EU-Kommission will „Netzneutralität“ per Gesetz

Andreas Frischholz
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Seitdem die Drosselpläne der Telekom bekannt sind, steht auch die Netzneutralität wieder auf der politischen Tagesordnung. Die EU-Kommissarin Neelie Kroes hat nun angekündigt, die Netzneutralität europaweit rechtlich zu verankern, während die Bundesregierung den Status Quo hierzulande für ausreichend hält.

Die für die digitale Agenda der EU zuständige Kommissarin Neelie Kroes skizzierte ihre Vorstellungen in einer Rede vor dem EU-Parlament (PDF-Datei). Die meisten Kunden hätten Interesse an einem unlimitierten Internetzugang, der dem „Best-Effort“-Prinzip entspricht, demzufolge der Internetanbieter nicht in irgendeiner Form drosselt oder verschiedene Dienste sperrt. Das gilt etwa für VoIP-Dienste wie Skype und Messenger wie WhatsApp, die mit entsprechenden Angeboten der Internetanbieter konkurrieren, weswegen in zahlreichen Tarifen die Nutzung untersagt wird.

Kroes wolle den Providern zudem nicht die Angebote vorschreiben, beharrt aber auf Transparenz. Die Kunden müssten bei einem Vertragsabschluss genau wissen, was sie erhalten, potentielle Beeinträchtigungen bei der Geschwindigkeit oder dem Service dürften nicht im Kleingedruckten versteckt werden. Zudem soll den Kunden das Wechseln von Internetanbietern erleichtert werden. Trotz Netzneutralität will Kroes den Netzbetreibern aber Freiheiten gewähren, zumal neue Dienste nicht nur auf Inhalten basieren, sondern auch „High-Quality“-Internetanschlüsse voraussetzen würden – als Beispiel nennt Kroes Systeme für Videokonferenzen.

Die EU will den Internetanbietern nicht vorschreiben, einen Aufpreis für entsprechend optimierte Internetzugänge zu verlangen. Die technische Umsetzung erfolgt etwa bei dem von Kroes genannten Beispiel, indem der jeweilige Internetanbieter den für Videokonferenzen benötigten Datenverkehr höher priorisiert als den üblichen Traffic, um Video-Kommunikation ohne Verzögerung oder Ausfall zu ermöglichen. Bereits heute ist die Traffic-Priorisierung mittels „Quality-of-Service“-Instrumenten üblich.

Allerdings hängt es vom Ausmaß der Eingriffe ab, ob diese den Traffic optimieren oder die Netzneutralität verletzen. Diese Abwägung ist in der Praxis ein Drahtseilakt, für die rechtliche Verankerung der Netzneutralität aber entscheidend. Wie die EU das Problem löst, ist derzeit noch offen. Konkrete Details nannte Kroes nicht, diese müssen zunächst von den zuständigen Gremien der EU-Kommission ausgearbeitet werden. So ist mit einem offiziellen Vorschlag der EU-Kommission nicht vor Ende dieses Jahres zu rechnen.

Deutschland zwischen Unterstützung und Lippenbekenntnissen

In Deutschland wird es ein entsprechendes Gesetz vorerst nicht geben, verkündete Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) jüngst im ZDF. Das wird nach Ansicht von Rösler nicht benötigt, bereits im letzten Jahr habe die schwarz-gelbe Koalition das Telekommunikationsgesetz angepasst. Durch den Paragraph 41a kann die Bundesregierung per Rechtsverordnung eingreifen, um „eine willkürliche Verschlechterung von Diensten“ sowie einen ungerechtfertigt gedrosselten Datenverkehr zu verhindern. „Das heißt, wir haben bereits die Instrumente, das umzusetzen, was wir uns vorgenommen haben, nämlich Netzneutralität herzustellen", so Rösler.

Der Wirtschaftsminister repräsentiert die Haltung, mit der die Bundesregierung bereits den Antrag der Linken im Bundestag zurückgewiesen hatte. Ein leichter Dämpfer für die Befürworter, immerhin hatte Rösler in einem Brief an Telekom-Chef René Obermann kurz nach der offiziellen Drossel-Ankündigung noch rechtliche Änderungen in Aussicht gestellt. Einen ähnlichen Zickzack-Kurs haben die Verbraucherschutzminister der Bundesländer hingelegt: Eine Beschlussvorlage enthielt zunächst die Forderung nach einem verbindlichen Gesetz zur Netzneutralität, wurde im finalen Bericht aber mit einem Verweis auf die potentielle Rechtsverordnung der Bundesregierung getilgt.

Den Befürwortern der Netzneutralität geht das nicht weit genug, sie fordern ein Gesetz wie in den Niederlanden. „Eine Rechtsverordnung reicht uns nicht", sagte Johannes Scheller. Er hat die erfolgreiche Petition eingereicht, die bereits knapp 80.000 Personen unterzeichnet haben, obwohl die Frist erst am 18. Juni endet. Scheller kann seine Forderungen nun am 24. Juni vor dem Petitionsausschuss im Bundestag begründen. Bei Netzpolitik.org erklärte er, ohne feste Regelung könnten Provider kontrollieren, auf welche Dienste und Inhalte Nutzer zugreifen dürfen. „Das käme einer Zensur aus wirtschaftlichen Aspekten gleich“, so Scheller und warnt vor einem Zwei-Klassen-Internet.

Die Telekom lässt sich von solchen Argumenten nach wie vor nicht beirren. Obwohl es verständlich sei, dass Jüngere sich zu Wort melden, würden die Netzaktivisten mit ihren Forderungen Klientelpolitik betreiben, sagte der Telekom-Sprecher Husam Azrak gegenüber dem ZDF. Dabei gehe es aber „um mehr als um die Einzelinteressen der Netzaktivisten“ und verweist auf das Gesetz in den Niederlanden.

Das Beispiel Niederlande zeigt, dass hier regulatorische Vorgaben gerade nicht zum Vorteil der Kunden gewesen sind“, verlautbart Azrak ohne weitere Angaben, warum Internet in den Niederlanden für alle schlechter und teurer sein soll. Auf eine entsprechende Anfrage von Netzpolitik.org hat die Telekom bislang nicht geantwortet, allerdings verzeichnen die niederländischen Verbraucherzentralen laut ZDF wesentlich weniger Beschwerden, seit das Gesetz am ersten Januar in Kraft getreten ist.

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