S-Klasse mit MBUX 2 im Test: Fazit

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Nicolas La Rocco
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Was Mercedes-Benz mit der neuen S-Klasse der Baureihe 223 samt MBUX 2 und zahlreichen Assistenzsystemen auf die Beine stellt, wirkt wie vom anderen Stern. Selten steigt man in ein neues Automobil ein und wird von einer derart opulenten Ausstattung begrüßt, die nicht nur imposant aussieht, sondern auch im Alltag überzeugt. Nach MBUX (Test) lässt MBUX 2 die Zeiten, in denen man vom Infotainment in Autos deutscher Hersteller nichts anderes als einen deutlichen Rückstand gegenüber aktuellen Smartphone-Erlebnissen erwartet hat, noch weiter in Vergessenheit rücken.

Mit umfangreicher Sonderausstattung bestückt, entfernt sich die S-Klasse aber weit vom aufgerufenen Basispreis von 123.272,10 Euro (S 500 L 4MATIC). Der Testwagen mit beinahe allen Extras kratzt bereits an den 200.000 Euro und trotzdem geht noch mehr.

Das Auto soll an dieser Stelle aber nicht auf den Preis, sondern speziell in diesem Test auf das Infotainment-System und die Fahrerassistenzsysteme reduziert werden. Das neue MBUX der zweiten Generation kommt mit leistungsfähiger Hardware von Nvidia, die ihre Rechenleistung im Alltag gut zur Geltung bringt und eine klare Verbesserung gegenüber dem ersten MBUX darstellt. Gelegentliche kurze Denkpausen gilt es aber noch auszubessern und auch bei anspruchsvolleren Grafiken wie der Navigationskarte mit Satellitenansicht scheint das System zumindest in puncto Software stellenweise an die Grenzen zu stoßen, obwohl das Xavier-SoC eigentlich schnell genug sein müsste.

Die verbaute Hardware ist es dann auch, die am meisten überzeugt. Der große OLED-Bildschirm in der Mittelkonsole ist gut zu erreichen und lässt sich meistens problemlos bedienen, auch wenn es nach den Oberkategorien dann doch sehr viele Untermenüs gibt. Die Bedienung über teils doppelt belegte und Wischgesten akzeptierende Schalter ist zu Beginn gewöhnungsbedürftig, geht dann aber doch in Fleisch und Blut über. Dennoch wünscht man sich manchmal zum Beispiel am Lenkrad richtige Tasten oder Rädchen für ein besseres Feedback. Die Sprachbedienung kann an manchen Stellen hilfreich sein, alle Funktionen des Autos deckt diese aber noch nicht ab.

Die Software muss noch aufholen

Wo es allerdings noch eindeutig hakt, sind die zur Verfügung stehenden Inhalte für MBUX 2. Die potente Hardware kann derzeit kaum ausgereizt werden. Es fehlen schlichtweg Apps für Musik, Videos und Spiele. Der Maßstab sind mittlerweile die App-Stores auf Smartphone und Tablet, nicht frühere Baureihen. Das aktuelle App-Angebot ist hingegen ein Trauerspiel und füllt nicht mal eine Seite des MBUX. Eine Reiselimousine wie die S-Klasse verdient Besseres, vor allem wenn es sich um die Langversion mit Fond-Entertainment handelt. Doch auch dort gibt es abseits ausgewählter Musik-Apps kein Videostreaming und keine Spiele. Da bleibt nur der Wechsel zum TV-Tuner oder zum bereits etwas in die Jahre gekommenen Fond-Tablet, das mit Android läuft und deswegen auf viele Apps im Play Store zugreifen kann.

Das neue Fahrer-Display mit 3D-Option und auch das neue AR-Head-up-Display lenkten die letzten zwei Wochen überhaupt nicht von der Fahrt ab – ganz im Gegenteil. Die Visualisierung der vielen Assistenzsysteme ist Mercedes-Benz äußert gut gelungen und trägt zu einem sicheren Fahrgefühl bei. Was die Sensorik sieht, ist für den Fahrer damit stets erkennbar.

Eine Hightech-Sänfte auf Rädern

Die zahlreichen Assistenzsysteme sind alles andere als ein bunt gewürfeltes Sammelsurium, sondern harmonieren untereinander und sorgen mit behutsamen Eingriffen und sanfter Unterstützung dafür, dass hunderte Kilometer ohne Ermüdungserscheinungen im Nu abgespult sind. Wer von Berlin nach Frankfurt fährt, kommt dort überspitzt ausgedrückt fitter an, als er zum Zeitpunkt der Abreise war – eine Hightech-Sänfte auf Rädern sozusagen. Das ist genau das, was eine S-Klasse ausmacht, und das schafft Mercedes-Benz erneut par excellence.

Nachholbedarf bei den Assistenzsystemen gibt es beim „Remote Park-Assistenten“, der weiterhin nicht besonders zuverlässig funktioniert und nach wie vor eine eigenständige App voraussetzt, anstatt diesen Dienst endlich gescheit in die Mercedes-me-App zu integrieren. Das Pairing mit dem Auto und die Bedienung fallen zu umständlich aus, sodass bei einem dann doch irgendwann erfolgreichen Versuch nur ein kleiner Wow-Effekt bleibt, der vor allem daher rührt, dass man mal eben über 2 Tonnen Auto verteilt auf 5,29 m mit dem Smartphone ferngesteuert hat.

Für Mercedes-Benz gilt es jetzt zu beweisen, dass die solide Hardware-Plattform regelmäßig mit OTA-Updates versorgt wird, um die genannten Kritikpunkte zu beseitigen. Die neue S-Klasse kann dabei durchaus als Soft Opening für eine Zukunft verstanden werden, die spätestens mit EQS und ab 2024 mit automatisiertem Fahren auf Basis von Nvidia Drive AGX Orin folgen soll. Doch schon früher, wenn im zweiten Halbjahr 2021 der Drive Pilot angeboten wird, gilt es mehr Unterhaltung während der automatisierten Fahrt zu liefern. Sollte das gelingen, würde Mercedes-Benz ein wichtiges Zeichen dafür setzen, dass der Masterplan nicht nur auf dem Papier existiert. Das „Software-defined Car“, wie es so gerne im Marketing-Sprech genannt wird, ist nämlich schon heute und nicht erst in ein paar Jahren Realität.

ComputerBase wurde die neue S-Klasse in der Variante S 500 L 4MATIC leihweise und unentgeltlich von Mercedes-Benz für einen Testzeitraum von zwei Wochen zum Testen zur Verfügung gestellt. Die Überführung des Fahrzeugs von Stuttgart nach Berlin und zurück wurde durch einen von Mercedes-Benz beauftragten und bezahlten Dienstleister ausgeführt. Die Kraftstoffkosten während des Testzeitraums wurden in voller Höhe von der Redaktion bezahlt. Eine Einflussnahme des Herstellers in jeglicher Form auf den Testbericht fand nicht statt, eine Verpflichtung zur Veröffentlichung bestand ebenfalls nicht. Es gab kein NDA oder Embargo.

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