Kindle Unlimited: Schriftstellerverband kritisiert neues Vergütungssystem

Michael Schäfer
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Kindle Unlimited: Schriftstellerverband kritisiert neues Vergütungssystem

Der Verband Deutscher Schriftsteller (VS) hat das am Anfang des Monats von Amazon für die Leihdienste Kindle Unlimited und Kindle Leihbücherei eingeführte neue Abrechnungsmodell für Selfpublisher-Autoren scharf kritisiert. Sie befürchten eine Ausdehnung des neuen Vergütungsystems auf weitere Bereiche.

Seit dem 1. Juli vergütet Amazon Autoren, welche ihre Werke über Kindle Direct Publishing (KDP) veröffentlichen, nicht mehr wie bisher nach der Höhe der Ausleihen ihrer Werke, sondern nur noch nach der Anzahl der gelesenen Seiten. Dafür ist Amazon stärker auf eine Auswertung des Leseverhaltens der Nutzer angewiesen als es bisher der Fall war. Für die VS-Vorsitzende Eva Leipprand stellt dies einen kontrollierenden „Eingriff in den intimen Dialog des Lesers mit dem Buch“ dar. Weiterhin kritisiert Leipprand, dass Amazon für die benötigten Informationen das Leseverhalten der Kunden wie „Big Brother“ erfassen würde und warnt gleichzeitig vor einer Ausdehnung dieser Aktivitäten, welche eine „Katastrophe für die Literaturlandschaft“ wäre, denn die Gedankenfreiheit der Leser würde einem immer stärker werdenden „rein ökonomisch orientierten“ Zugriff geopfert werden.

Matthias Matting, Vorsitzender des Selfpublisher-Verbandes, schätzt die Entwicklung dagegen weniger dramatisch ein: Für ihn birgt die Neuregelung auch Vorteile, da umfangreiche und kurze Romane nun gleichwertig vergütet werden. Bisher wurde ein Buch schon dann entlohnt, wenn es mindestens zu zehn Prozent gelesen wurde. Dies verleitete Autoren dazu, ihre Werke zum schnelleren Erreichen des vorgegebenen Wertes in kleinere Stücke aufzuteilen und zu niedrigeren Preisen anzubieten. Hier besaßen Werke mit hoher Seitenzahl ein deutliches Nachsehen. Mit der neuen Lösung ist diese Praxis obsolet geworden. Nachteilig wirkt sich für Matting die neue Vergütungsregelung hingegen für Autoren von Sachbüchern aus. Dies ist nachvollziehbar, denn in nicht wenigen Fällen dienen Fach- oder Sachbücher lediglich als Nachschlagewerke, bei denen nur jeweils ein kurzer Ausschnitt zur Lösung eines Problems gelesen wird.

Da Amazon die jeweilige Vergütung immer aus einem Fond auf die Autoren verteilt und sich diese mit jeder Abrechnung ändern kann, sind verlässliche Zahlen für das neue Vergütungsmodell nur schwer zu erstellen. Matting schätzt die neuen Vergütungen für Autoren wie folgt ein:

Umfang (Seiten) Preis (Euro)
400 2,00
300 1,50
200 1,00
100 0,50

Bei der nun aufgekommenen Diskussion darf jedoch nicht vergessen werden, dass Amazon bereits seit längerer Zeit weite Teile des Leseverhalten der Kunden für die eigenen Dienste auswertet: So werden Lesestände über verschiedene Geräte hinweg synchronisiert oder Hörbücher an die Lesestellen im E-Book angepasst. Darüber hinaus berechnen Kindle-Lesegeräte oder Kindle-Applikationen auf Wunsch, wie lange der Leser an Hand der bisherigen Lesegeschwindigkeit für das jeweilige Kapitel oder Buch noch brauchen würde.

Unklar war bisher, welche Grundlagen Amazon zur Erhebung der gelesenen Seiten heranzieht, denn schon ein Ändern der Schriftgröße, des Zeilenabstandes oder der Seitenränder besitzt bereits Einfluss auf die Lesegeschwindigkeit. Für die Messung bedient sich Amazon der eigenen Maßeinheit KENPC (Kindle Edition Normalized Page Count), welche auf den Standardeinstellungen der drei Bereiche basiert. Dieser Wert liegt in der Regel um rund ein Drittel höher als die angegebene Seitenzahl in der Amazon-Beschreibung des jeweiligen Buches. Anhand dieser Maßeinheit berechnet der Online-Händler die gelesenen Seiten, was zudem Geräteunabhängig funktioniert. Die Lesegeschwindigkeit für jede einzelne Seite scheint Amazon hingegen – noch – nicht zu berücksichtigen. Ein Buch gilt demnach auch dann ausgelesen, wenn der Nutzer lediglich jede Seite bis zum Ende schnell durchblättert.