD auch nicht dritte Anwendungen, sondern natürlich die Amazon-Angebote im Vordergrund. Dies stellt für exzessive Nutzer dieser Services durchaus einen Mehrwert dar, da hier nicht erst Apps und Zugänge zusammengesucht, sondern von Werk ab auf dem Tablet angeboten werden. Aus diesem Grund gibt es faktisch keinen direkteren Zugang zu Diensten wie Lovefilm, dem App-Store, Amazon MP3, Hörbüchern und eBooks und natürlich auch zu dem umfangreichen Online-Verkaufsangebot von Amazon. Dazu passt, dass einem an vielen Ecken und Enden Angebote unterbreitet werden, die sich nur in der werbefreien Version (Aufpreis: 15 Euro) umgehen lassen. Kurzum: Kindle-Geräte sind und bleiben auch mit dem KFHD die ultimative Hardware-Brücke zum digitalen Angebot von Amazon.

Dies gilt allerdings nur für Multimedia-Inhalte, die auch tatsächlich über Amazon bezogen wurden bzw. werden. Bei bereits vorhandenen, dritten Materialien wird es dagegen schon schwieriger: Während Musik kein Problem darstellt, können Videos und eBooks nicht ohne explizite Suche über den im App Shop erhältlichen Dateimanager geöffnet werden. Hier macht sich abermals bemerkbar, dass ein Kindle eben vornehmlich für den Konsum von Amazon-Inhalten konzipiert wurde. Vor diesem Hintergrund ist auch zu erklären, dass die Formatunterstützung im Videobereich von Werk ab übersichtlich ausfällt. Während man mit DivX-Material keine Probleme hat, wird für H.264-Videos schon ein alternativer Player benötigt.

Ansonsten weiß die Software-Ausstattung in puncto Multimedia aber zu gefallen. Zu dieser gehört ein nach wie vor exzellenter E-Reader (wobei ein Tablet für Vielleser wohl kaum die erste Wahl darstellen dürfte), übersichtliche Video- und Musik-Player und ein guter Skype-Client, der tatsächlich dazu einlädt, dem Videochat zu frönen. Auch das gängige Tastatur-Layout gibt keinen Grund zur Kritik, sodass dem Verfassen von Mails nichts im Wege steht. Wer am Tablet auch mal ein wenig produktiv sein möchte, kann gängige Office-Dateien öffnen und ansehen – die dahingehenden Möglichkeiten fallen aber erwartungsgemäß sehr übersichtlich aus.

Amazon Kindle Fire HD
Amazon Kindle Fire HD

Während die konzeptionelle Anpassung von Android 4.0 je nach Vorlieben diskutiert werden kann und die entsprechenden Standard-Anwendungen überwiegend zu überzeugen wissen, muss allerdings auch festgehalten werden, dass der Kindle-Browser nicht in vollem Ausmaß punkten kann. Zwar basiert dieser auf dem Webkit-Standardbrowser der Stockversion und erreicht in den gängigen Benchmarks passable Werte, doch ist das Websurfen auf dem Testkandidaten aufgrund von merklichen Rucklern und seltsamen Verhaltensweisen – Inhalte werden nach dem Laden öfter automatisch eingezoomt angezeigt – keine echte Freude, hier ist man von der Konkurrenz Besseres gewöhnt.

Die sonstigen Multimedia-Eigenschaften fallen konventionell aus. Eine rückwärtige Kamera wird nicht verbaut; die 1,3-MP-Frontkamera reicht bestens aus, um beispielsweise zu skypen. Sehr löblich ist, dass Bewegtbild über den integrierten microHDMI-Ausgang jederzeit auf einem entsprechenden Monitor oder TV-Gerät ausgegeben werden kann, was sich insbesondere für Lovefilm-Kunden durchaus häufiger anbieten könnte, da der Videokonsum auf 7 Zoll doch nur begrenzten Spaß macht, sofern man auf der Couch liegt und daneben ein großer Fernseher steht. Das dazu notwendige Kabel ist allerdings wie gehabt nicht Teil des Lieferumfangs.

In puncto Audio brüstet sich Amazon damit, eines von wenigen Angeboten mit Dolby-Digital-Plus-Unterstützung zu führen. In Kombination mit den integrierten Dual-Stereo-Lautsprecher soll so ein Klangerlebnis möglich sein, das „ähnlich dem einer heimischen Stereoanlage“ ist. Diese Behauptung können wir nicht bestätigen: Zwar spielt das KFHD klangtechnisch definitiv in der Oberklasse mit, doch übertrumpft es dabei kaum potente Widersacher wie das iPad 3. Führt man sich aber den Preisunterschied vor Augen, kann durchaus festgehalten werden, dass Amazon auch hier sehr ordentlich liefert, zumal per 3,5mm-Klinkenausgang natürlich auf externe Ausgabegeräte gewechselt werden kann.

Für die vielfältigen Amazon-Multimedia-Einsatzgebiete stehen eine 16- und eine 32-Gigabyte-Variante des KFHD zur Verfügung. Bei ersterer kann man effektiv über rund 12,6 GB gebieten, die je nach Nutzungsschwerpunkt aber durchaus zügig volllaufen können. Die Verantwortlichen verzichten aber dennoch auf die Integration eines microSD-Kartenslots, sodass man mit dem Platz zurechtkommen muss – oder auf die von Amazon auch auf dem KFHD deutlich beworbene Cloud-Lösung des Unternehmens zurückgreifen muss.