Neue Bundesregierung plant mehr Netzpolitik

Andreas Frischholz
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Der Bundestag hat Kanzlerin Merkel (CDU) zum dritten Mal im Amt bestätigt, nun nimmt die große Koalition die Regierungsgeschäfte auf. Entgegen der Befürchtungen direkt nach der Wahl räumt die neue Bundesregierung netzpolitischen Themen einen größeren Stellenwert ein.

Die Kompetenzen sind aber nach wie vor über verschiedene Ministerien, Staatssekretäre und Behörden verteilt, eine zentrale Anlaufstelle fehlt. Statt koordiniertem Vorgehen drohen also erneut Streitigkeiten um die Zuständigkeiten in einzelnen Bereichen.

In den letzten Tagen hieß es zwar zeitweise, der ehemalige CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt werde die Rolle eines „Internetministers“ übernehmen, in der Praxis ist er aber lediglich „Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur“. Das Verkehrsministerium ist für den Breitband-Ausbau zuständig, mehr nicht. Immerhin wird mit Dorothee Bär eine der wenigen profilierten Netzpolitikerinnen aus den Reihen der CSU Staatssekretärin. Dennoch lässt sich der Einfluss von Dobrindt auf die Netzpolitik derzeit nur schwer abschätzen. Denn die für die kommenden vier Jahre geplante digitale Agenda, die im Koalitionsvertrag mit Begriffen wie „Industrie 4.0“ umschrieben wird und die Digitalisierung von Wirtschaft, Forschung und Bildung voranbringen soll, soll – zumindest nach Ansicht der SPD – beim Wirtschaftsministerium von SPD-Chef Sigmar Gabriel bleiben. Zumindest lautet so die Äußerung von der Staatssekretärin Brigitte Zypries:

Welches der beiden Ministerien nun aber für ein Thema wie etwa die Netzneutralität verantwortlich ist, bleibt fraglich.

Mit Hans-Peter Friedrich (CSU) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sind die beiden Minister, die die Netzpolitik in den letzten Jahren geprägt haben, nicht mehr in ihren Ämtern. Innenminister ist nun Thomas de Maizière (CDU), der das Ministerium bereits zwischen 2009 und 2011 geführt hatte. In dieser Zeit hatte sich de Maiziére selbst unter Netzaktivisten einen ordentlichen Ruf erarbeitet – ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger Friedrich. De Maiziére sei empfänglich für Argumente und habe – so Sascha Lobo auf Spiegel Online – „zumindest ein halboffenes Ohr für netzliberale Positionen“. Vor allem mit Blick auf die Aufklärung der NSA-Enthüllungen wird dem neuen Innenminister wesentlich mehr zugetraut.

Welchen Einfluss dieser Wechsel auf Bereiche wie Datenschutz und Sicherheit hat, bleibt abzuwarten, weil der neue Justizminister Heiko Maas (SPD) ein bislang noch weitestgehend unbeschriebenes Blatt ist. Allerdings ist das Justizministerium nun auch für den Verbraucherschutz zuständig. Mit Gerd Billen, bislang Chef der Bundeszentrale der Verbraucherverbände, erhält das Ministerium nun einen Staatssekretär, der sich in den letzten Jahren vehement für einen stärkeren Datenschutz eingesetzt hat.

Etwas anders sieht das aber bei der neuen Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff (CDU) aus, die die Nachfolge von Peter Schaar antreten soll, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Diese Personalie kursierte bereits seit einigen Tagen und sorgte für reichlich Kritik, denn als engagierte Datenschützerin hatte sich Voßhoff während ihrer Zeit im Bundestag zwischen 1998 und 2013 nicht hervorgetan. Stattdessen stimmte sie laut Abgeordneten-Watch etwa für Internetsperren, Online-Durchsuchungen und die Vorratsdatenspeicherung, zudem unterstützte sie das ACTA-Abkommen. Von der Netzgemeinde hagelt es Kritik für die Ernennung. IT-Anwalt Thomas Stadler schreibt etwa auf Internet-Law, Voßhoff wurde vermutlich zur Bundesdatenschutzbeauftragten ernannt, weil „man auf diesem Posten einen unbequemen Mahner und Kritiker wie Peter Schaar diesmal vermeiden wollte“.

Eine weitere relevante Personalie ist die neu geschaffene Stelle eines Geheimdienst-Staatssekretärs im Kanzleramt. Nun meldet Heise online, dass Klaus-Dieter Fritsche – zuvor Staatssekretär im Innenministerium und Vizepräsident des Verfassungsschutzes – für die Koordinierung der deutschen Geheimdienste auf Regierungsebene zuständig sein soll. Allerdings zählt Fritsche zu den Hardlinern in der Sicherheitspolitik, der trotz NSA-Enthüllungen die Überwachungsbefugnisse von Polizei und Geheimdiensten deutlich erweitern will. Damit „dokumentiert die Große Koalition klar und deutlich, dass sie die NSA-Affäre aussitzen will“, kommentiert Detlef Borchers auf Heise online.

Darüber hinaus verkündeten Dorothee Bär und SPD-Netzpolitiker Lars Klingbeil auf Twitter, dass der Bundestag nun einen „Internetausschuss“ erhält. Mit diesem ständigen Hauptausschuss für „Internet und digitale Agenda“ kommt die Netzpolitik also im parlamentarischen Alltag an. Ob das auch bei der Regierung der Fall ist, bleibt abzuwarten. Ohne zentrale Koordinierungsstelle schwebt über der Netzpolitik der großen Koalition ein Damoklesschwert, weil stetig Kompetenzstreitigkeiten zwischen den einzelnen Ressorts drohen, die politische Vorhaben langfristig blockieren könnten.