NSA-Überwachung kennt nur politische Grenzen

Andreas Frischholz
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Die Überwachungsprogramme der NSA sind nicht aus technischen Gründen beschränkt, sondern werden durch politische Vorgaben reglementiert, berichtet der NSA-Whistleblower Edward Snowden, der bei einem vom Guardian veranstalteten Live-Chat Fragen der Leser beantwortete.

Dass technisch keine Eingrenzung vorgenommen wird, bedeutet in der Praxis, dass die Datenströme von der NSA umfassend aufgezeichnet werden, erklärte Snowden. Die politischen Vorgaben sind vielmehr eine Art Richtlinie für die Einstellungen der Filter, mit denen die Zugriffsrechte der Analysten von NSA, FBI oder CIA reguliert werden. Technisch wäre es laut Snowden aber ohne weiteres möglich, dass die Analysten vollständigen Zugriff auf die SIGINT-Datenbanken hätten. Diese speichern die Informationen, die mit „elektronischen Staubsaugern“ aus dem weltweiten Datenverkehr gefischt werden.

Demgegenüber stehen laut Snowden nur sehr schwache technische Schutzvorrichtung, die zudem leicht umgehbar sind. Zumal die NSA auch die Daten von US-Bürgern aufzeichnen würde, vor allem wenn diese nicht innerhalb der USA kommunizieren. Der Schutz von Kommunikation dürfe nach Ansicht von Snowden aber nicht allein von der IP-Adresse bestimmt werden: „Your protected communications shouldn't stop being protected communications just because of the IP they're tagged with.“ Ohnehin lenke die Differenzierung von US- und Nicht-US-Bürgern ab von der Macht und den Gefahren, die von dem System ausgehen.

Die anlasslose Überwachung sei nicht zu rechtfertigen, wenn statt 100 Prozent nur 95 Prozent betroffen sind. Eine nicht alltägliche Haltung, wie etwa der Chaos Communication Congress im Dezember zeigte, bei dem zwei ältere NSA-Whistleblower auftraten. Nach den Vorträgen schilderte der Blogger Fefe seinen Eindruck, dass US-Amerikaner tendenziell „ein Riesenproblem in Massenspionage sehen, sobald es US-Bürger betrifft. Aber keiner hatte auch nur das geringste Problem damit, solange es nur die anderen Länder betrifft.

Davon abgesehen pflegt man innerhalb der NSA offenbar einen recht lockeren Umgang mit den entsprechenden Richtlinien. Am Beispiel einer E-Mail erklärt Snowden, dass diese vollständig erfasst werden. Ein Analyst kann sowohl auf die Rohdaten als auch den Inhalt, die IP-Adresse, die Kopfdaten oder den Anhang zugreifen – und diese werden „für sehr lange Zeit gespeichert“. Angesprochen auf die viel beachtete Frage, ob die NSA „direkten Zugriff“ auf Server der US-Internetdienste hat, verwies er auf kommende Veröffentlichungen.

Die Aussagen von Google, Facebook, Microsoft, Apple und Konsorten, nichts von Prism gewusst zu haben, hält Snowden indes für nicht allzu glaubwürdig. Wie viele andere stört er sich an den ähnlich klingenden Statements, in denen die Unternehmen beteuern, die NSA habe „keinen direkten Zugriff“ auf die Server der Internetdienste gehabt. Außerdem verweist er auf die moralische Verantwortung der Unternehmen, sich den Forderungen der US-Behörden – trotz der rechtlichen Verpflichtung – stärker widersetzen.

Angesprochen auf die Vorwürfe, Snowden betreibe Spionage für China, erwiderte er, er werde keine Dokumente über militärisch legitime NSA-Operationen preisgeben. Die Veröffentlichung diene nur dazu, die rigorose Überwachung der Gesellschaft publik zu machen. Wäre er ein chinesischer Spion, würde er sich nicht in Hongkong verstecken, sondern in Peking ein Leben in Saus und Braus führen. Dass er die Dokumente erst so spät veröffentliche, begründete er mit der Wahl von Barack Obama. Snowden hatte gehofft, Obama würde die Überwachungsprogramme samt den „Staat in Staat“ der Geheimdienste beenden.